ein rotes Lotterieschild. Vor Willensanstrengung brach ihm der Schweiß aus: hier wollte er es versuchen!
Er stieg die Treppe hinauf und gelangte in das erste Stockwerk: Kontorzeit von acht bis elf. Er schellte und wurde eingelassen.
Es war eine nette, alte Dame, mit der er zu tun hatte. Manuel sah sie prüfend von der Seite an. Dann zog er ein Stück Papier aus der Tasche und reichte es ihr.
"Man möchte gern diese Nummer haben."
"Ja, es kommt darauf an, ob ich sie habe, mein Lieber."
"Ob Sie sie haben? Kann man denn nicht die Nummern bekommen, die man haben will, wenn man dafür bezahlt?"
Thomsens Hemd wurde ganz feucht, in dem Maße floß die saure Flüssigkeit des Entsetzens an seinem Körper herab.
"Ja, wenn man das Los eine Serie vorher bestellt", sagte die Dame.
"Eine Serie – ?"
Manuel wünschte, daß er niemals hierhergegangen sei, denn die wollte ihn natürlich anführen!
Die Dame blätterte langsam in einem Haufen Lose; sie netzte den Finger und blätterte. Dann zog sie plötzlich ein Stück Papier heraus und hielt es ihm hin:
"Ja weiß Gott, hier ist Ihre Nummer!" sagte sie dann. – "Es ist ein Viertellos. Wollen Sie es haben?"
Emanuel griff nach dem Los und untersuchte es genau an allen Ecken und Kanten:
"Was soll es kosten?"
"Ja, der Besitzer hat es in den letzten beiden Ziehungen zu erneuern unterlassen, die habe ich infolgedessen bezahlt. Wollen Sie das Los haben, so müssen Sie die natürlich mit bezahlen, sonst behalte ich es selber."
Für die Ziehungen bezahlen, die stattgefunden hatten! Emanuel lief seitwärts an der Schranke auf und nieder:
"Man kann doch nicht mehr gewinnen, wenn die Ziehungen vorüber sind!" sagte er.
"Nein, das können Sie nicht. Aber Sie können ja nun diesmal gewinnen."
"Haben Sie gewonnen?" fragte er plötzlich und blieb stehen.
..Nein."
Die Dame, die auf ihrem Stuhl vor dem Schreibtisch sah, legte den Kopf schelmisch auf die Seite und nickte:
"Aber Sie haben die Nummer ja geträumt!" sagte sie. "Dann gewinnen Sie sicher."
Thomsen sank in die Knie.
"Woher – Wie – Wer?"
Die alte Dame lächelte noch immer:
"Ihr Name?" fragte sie. – "Und die Adresse?" Emanuel nannte mechanisch Namen und Adresse. Er hatte förmlich Ehrfurcht vor der Frau bekommen.
Aber dann kamen sie zu der Geldfrage, und sie nannte die Summe. – Ob er es nicht etwas billiger bekommen könnte? – Nein, hier gebe es nur feste Preise! – Wie lange es Gültigkeit habe? Es sei ein fortlaufendes Los, das gelte für alle sechs Ziehungen. – Ja, aber wenn man nun in der ersten Ziehung gewönne, so sei ja doch all das Geld weggeworfen!
Jetzt riß der alten Dame die Geduld.
"Sie sind hier in keinem Krämerladen", sagte sie und stand mit einem Ruck von ihrem Stuhl auf. – "Wollen Sie das Los haben, mein Herr, oder wollen Sie es nicht haben?"
Die Geschichte hätte sich noch sehr in die Länge ziehen können, wenn nicht eine neue Kundin gekommen wäre.
Emanuel griff hastig nach dem Los und wollte es in die Tasche stecken.
"Hier ist das Geld!" sagte er und zog das Portemonnaie aus der Tasche.
"Danke! Aber das Los muß erst gestempelt werden."
"Gestempelt werden? Womit?"
"Mit meinem Namen und meiner Adresse. Sonst vergessen Sie ja, wo ich wohne!"
