Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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      "Ja, Mutter Karen!"

      "Und du hast wieder mit ihm gesprochen?"

      "Ja, über Nacht." –

      Über den kleinen Thomsen war eine eigene, feste, zugeknöpfte Männlichkeit gekommen, seit er mit dem Jenseits in Verbindung stand. "Die Offenbarungen" hatten ihn aufgerichtet und ihn männlich gemacht. Er hatte ein Ziel. Und er arbeitete mit einer Zehnpferdekraft, um etwas zu erreichen. Vom Morgen bis zum Abend war er in ununterbrochener Tätigkeit. Er richtete selber den Laden ein, tischlerte und hämmerte, machte den Ladentisch und die Borte, malte, fegte, putzte. Und als alles fertig und Schwung in das Geschäft gekommen war, dem Karen vorstand, ersann er tausenderlei, um selber auch Geld zu verdienen. Er verfertigte selber auch Gegenstände aus Pappe und Leder, Handkoffer, Taschen und Etuis, die im Laden verkauft wurden. Er versuchte ein Exportgeschäft für abgestempelte Briefmarken zu errichten. Und er ging aufs Land zu den Bauern und kaufte alte Möbel und Bilder und Messingsachen, die er dann aufarbeitete und für weit über das Doppelte von dem verkaufte, was er selber dafür bezahlt hatte. Er schrieb eine ungewöhnlich schöne und leserliche Handschrift und verschaffte sich dadurch Abschreibearbeit vom Hardes-Bureau und ein paar Rechtsanwälten des Städtchens. Er reichte ein Gesuch zwecks einer Anstellung als Telegraphenbote ein. Und er hatte sich sogar ein paarmal auf dem Bahnhof eingefunden und den Reisenden angeboten, ihr Gepäck in die Hotels zu befördern. Aber diesem Geschäft hatten doch die bezahlten Packträger und Dienstmänner der Stadt Einhalt zu tun gewußt, indem sie ihn mit ihren kräftigen Spöttereien und Neckereien verfolgten.

      Aber Geld schrappte er zusammen. Er kargte und sparte auf alle erdenkliche Weise. Kaum gönnte er sich und der Mutter das Essen. Die Alte mußte ihm Rechenschaft über jede Nähnadel ablegen, die im Laden verkauft wurde. Und er zahlte das Wirtschaftsgeld aus. Im ersten Jahr nach dem Umzug hatte Madam Thomsen ein kleines Schulmädchen gehalten, das Besorgungen in der Stadt für sie machen und ihr im Hause helfen mußte. Sein Lohn bestand in zwei Kronen monatlich und dem Mittagessen. Aber eines schönen Tages bekam es den Laufpaß. Emanuel meinte, daß zwei einzelne Menschen ganz gut allein fertig werden könnten. Zwei Kronen monatlich machten vierundzwanzig Kronen im Jahr! Gar nicht zu reden von dem Essen! – Und dann griff er selber zu: wusch die Fußböden auf, fegte die Straße, putzte die Fenster, holte Wasser und Holz und lief auf Besorgungen, mehr seitwärts denn je, während der lange Arm in der Luft umherschwenkte wie der Flügel einer Nähmaschine.

      Die Leute lachten natürlich. Und er ließ sie lachen.

      "Wartet ihr nur, bis man wieder auf dem Hof ist!" sagte er und kniff seine kleinen Schweinsaugen auf geheimnisvoll listige Art zusammen. "Dann kommt die Reihe zu lachen an mich!"

      Denn diese felsenfeste Überzeugung, daß der Tag kommen mußte, an dem er mit Pomp und Ehren wieder auf dem väterlichen Gehöft einziehen würde, hielt ihn aufrecht und machte ihn unempfindlich gegen das Gelächter und die Spottnamen des Städtchens.

      Aber diese Triebfeder seines Fleißes und seines Tun und Lassens hielt er ängstlich vor allen verborgen; nur Mutter Karen wußte darum. Und damit niemand ahnen sollte, daß er sich im Laufe der Zeiten wirklich ein ziemlich großes Kapital zusammensparte, brachte er sein Geld in einer Bank der Hauptstadt unter. Aber so schlau war er doch, daß er immer ein paar hundert Kronen in der Sparkasse des Städtchens stehen hatte. Und um den Schein aufrecht zu erhalten, nahm er bald zehn oder zwanzig Kronen auf und zahlte bald zehn, bald zwanzig Kronen wieder ein, wenn die Steuer bezahlt werden mußte, oder wenn er ein Geschäft gemacht hatte, das bekannt geworden war. Er war nicht umsonst von bäuerischer Herkunft, und die Leute mußten sich ja klar darüber sein, daß er und die Mutter mehr verdienten, als sie gebrauchten.

      Aber nicht einmal Madam Thomsen ahnte, wieviel es war.

