weißen Kopf.
Aber die romantische Frau Lassen, die immer irgend etwas "Poetisches" hatte, wofür sie sich interessierte, und die sich eben erst so in Zollkontrolleur Knagsted geirrt hatte, fuhr, ohne sich an Madam Thomsens Ablehnung zu kehren, fort:
"Ach Gott, wie reizend muß es doch sein, so wieder in das Heim seiner Väter einziehen zu können, entzückend! Wenn es auch noch so klein ist; denn es ist ja nur ein kleineres Gehöft. Madam Thomsen. – Aber wenn man sich denkt, daß man wieder in denselben Stuben wohnt! Und unter denselben Bäumen sitzt! Und dieselben Äcker pflügt! Ich bitte Sie, Frau Heilbunth! Und des Abends, wenn die Sonne untergeht, das brüllende Vieh in die Ställe zieht, während die heiligen Schläge der Kirchenglocken über die dämmernde Landschaft hintönen, – ach!"
In Frau Lassens Hals setzte sich ein Begeisterungskloß fest, sie mußte innehalten.
Karen Thomsen aber saß ganz kühl da.
"Wir sind mit unserm Los zufrieden", sagte sie. Und es war nicht möglich, mehr aus ihr herauszubringen.
Sonst war sie einer kleinen Unterhaltung durchaus nicht abgeneigt. Sie war ja den größten Teil des Tages allein, während Emanuel seinen verschiedenen Beschäftigungen nachging oder oben auf der Bodenkammer saß und seine Lederarbeiten anfertigte.
Zuweilen saßen fünf bis sechs Damen auf einmal in dem kleinen Wohnzimmer; und so kann man sich ja denken, wie die Münder gingen.
Es war wie ein Entenstieg zur Abendzeit! "Rapp, Rapp – Rapp", ging es durcheinander, und die Damen ließen alle kleinen Ereignisse und Skandale des Städtchens Revue passieren.
Und Mutter Karen saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster und lauschte lächelnd vergnügt.
Aber dann konnte plötzlich einmal eine der Damen auf den Einfall kommen, zu sagen:
"Ach, Madam Thomsen, Frau Brandstrup möchte so schrecklich gern Ihren Hahn einmal sehen."
"Ach, ja, bitte", bat Frau Brandstrup, die neu im Kreise war.
Sofort verschwand das Lächeln aus Karens Gesicht.
"Nein, nein", sagte sie schnell und schüttelte entsetzt den Kopf. "Manuel mag es nicht."
"Er ist ja aber nicht zu Hause, Madam Thomsen."
"Nein, aber wenn er käme!"
"Ach liebe, gute Madam Thomsen!" bettelte Frau Brandstrup.
"Nur mal hineingucken?" sagte Frau Heilbunth.
"Das kann doch dem Tier wahrhaftig nicht schaden!" meinte Frau Lassen.
"Wir kaufen doch immer alles so getreulich bei Ihnen!" sagte Fräulein Rejersen, die schwerhörig war und deswegen ziemlich laut sprach.
Die alte Karen wand und drehte sich. Aber es endete stets damit, daß sie nachgab. Manuel hatte ja selber einmal gesagt, man dürfe die Kunden nicht vor den Kopf stoßen. Und wenn er es nun gar nicht einmal erfuhr – –!
Sie schlich durch den Laden hinaus, öffnete die Tür ein klein wenig und spähte nach beiden Seiten der Straße, ob der Sohn etwa im Fahrwasser zu erblicken sei.
Dann kam sie wieder herein.
"Nein, er ist nicht zu sehen", sagte sie. Und ganz auf den Zehenspitzen ihrer grünen Morgenschuhe bewegte sie sich nach der Tür der Küche, während sie geheimnisvoll mit der Hand winkte.
"Kommen Sie dann nur", flüsterte sie. "Aber Sie müssen sich beeilen, meine Damen!"
