Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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haßte den Zöllner wohl im Grunde und sah und hörte am liebsten nichts von ihm.

      Und doch sah man sie immer zusammen.

      Mörch hatte vor einer Reihe von Jahren einen Anfall von Gehirnapoplexie gehabt und ging am Stock und mit schweren, schleppenden Schritten. Sein Gesicht war schlaff und stumpfsinnig, seine Stimme lallend. Es klang, als sei seine Zunge zu dick.

      Aber er rauchte mit Leidenschaft. Es war das ungefähr die einzige Freude, die ihm geblieben war.

      Der Tabak umschleierte seine Gedanken so angenehm. Er lebte nämlich in einer ewig zitternden Angst vor dem Tode. Er hatte weder Tag noch Nacht Ruhe vor diesem Schreckbild. Nicht einmal, wenn er seinen Mittagsschlaf abhielt.

      Und das schlimmste war, daß Knagsted immer vom Sterben sprach. Nie von etwas anderem als vom Tode und dessen Attributen, von Krankheit und schlechtem Befinden, Medizin, heiligem Abendmahl, Glockengeläute und Begräbnis.

      Mörch hatte ein Gefühl, als kröchen Würmer in ihm, sobald der Zöllner anfing. Am liebsten hätte er ihn weggejagt, ihn mit seinem Stock vertrieben. Und doch fuhr er fort, ihm mit einer Art von schauderndem Interesse zuzuhören. Er wurde förmlich hypnotisiert von den Worten des Freundes, hatte ungefähr die Empfindungen eines Kindes, das mit zu Berge stehenden Haaren einer Gespenstergeschichte lauscht.

      Sie gingen zusammen spazieren. Fast jeden Tag um die Dämmerstunde kam Knagsted und holte den Konsul ab.

      Eines Abends zwischen sechs und sieben Uhr krabbelten die beiden Freunde wieder die Treppe von Mörchs Wohnung hinab.

      Als sie endlich unten auf der Straße standen, fragte der Zöllner:

      "Nun, lieber Mörch, wohin wollen wir denn heute gehen?"

      "Das überlasse ich dir!" lallte Mörch.

      "Dann wollen wir den Prinzessinnensteig entlanggehen."

      Ein paar Würmer fingen an, sich in dem Konsul zu regen. Dies war nämlich der Weg nach dem Friedhof.

      "Wollen wir nicht lieber auf die Landstraße gehen, Knagsted?"

      "Du sagst ja selber, ich sollte bestimmen."

      "Nun ja, wie du willst."

      "Es steht wohl heute schlecht mit deinem Befinden, Mörch?"

      "Gott bewahre! Es geht mir sehr gut!"

      "Du hast über Nacht gewiß nicht geschlafen?"

      "Nicht viel!"

      "Nein, man schläft schlecht, wenn man alt wird."

      Knagsted hatte den Konsul unter den Arm gefaßt, und nun trippelten sie die Südstraße hinab.

      "Du solltest nicht soviel rauchen, Mörch", begann der Zöllner.

      "Ach was, die paar Pfeifen."

      "Hast du heute die Morgenzeitung gelesen?"

      "Ja!"

      "Hast du es beachtet?"

      "Was soll ich beachtet haben?"

      "Den Artikel aus Nästved."

      "Was stand denn darin?"

      Den Konsul durchschauerte es.

      "Von diesem Mann."

      "Was war es mit ihm?"

      "Er starb!"

      "Nun ja, sterben müssen wir alle."

      "An Nikotinvergiftung. Ich dachte, ich wollte dich doch aufmerksam darauf machen."

      "Danke schön!" sagte der Konsul wütend. "Du bist immer so fürsorglich!"

      Knagsteds Haarbüschel bewegten sich schadenfroh. Aber er sagte nichts.

      "Es waren wohl Zigarren", fuhr Mörch nach einer Weile fort.

      "Da stand ausdrücklich Tabak."