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      Manuel war für heute mit seinem Holzhacken fertig. Er stapelte das gespaltene Holz an der Bretterwand des Schuppens auf, fegte die Späne von dem Hauklotz und dem Fußboden und hängte die Axt auf ihre zwei Nägel am Eckbalken. Dann sah er sich einen Augenblick prüfend um, fand, daß alles in Ordnung war, und ging wieder auf den Hof hinaus.

      Die Sonne war im Begriff, hinter dem hohen Nachbarhaus zu verschwinden. Es fiel wohl noch ein Lichtstreif in die Ecke an der Mauer herab, aber der war schmal und mager.

      Der Hahn saß schlaff und stumpf und alt in seiner Ecke an der Pumpe mit herabhängenden Flügeln, den Kopf zu Boden gesenkt. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt, seit er dahin gepflanzt worden war.

      "Nun, lieber Mortensen," sagte Thomsen und trat an ihn heran, – "heute gibt's keine Sonne mehr. Dann ist es wohl am besten, wenn man wieder in sein kleines Nest kommt."

      Und er nahm das Tier wieder vorsichtig zwischen beide Hände und trug es in den Schuppen zurück, in die hinterste Ecke unter dem Fenster. Dort lag eine Schicht Sand, und darüber waren Halme und Daunen und welke Blätter gebreitet. Und oben an der Wand, wohl eine halbe Elle über dem Fußboden, war eine Leiste angebracht. Aber es war fünf Jahre her, seit Mortensen nicht mehr darauf hatte sitzen können.

      Und am siebenundzwanzigsten Mai wurden es genau drei Jahre, seit er zum letzten Male gekräht hatte.

      In dem Verein "die dänischen Freßsäcke" sollte eine Zusammenkunft stattfinden.

      Ungefähr in der Mitte der Südstraße an der Ecke der Maren Schmieds-Gasse lag das Hotel "Stadt Gammelköbing". Dort hielt der Verein in einem kleineren Saal zu ebener Erde nach der Gasse hinaus seine Zusammenkünfte.

      Es fanden jährlich vier Zusammenkünfte statt, drei im Winter und eine im Sommer.

      Dies war das letzte Fest im Winter. Der Beitrag belief sich auf zweiundwanzig Kronen für das Kuvert, und man machte eine Grundlage von drei steifen Lysholmer Schnäpsen.

      Die Verpflegung war übrigens bei der Begründung des Vereins ausschließlich national gewesen; daher der Name. Als aber im vorigen Jahr der alte Redakteur Heilbunth zum Vorsitzenden gewählt wurde, setzte er es durch, daß der betreffende Paragraph dahin geändert wurde, daß die Getränke wenigstens international sein konnten, falls eine Stimmenmehrheit dafür erzielt würde.

      Und die wurde augenblicklich mit allen Stimmen erzielt.

      Es war ebenfalls Heilbunths Verdienst, daß der Beitrag für das Kuvert von fünfzehn auf zweiundzwanzig Kronen erhöht wurde, und daß kein Mitglied unter fünfzig Jahre alt sein und weniger als zweihundertunddreißig Pfund wiegen durfte.

      "Wir müssen exklumpsiv sein", sagte er. Die Zahl der Mitglieder war ein wenig schwankend. Zu dieser Zusammenkunft hatten sechs gezeichnet.

      Alle Zusammenkünfte waren "geschlossen". Wenn der letzte Teilnehmer angekommen war, wurde der Schlüssel der Tür, die zu den Café-Lokalitäten führte, herumgedreht. Und dann fand die Passage nur durch die Tür zum Küchengang statt, durch die die leckeren Gerichte aufgetragen wurden.

      Auch einen Diener hielt sich der Verein.

      Und das war Emanuel Thomsen.

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      Daß Manuel sich um dies Amt beworben, hatte seinen Grund einzig und allein in seinem monomanen Drang, Geld zusammenzuscharren, gleichviel auf welche Weise. Denn er litt im Herzen entsetzliche Qualen bei dem Anblick der seiner Ansicht nach unnatürlichen Verschwendung, die hier entfaltet wurde. Die ungeheuren Mengen von Eß- und Trinkwaren, die aufgetragen und verzehrt wurden, kränkten ihn in tiefster Seele.

      Aber in noch höherem Grade nahm er Anstoß an den Überresten!

      Wenn eine halbverzehrte Gans, ein so gut wie unberührter Lammbraten oder ein Rinderbraten, von dem nur eine ganz verschwindende Anzahl Scheiben abgeschnitten waren, wieder in die Küche hinausgetragen wurden, da weinte er blutige Tränen.

      Daß Menschen aßen und tranken, so daß sie kurz davor waren, zu platzen, das war an und für sich schon gottlos und strafbar genug.