"Nein!"
"Ach was!" sagte die alte Dame. "Gestempelt werden muß es doch!"
Thomsen lieferte widerwillig das Dokument zurück. Er kehrte absichtlich die Rückseite nach oben, damit die Neuangekommene die Nummer nicht lesen sollte.
Dann wurde ihm endlich das Papier in ordnungsmäßigem Zustand ausgeliefert; sorgfältig barg er es in seinem Taschenbuch.
Er blieb noch einen Augenblick stehen.
"Man braucht es wohl nicht beim Landvogt oder sonst irgendwo anzumelden?" fragte er.
"Nein!"
"Und wenn man nun gewinnt?"
"Ja, dann sehen Sie es in der Ziehungsliste."
"Kann man sich darauf verlassen?"
"Ja!"
"Und in der Stadt erfährt niemand davon?"
"Nein, Sie und ich sind ja die einzigen, die wissen, welche Nummer Sie haben! – Adieu, Herr Thomsen!"
"Adieu!"
Die Lotteriedame hatte sich schon zu der neuen Kundin gewandt, einer älteren Frau mit einem Korb auf dem Arm, als Emanuel das Wesen sanft beiseite schob, sich über die Schranke beugte und sein Gesicht dem Ohr der Kollektrice näherte:
"Es soll auch nicht an einer kleinen Erkenntlichkeit fehlen, wenn man gewinnt!" flüsterte er und blinzelte diabolisch mit seinen kleinen Schweinsaugen.
"Ich danke Ihnen, mein Lieber!" sagte sie. "Ich werde tun, was sich tun läßt."
Thomsen nickte verständnisvoll, blinzelte noch einmal, diesmal aber nur mit dem einen Auge, und entfernte sich.
Als er an die Haustür gekommen war, nahm er das Los aus der Brieftasche und studierte es genau.
Und da ward ihm plötzlich ganz schwindlig vor lauter Glück!
Jetzt wußte er es, wußte er es, wußte er es, daß er gewinnen würde! Denn auf dem Stempel, den die Kollektrice dem Los aufgedrückt hatte, stand: Larslejsträde 23, Kontorzeit 8–11. – 23, 8, 11! Genau die Zahl, die auf der Tafel gestanden hatte! Genau die Nummer, die sein Los trug! Deswegen also war ihm der Vater zweimal erschienen!
Und obendrein hatte der alte Thomsen auch noch Lars geheißen! Ein Zweifel war nicht mehr möglich!
Manuel zitterte am ganzen Körper vor Erregung, er faltete unwillkürlich seine Hände, und es fehlte nicht viel, so wäre er in seinen besten Hosen mitten auf die schmutzige Diele niedergekniet, um Gott dem Allmächtigen, dem Schöpfer Himmels und der Erde, für seine große Güte zu danken.
Aber er besann sich doch noch rechtzeitig, fuhr nur wie eine Rakete aus der Haustür hinaus und die Treppe hinab, eilte schiefer denn je nach dem Bahnhof, sprang in den Zug hinein und fuhr nach Hause, während es in ihm sang und jubelte wie der Ton fröhlicher Glocken. Und während der zwei Stunden, die die Ausfahrt nach dem Städtchen währte, hielt er wohl hundertmal mit schmetternden Hörnern und wehenden Fahnen seinen Einzug auf das Gut seiner Väter!
Ach! – aber jetzt waren fünf Jahre seit jenem glückseligen Tage verstrichen, und noch hatte er nicht einmal ein Viertel eines Prämiengewinnes gewonnen.
Sechsundzwanzig Kronen und zwanzig Öre kostete ihn das Los alljährlich. Und fünfmal sechsundzwanzig Kronen und zwanzig Öre waren hundertundeinunddreißig Kronen; das Porto gar nicht einmal mitgerechnet!
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Es bestand ein wunderbares Verhältnis zwischen Konsul Mörch und Zollkontrolleur Knagsted.