verdiente Zuchthaus!
Am Tage nach einer solchen Zusammenkunft lief das kleine Männchen daheim in der Stube hinter dem Laden seitwärts wie ein Taschenkrebs auf und nieder und schlenkerte mit dem langen Arm, so daß Madam Thomsen in dem Lehnstuhl zitterte und bebte und ganz bleich vor Angst wurde.
"Man kündigt die Stellung! Man kündigt die Stellung!" gestikulierte Thomsen. – "Sie ist nicht menschenwürdig!"
"Ja, kündige du nur, lieber Manuel!"
Aber Manuel kündigte nicht.
Denn die Stellung brachte ihm an jedem Zusammenkunftsabend fünf Kronen ein. Und außerdem das Essen und Trinken, was regelmäßig die schrecklichsten Magenbeschwerden für ihn zur Folge hatte. So kritiklos schaufelte er hinein.
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Es war noch ein Viertel vor acht. Emanuel kam in seinem blauen Cheviotanzug, eine große, schimmerndweiße Küchenschürze um den Leib gebunden, mit einem Eiskühler, in dem der Lysholmer stand, aus dem Küchengang herein. Er trug den Kühler vorsichtig zwischen beiden Händen. Ungefähr, wie wenn er Mortensen trug.
Als er den Saal betrat, führte der Wirt gerade drei Handlungsreisende aus dem Café herein. Sie sollten die gedeckte Tafel sehen. Die Ausführung dieser Feste verlieh nämlich dem Hotel einen weithin strahlenden Glanz. Und Herr Hansen gewährte seinen Stammgästen gern einen Einblick in diese Herrlichkeiten, um den Appetit zu reizen.
Die drei Reisenden blieben sprachlos in der Tür stehen. Dies erschien ihnen wie ein Traum aus dem Reiche Gottes:
Mitten auf dem schneeweißen Gedeck der Tafel stand eine ungeheure Schüssel mit sechs großen, hochroten, strahlenden Hummern. Das Vorgericht. Ein Tier für jeden Bruder. Und um die Hummerschüssel als Mittelpunkt breitete sich dann nach beiden Seiten Schüssel neben Schüssel aus, gefüllt mit allerhand kalten Speisen, die aus Fischen, Säugetieren und Vögeln bereitet waren. Da waren Schollen, deren Dicke mehrere Zoll betrug, mit grünen Zitronen garniert. Da war eine Wildpastete mit Trüffeln. Ein Ochsenfilet. Ein Kalbsbraten. Ein Lamm, das kaum dem Mutterleibe entschlüpft war. Junge Enten, Gänse und Kapaunen. Und an jedem Ende der Tafel stand eine Pyramide aus Kibitzeiern, kunstfertig in feuchtem Sand aufgebaut. Schalen mit Sardinen, Sardellen, Frühstücksheringen, Kaviar, geräucherter Gänsebrust, Straßburger Gänseleberpastete, Lachs und Ochsenzunge bildeten zwischen den größeren Schüsseln zerstreut leckere Ruhepunkte für das Auge. Und da waren sieben Arten Kompotte, Radieschen aus dem Mistbeet, fünf Arten Käse und Butter von der feinsten Sorte.
Vor jedem Kuvert standen vier Gläser: Rotwein ( ad libitum), Rheinwein (zu den Fischen), Porter (zum Kaviar) und Madeira (zum Käse). – –
Die drei Handelsreisenden hatten die Hände gefaltet.
"Ja," sagte der Wirt mit einer breiten Handbewegung, "so ißt man bei mir, meine Herren!"
Und mit einem feinen Lächeln fügte er hinzu:
"Wenn man dafür bezahlt!"
"Darf ich einmal den Wein sehen?" fragte einer der Fremden, ein korpulenter Herr mit rotem Gesicht.
"Dort!" sagte der Wirt und zeigte auf einen Tisch in der Ecke, wo die Flaschen in Bataillonen standen. "Das heißt, das ist natürlich nur der Rotwein." fügte er hinzu, "der die Temperatur haben soll. Das übrige befindet sich im Eisschrank. Heute abend servieren wir ja für Kenner!"
Herr Hansen war ein verkrachter Hauptstadtrestaurateur. Aber mit "Pli", wie er sich selber auszudrücken pflegte.
Draußen im Café schlug die Uhr acht.
"Jetzt kommen sie!" sagte Thomsen, der schweigend und verbittert neben dem Anrichtetisch gestanden hatte.
