"Das ist auch Unsinn!"
"Bewahre, ist es Unsinn! Sie hat im Frühling Tierarzt Hansen kuriert, der, wie du ja weißt, eines Nachts lahm auf der einen Seite wurde."
"Davon weiß ich nichts."
"Ja, aber das hat sie wirklich getan. Und nun kann er wieder gehen und auf Praxis fahren!"
"Hm! Es ist wohl nicht so schlimm gewesen wie bei mir!"
"Genau so! Es war Apoplexie. Seine Zunge war auch gelähmt!"
Mörch sandte seinem Freund einen schielenden Seitenblick zu. Aber das Gesicht des Zöllners war ein verschlossenes Buch. Dann sagte der Konsul:
"Und er hat sich erholt, sagst du?"
"Vollständig! Er könnte sehr gut mit den Kindern da drüben um die Wette laufen."
"Hm – Was hat sie ihm denn gegeben?"
"Etwas in einer Flasche. – Was meinst du, wenn du wieder auf den Klubball gehen könntest, alter Jägersmann?"
"Unsinn!"
"Der Tierarzt erholte sich in drei Wochen!"
"Ich kann ja nicht zu ihr hinauskommen!"
"Das könntest du wohl allenfalls! Aber du kannst sie ja auch holen lassen."
"Kommt sie denn?"
"Natürlich kommt sie! – Denk nur, wenn du deine Martinsgans im Hotel essen könntest!"
"Unsinn, Knagsted", brummte der Konsul. Aber in seinem tiefsten Innern zuckte doch eine kleine Hoffnung.
"Du solltest es doch einmal versuchen, Mörch!" fuhr der Zöllner unverdrossen fort.
"Versuchen kann ich es ja gern. – Und der Tierarzt verspürt nichts mehr, sagst du?"
"Er ist gesund wie ein Fisch. Viel gesünder als vor seiner Erkrankung."
"Und die Frau kommt, wenn ich sie holen lasse?"
"Unbedingt!"
"Ja, ja!" sagte der Konsul und wiegte frisch belebt den Kopf hin und her. – "Wenn ich noch mal wieder ein ganzer Mann werden könnte. Knagsted! hm! hm! Nun bin ich seit sechs Jahren kein Mensch gewesen. – Ach, du lieber Gott! Ja, ja!"
Mörch saß auf der Bank und wippte vor Freude hin und her. Seine geschwollenen gichtischen Hände umklammerten krampfhaft den Stock, und seine Lippen bewegten sich unablässig.
Knagsted schielte zu ihm hin, und die Pupillen in seinen Augen zogen sich boshaft zusammen wie bei einer Katze, die eine Maus fixiert.
"Aber du mußt dich doch in acht nehmen, Mörch!"
"Wieso?" fragte der Konsul erschreckt. Und es war, als glitt ihm bei dem Tonfall in des Zöllners Stimme eine eiskalte Spirale durch das Rückgrat.
"Du mußt recht vorsichtig sein, sage ich."
"Weshalb?"
"Ja, denn da drüben in Jütland, wo ich herkomme, war auch eine kluge Frau –"
"Hm –" (Mörch sank mehr und mehr zusammen).
"Sie gab einem Manne einmal eine verkehrte Medizin –"
"So? –" Es klang wie ein Stöhnen.
"Diese Art Leute sind ja nicht ganz so zuverlässig wie die Ärzte –"
"Nein –"
"Sie haben ja kein Examen gemacht – Sie haben ja kein Examen gemacht, sage ich!"
"Nein, ich kann ganz gut hören, Knagsted!"
"Und sie dürfen ja eigentlich nicht praktizieren."
"Nein! –"
"Damit kein Unglück geschieht. Diese Frau hatte verkehrte Kräuter gebraucht –"
"Hm! – Und der Mann?"
"Der Mann? Ja, der starb! Sie hatte ihm Gift gegeben. – Na ja, das war natürlich ein Unglück, verstehst du, alter Freund! He! Die Frau in Bragby ist ganz zuverlässig."
