klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und umarmte einander. Die alten Augen leuchteten in hellster Freude, und aller Gesichter strahlten. Der Oberlehrer wollte noch eine Rede halten, aber niemand wollte zuhören. Stadtkassierer Lassen versuchte eine Porterflasche auf seiner Nase balancieren zu lassen. Und Rentier Eriksen saß da und kämmte Fabrikant Rössels Bart mit einer Hummerschere.
Man konnte vor Lachen, Schreien und Rufen sein eigenes Wort nicht verstehen.
"Meine Herren, meine Herren!" brüllte Redakteur Heilbunth, der fett und selig wie ein Falstaff in seinem Präsidentenstuhl lag. "Meine Herren, meine Herren, dies geht über Kreid- und Rotspon!"
Im selben Augenblick ergriff Zollkontrolleur Knagsted den roten, kugelrunden Edamer mit seinen behaarten Esauhänden und rollte ihn mit Aufbietung seiner ganzen Kraft über den Fußboden und mitten in alle die leeren Flaschen hinein.
Es war, als sollte der Saal zusammenstürzen!
Und unten in der entferntesten Ecke an der Tür nach dem Küchengang stand Manuel und sah zu, empört, indigniert, entrüstet, entsetzt – ungefähr wie eine Altarkerze inmitten eines Hexensabbats.
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Wenn man durch das Nonnentor auf die Landstraße hinausging und dann in der ersten Richtung zur Rechten abbog, erreichte man nach halbstündiger Wanderung das "Gehöft", den Mühlenhof, Emanuel Thomsens väterlichen Besitz.
Und nicht nur Manuels Vater, sondern auch dessen Vater und Großvater hatten auf diesem kleinen Fleckchen Erde gelebt und gewirkt.
Es gehörten ungefähr dreißig Tonnen Ackerland zu dem Gehöft und dann der Mühlenbetrieb.
Der Mühlenteich oder der "See", wie die Thomsens ihn zu nennen beliebten, lag im Garten hinter dem Wohnhause. Er lag hoch, fast in gleicher Linie mit dem Dachfirst des Hauses und nur durch einen schmalen Hohlweg von dem Gebäude getrennt. Das Wasser floß in einer offenen, ein paar Ellen breiten, hölzernen Rinne über den Weg und stürzte von dort auf das Treibrad herab. Und wenn das Mühlenbrett geöffnet war und die Mühle ging, tönte über den schmalen Hof hin ein brausender, donnernder Lärm, der die Fensterscheiben stoßweise erzittern machte.
"Und wenn man einmal so glücklich gewesen ist, seine Kinderjahre an einem solchen Ort zu verleben," sagte Manuel in seiner Unterhaltung mit Mutter Karens Bruder, dem Küster, "und im Lenz der Jugend seine Ohren an das liebliche Rieseln des Wassers und das Rauschen des Rades und das Mahlen der Mühlsteine gewöhnt hat, da wird man sich in den schweren Stunden seiner Männerjahre stets danach zurücksehnen.– – Namentlich," fügte er mit einem Kopfnicken hinzu, "wenn man, wie ich, Onkel Jakob, mit einem etwas trübseligen Charakter geboren ist."
Rings um den Mühlenteich herum lag der Garten. Jetzt war er eine Wildnis. Bäume und Büsche wuchsen ungepflegt und unbeschnitten durcheinander. Das Gras der Rasenplätze wucherte über die Wege hinaus, und die wenigen übriggebliebenen Blumen konnten im Frühling, wenn sie hervorsproßten, kaum vor Unkraut atmen. Dieser Garten war der Stolz und das Steckenpferd der Familie Thomsen gewesen.
Da waren Lindenlauben mit großen, runden, steinernen Tischen, alte ausgediente Mühlsteine, deren Rillen verschlissen waren. Und um sie herum standen künstlerisch ausgeführte Bänke und Stühle aus Naturholz, krummen Stämmen und Zweigen, die Großvater Thomsen selber zusammengezimmert hatte. Unter einer mächtigen Kastanie lag auf einem durchgesägten Eichenstumpf ein uraltes Taufbecken aus der Lindenberger Kirche. Und mitten an dem Stamm einer Buche saß, fast in Mannshöhe festgewachsen, ein grünspanfarbiger, moosbedeckter Mühlstein, in dessen mittlere Öffnung in längst entschwundenen Zeiten der Baum als kleiner zarter Steckling hineingepflanzt worden war. Der Stein war einstmals als Tisch verwendet worden, aber jetzt waren die Füße längst vermodert und der Baum hatte im Laufe der Jahre die Öffnung ausgefüllt und den Stein ellenhoch in die Höhe gehoben. Große, bunte, halbzertretene Muscheln lagen rings unter den Bäumen zerstreut. Sie hatten einst zierlich die Rasenflächen und Gänge umsäumt. Und wenn man sich hinabbeugte und sorgfältig zwischen dem langen, welken Unkraut suchte, konnte man wohl hin und wieder noch eine Steinaxt oder einen Keil finden, Kleinodien, die die Thomsens aus ihren Feldern und Wiesen ausgepflügt und sorgfältig gesammelt hatten. Denn, wie die benachbarten Bauern zu sagen pflegten, die letzten Besitzer des Mühlenhofes waren "verrückter" und "sonderbarer" gewesen, als Müller und Landleute in der Regel zu sein pflegen.