"Ja, jetzt kommen sie", wiederholte Restaurateur Hansen. – "Meine Herren, diesen Weg, wenn ich bitten darf." – Er verneigte sich und machte mit der Hand eine Bewegung auf die Tür zu.
"Entschuldigen Sie, meine Herrschaften –"
Und die drei Reisenden zogen sich zögernd und widerstrebend zurück.
Präzise zehn Minuten nach acht Uhr waren die Brüder versammelt. Als der letzte die Schwelle überschritt, eilte Emanuel herzu und drehte den Schlüssel hinter ihm um.
Man war in Gesellschaftstoilette, festlich: Diplomatenrock, graue Beinkleider, reines Manschettenhemd und schwarzer Schlips.
"Die Versammlung ist vollzählig", meldete der Vorsitzende mit seinem tiefen Baß. – "Die Zusammenkunft beginnt!"
Ernst, wie zu einem kirchlichen Fest, stellte man sich in einem Halbkreis vor den Anrichtetisch, wo die Schnapsgläser in sechs Reihen, sternförmig von dem Weinkühler auf der Mitte des Tisches ausgehend, standen. Drei Gläser in jeder Reihe. Spitze, schlanke Gläser auf einem hohen, spiralförmig gedrehten Fuß.
Thomsen schenkte vorsichtig den eiskalten Lysholmer in die achtzehn Pokale. Die Flüssigkeit mußte gerade bis an den Rand des Glases gehen, und es handelte sich darum, nichts zu verschütten, wenn man es zu Munde führte.
"Der König!" sagte der Redakteur.
Die sechs äußersten Gläser wurden in die Höhe gehoben, geleert und mit einem lauten Knall wieder auf den Tisch gestellt. Alles wie auf Kommando.
"Die Frauen!"
Die nächste Reihe folgte.
"Die Freiheit!"
Die innerste Reihe wurde geleert. Die Einleitungszeremonie war beendet. Und die eigentlichen Verhandlungen nahmen ihren Anfang.
Man setzte sich.
Am oberen Ende thronte der Vorsitzende, Redakteur Heilbunth. Groß und mächtig lag er in seinem Stuhl, Ehrfurcht einflößend, imposant, ein Wunderwerk aus Fleisch. Drei Doppelkinne hingen ihm über das weiße Hemd herab, und sein rotes, blankes Gesicht leuchtete unter dem krausen, weißen Haar wie ein Vollmond unter einer Schneewolke hervor.
Zu seiner Rechten saß der stellvertretende Vorsitzende, der pensionierte Oberlehrer Clausen. Ein magerer Mann, aber ein starkknochiger Mann, der es dank seiner Länge und seines Knochenbaus mit Leichtigkeit auf die vorgeschriebenen Pfunde brachte.
Nach ihm kam der Fabrikant Rössel, dessen mächtiger Vollbart gleich einem graublonden Pelzkragen über seine Rockaufschläge herabfloß. Er war Inhaber der Essigfabrik des Städtchens, und sein Schädel war kahl wie ein Kürbis.
Am unteren Ende des Tisches saß Rentier Eriksen, klein, kurzbeinig und mit einem unförmlichen Bauch, der, wie man sich erzählte, von einer komplizierten Maschinerie zusammengehalten wurde, von einem an stählernen Hosenträgern befestigten Ringpanzer. Diese Eigentümlichkeit hatte ihm unter den Brüdern den Namen Luxusbauch verschafft.
Dann folgte der Stadtkassierer Lassen. Und an der linken Seite des Vorsitzenden Zollkontrolleur Knagsted. Lassen war groß und gut gewachsen mit einer königlichen Nase und wasserblauen, ein wenig vorstehenden Augen. Knagsted war kleiner, kurzhalsig und breit in den Schultern, gleichsam verdichtet. Sein graumeliertes Kopfhaar war kurz und struppig. Der rotbraune, buschige Vollbart wuchs ihm fast bis unter die Augen. Und aus seinen Nasenlöchern und Ohren guckten dicke Haarbüschel hervor. Die Augenbrauen waren mächtig und nach oben geschweift. Und seine Hände waren bis auf die Finger hinab behaart. Diese ganze Haarfülle verlieh ihm ein hartes und unzugängliches Aussehen. Und im geheimen nannten ihn die Brüder: Esau. –
So sah die Versammlung der "Freßsäcke" aus.
Als alle sicher zu Platz gekommen waren, erhob bei Vorsitzende, Herr Heilbunth, seine gewaltige Hand, deren Finger aussahen wie Cervelatwürste. Und Emanuel stellte geschickt eine Flasche Rotwein vor jedes Kuvert.
Die Gläser wurden gefüllt.