      Schweigen. – –

      Sie gingen Schritt für Schritt mitten auf der Straße. Der Konsul ging vornübergebeugt und stützte sich schwer auf seinen Stock und auf seines Freundes Arm. Knagsteds kleine vierschrötige Gestalt hingegen hielt sich gerade wie ein Meilenzeiger, unangefochten und unberührt von den Jahren und den Ereignissen.

      Bei dem Hotel bogen sie um die Ecke und gingen die Maren Schmiedts-Gasse hinab, die in den Prinzessinnensteig mündet:

      "Du kannst mir glauben, wir haben uns neulich abends im Verein ganz köstlich amüsiert!" sagte der Zöllner, zeigte auf die Fenster des Lokals, in dem die Freßsäcke tagten.

      "Hm!" brummte der Konsul und sah nach der anderen Seite hinüber.

      "Du solltest dich wirklich einschreiben lassen, Mörch!"

      "Unsinn!" entgegnete Mörch, und seine matten Augen blitzten.

      "Hi, hi!"

      ###

      Kein Mensch in der Stadt wußte Bescheid über die Vergangenheit des Zöllners. Als der alte Zollkontrolleur vor ungefähr zehn Jahren starb, war Knagsted sein Nachfolger geworden. Er kam aus Jütland, aus der Gegend von Ebeltoft oder Grenaa herüber, wo er Zollassistent gewesen war. Man wußte nicht das geringste von ihm im Städtchen, bis er eines Tages in der Tür der Zollbude am Fjord stand und ärgerlich auf das Wasser hinaussah. Er hatte eine funkelnagelneue Uniform an, aber keine Mütze auf dem Kopf. Und sein fuchsrotes Haar leuchtete in der Sonne. Die Bürger steckten die Köpfe zusammen und meinten, da hätten sie wohl einen bösen Karbunkel an Stelle des alten Mathiesen bekommen, der immer so sanft und so gut wie ein Maientag gewesen war. Und als man ihn erst recht genau angesehen und die Haarbüschel in seinen Ohren und die Brauen über seinen Augen und den gelblichroten Haarwuchs entdeckt hatte, der ihm bis an die Fingergelenke wuchs, da hatte ihm ein Witzbold sofort den Namen "Esau" gegeben. Und man behauptete, er sei ein Kind der Liebe, von einem Buschmann und einer Bulldogge.

      Aber der Zöllner ließ die Leute reden. Er mietete sich ein Paar Zimmer bei einer älteren Witwe in einem kleinen Hause ganz in der Nähe der Zollbude. Dort stellte er seine wenigen Habseligkeiten auf. Und dort hielt er sich auf, wenn er nicht in der Zollbude war.

      Anfänglich hatte er die Witwe auch sein Essen bereiten lassen. Aber das dauerte nicht länger als vierzehn Tage. Dann ward sie sehr ungnädig verabschiedet, und er ging fortan zu Tisch ins Hotel.

      Die Gesellschaft, mit der er dort zusammentraf, bestand hauptsächlich aus Handelsreisenden; denn die Bürger nahmen, wie das ja auch ganz in der Ordnung war, ihre Mahlzeiten am häuslichen Herd ein.

      Aber dann eines Abends klopfte der Hotelwirt, Herr "Pli-Hansen", dem Redakteur Heilbunth ehrfurchtsvoll mit einem elastischen Mittelfinger auf die Schulter. Der Redakteur saß im Restaurationslokal und trank einen Grog:

      "Verzeihen Sie, Herr Redakteur", sagte Herr Hansen.

      Heilbunth wandte ihm beschwerlich sein Antlitz zu.

      "Sie wissen, Hansen, daß ich es nicht gern mag, wenn ich gestört werde!"

      Der Wirt neigte sich wie ein Weizenhalm im Sturm:

      "Jawohl, Herr Redakteur, das weiß ich! Aber –"

      "Nun, was wollen Sie denn?"

      "Der Herr Redakteur sollten sich des Herrn Zollkontrolleurs ein wenig annehmen, – wenn ich mich so ausdrücken darf!"

      "Das Stachelschwein!"

      "Hihihi! – Ich glaube, Sie würden es nicht bereuen, Herr Redakteur. Er ist furchtbar witzig!"