Der Konsul antwortete nicht. Er war wieder zusammengesunken. Der Kopf war auf die Brust gesenkt, und die Arme hingen schlaff an den Seiten nieder.
Der Zöllner aber erhob sich plötzlich von der Bank:
"Ja, dann müssen wir wohl so allmählich weitergehen."
Und ohne eine Lebensäußerung von seinem Freund abzuwarten, schob er den Arm in den seinen, zog ihn in die Höhe und schleppte ihn weiter auf dem Wege, der nach dem Friedhof fühlte.
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Karen Thomsen war, wie gesagt, in jeder Hinsicht glücklich und zufrieden mit ihrem Aufenthalt in der Provinzstadt.
Nachdem sie seinerzeit über den Tod des Mannes und die Aufregung, die der Verlauf des Geschäfts und der Aufbruch und der Umzug mit sich gebracht hatten, erst hinweggekommen war, fing sie an, sich auf die angenehmste Weise in ihr neues Leben hineinzufinden.
Und wenn sie ganz ehrlich sein sollte, so sagte ihr das friedliche, stille Leben in dem kleinen Hause in der Südstraße weit mehr zu als das geschäftige Treiben auf dem Mühlenhof, wo sie sich vom Morgen bis zum Abend keine Viertelstunde Ruhe gegönnt hatte, vor Angst, daß irgend etwas in dem großen Haushalt vernachlässigt werden könnte.
Gar nicht zu reden von der anstrengenden Krankenpflege der beiden letzten Jahre und der drohenden Angst vor dem immer mehr heranrückenden Ruin.
Natürlich hatte die Frau ihren Mann geliebt. Das heißt, so auf Bauernart, im Grunde hatte sie eigentlich nur einen ungeheuren Respekt vor ihm gehabt nach dem guten alten Rezept: Ihr Weiber seid euren Männern untertan und gehorsam in allen Dingen!
Und natürlich hatte sie geweint, als er gestorben war, und hatte schwarzgekleidet dem Begräbnis beigewohnt.
Aber sie nahm die Ereignisse hin, wie sie kamen, ohne zu murren oder mit ihnen ins Gericht zu gehen: besser für Lars und sie, daß er endlich ausgekämpft hatte, als daß er vielleicht jahrelang hätte zu Bett liegen müssen zur Qual und Plage für sich selber und andere; und keiner Menschenseele zu Nutz und Frommen.
Und Manuel? Er war ja sein Leben lang daheim umhergegangen und hatte herumgepusselt und gekramt, der Ärmste.
Sie hatte dem Vater einmal ängstlich und zögernd vorgestellt, ob es nicht am besten für den Knaben sein würde, wenn er ein wenig unter Fremde käme und andere Sitten und Gebräuche kennenlernte. – Aber davon konnte keine Rede sein! Weder der Vater noch der Großvater, der damals noch lebte, konnten es sich vorstellen, den Anblick des Knaben auch nur einen Tag entbehren zu müssen!
"Na ja!" hatte die Frau hierauf nur erwidert und war an ihre Beschäftigung gegangen.
Und Manuel war auf dem Mühlenhof geblieben.
Damit soll jedoch durchaus nicht gesagt sein, daß er müßig umherging und die Zeit totschlug. Keineswegs! Er war vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Tätigkeit. Er half seinem Vater in der Mühle und auf dem Felde, fuhr Futter für das Vieh ein und im Herbst Korn in die Mieten und Scheuern.
Aber seine liebste Beschäftigung war es doch, mit Großvater Thomsen umherzugehen. Sie machten sich an den Gebäuden und im Garten zu schaffen. Sie weißten und malten, schrubbten, hackten, pflanzten und beschnitten. Die Häuser schimmerten zu dieser Zeit wie frischgewaschene Tischwäsche. Und auch nicht ein Grasbüschel wuchs zwischen den Pflastersteinen des Hofes. Keine Unkrautpflanze war auf den Beeten oder in den Gartensteigen zu erblicken. Flog