Deswegen war es der Familie auch wohl so ergangen, wie es ihr erging.
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Wenigstens einmal alle vierzehn Tage schlich sich der kleine Thomsen spät am Abend auf das Gehöft hinaus. Und am liebsten im Mondschein.
Er schlug nicht den geraden Weg ein, wo er Gefahr laufen konnte, Leuten zu begegnen, erkannt und ausgelacht zu werden. Über Gräben und Feldwege schlich er dahin wie ein kleiner, verwachsener, unterirdischer Geist, den Kragen in die Höhe geklappt, den Hut tief in die Augen gedrückt.
Auf dem Platz vor der Einfahrt verkroch er sich hinter einem der Heuschober und wartete lange, ob sich auch niemand vor den Gebäuden sehen ließ.
Die drei weißen zusammenhängenden Flügel schimmerten im Mondschein. Und durch die gestreiften Vorhänge vor den Fenstern im Wohnhause schien das Lampenlicht.
Manuel glitt näher und näher heran. Er betastete die Mauern und untersuchte die Türen und die Luken. An vielen Stellen war der Kalk abgeblättert, und die nackten Steine guckten hervor. Der Teer war von den Stalltüren geschlissen, schief hingen sie in ihren Hängen. Und der himmelblaue Anstrich an den Türen und Fenstern des Wohnhauses war infolge von Wind und Wetter und Unsauberkeit schmutziggrau geworden.
Emanuel seufzte im Herzen tief auf.
Gleichzeitig aber juckten ihm die Finger, hier zuzugreifen, zu weißen und zu streichen, die Löcher der schadhaften Strohdächer auszubessern und das Unkraut, das das Pflaster des Hofplatzes dicht überwucherte, auszujäten!
Drei Besitzer hatte das Gehöft während dieser fünfzehn Jahre gehabt. Der erste war sechs Jahre hier gewesen, der zweite vier. Und jetzt pfiff auch Rasmus Cornelius, der "dritte Schurke", auf dem letzten Loch.
Das Gehöft war in schlechten Ruf gekommen. Es war ein "Bankrottgehöft" geworden. Niemand konnte sich dort halten.
Und jedesmal, wenn es von neuem wieder verkauft war, hatte sich Emanuel vor Kummer und Sorge darüber zu Bette gelegt, daß er noch nicht Geld genug zusammengeschrappt hatte, um es zurückkaufen zu können.
Aber dann das letztemal, das war jetzt also ungefähr fünf Jahre her, als er dagelegen und sich fast im Fieber in den Kissen gedreht und gewendet hatte, da war er gegen Ende der Nacht schließlich ermattet und verzweifelt in einen schlafähnlichen Zustand gefallen, und da hatte er abermals eine "Offenbarung" gehabt. Der Vater war ihm von neuem erschienen. Er hatte eine Tafel in der Hand gehabt, und auf der Tafel stand mit leuchtenden Buchstaben die Zahl: 23 811 geschrieben.
Natürlich bedeutete dies, daß Emanuel Lotterie spielen sollte.
Er lief ein paar Tage seitwärts und wand sich im Innersten seiner Seele bei dem Gedanken an das bare Geld, das ihm die Sache kosten würde.
Als sich aber dann der Vater eines Nachts wiederum mit der Tafel und der Zahl einstellte, war sein Entschluß gefaßt.
Und noch am nächsten Tage reiste er mit dem Morgenzug nach Kopenhagen.
Natürlich durfte das "Städtchen" nichts davon wissen, daß er Lotterie spielte. Dann hatten die Leute wieder etwas, worüber sie schwatzen konnten. Auch Mutter Karen ahnte den Grund seiner Reise nicht. Seine letzte Offenbarung hatte er instinktiv vor ihr geheimgehalten.
In der Hauptstadt lief er die Straßen auf und nieder. In den feinen Stadtteilen wollte er sein Los nicht kaufen; denn da war es natürlich viel teurer als anderswo. Und er lief und lief.
So gelangte er schließlich in eine dunkle, enge