Und die Damen wurden von ihrem mystischen Gebaren angesteckt und folgten ihr schweigend mit lautlosen Schritten und erwartungsvoll weit geöffneten Augen durch die kleine Küche, in der eine Menge alter Kupfersachen ringsumher an den Wänden hing und wie lauteres Gold blitzte.
Draußen auf dem Hofe öffnete Karen die Tür zu dem Schuppen.
"Sst!" sagte sie.
Und die Damen scharten sich um sie und guckten Kopf an Kopf in den halbdunklen Raum.
"Da sitzt er", sagte Frau Heilbunth leise. "Seht nur! Seht!"
Und dort saß Mortensen in seiner Ecke unter dem Fenster. Das Licht fiel nur spärlich durch die winzig kleinen Fensterscheiben. Unbeweglich saß er da, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen geschlossen. Mager war er und abgezehrt. Kahle Stellen schimmerten rings auf dem Körper hervor; und an dem Schwanz hingen die beiden geknickten, zerzausten Federn. Aber die mächtigen Sporen an seinen Fersen schnitten einander wie zwei Sicheln. – Ein Don Quichotte unter den Vögeln!
Plötzlich öffnete der Schnabel des Tieres sich langsam und ruckweise, er machte einen Versuch, den Kopf zu erheben, und seine fast federlosen Flügel bewegten sich schwach.
"Jetzt kräht er!" flüsterte Madam Thomsen. "Das kommt, weil es hier heller geworden ist."
Aber es kam nicht ein Laut aus der Kehle des Tieres.
Leise schob Madam Thomsen die Tür zu und befestigte den Haken. Und dann kehrte man wieder in das Zimmer zurück.
Hier erst lösten sich die Zungen der Damen wieder.
"Hu, wie schrecklich er aussah!" sagte Frau Brandstrup schaudernd.
"Abscheulich!" sagte Frau Heilbunth.
"Daß Sie den behalten mögen!" sagte Frau Lassen.
"Sie sollten ihn totschlagen!" schrie Fräulein Rejersen.
"Ihn totschlagen!" Mutter Karens Augen öffneten sich weit vor Entsetzen. "Wenn ihm etwas zustößt, dann –" (aber sie schloß schnell den Mund und schwieg).
"Was dann?" fragte man.
"Ach nichts," lächelte die Alte in ihrer gewohnten, sanften, höflichen Weise, "das sind ja nur Narrenstreiche."
"Ja, aber was ist es denn? Warum können Sie das abscheuliche Tier nicht totschlagen?"
"Sst! Sst!" sagte Karen und guckte unruhig nach der Tür, die zu dem Laden führte. – "Sie müssen nicht so reden, meine Damen! Wenn Manuel käme und es hörte!"
Und mehr konnten die Damen nicht aus ihr herausbringen.
Aber als die Fremden gegangen waren und Madam Thomsen wieder allein in der Stube sah, fing sie an, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen: wenn nun dem Hahn etwas zustieß, so – denn das hatte Manuel ja selber gesagt, daß sie dann das Gehöft niemals bekommen würden. – Und dann konnte sie bis an ihr seliges Ende in Frieden hier sitzenbleiben. – Und dies elende Geschöpf ums Leben zu bringen, war ja –
Als aber die Alte in ihrem Gedankengang so weit gelangt war, faßte sie ein schauderndes Entsetzen, daß der liebe Gott ihre sündigen Gedanken lesen könne.
Und in ihrer Herzensangst fing sie an zu singen und den Takt mit dem Fuß dazu zu schlagen, um den Teufel und seine ganze böse Sippe aus dem Hause zu vertreiben.
"Wir sollen es dem lieben Gott überlassen", murmelte sie und nahm ihre Näharbeit wieder auf. – "Ach ja! Ach ja! Wer nur den lieben Gott läßt walten –"
"Ahem, ahem, ahem. Krr!"
"Du mußt in den Ofen spucken, Mortensen."
"Hm! Ja! – Pfui. Kuckuck. Ich wollt', der Teufel holte meinen Husten!"
Es war der alte Mühlen- oder Menschen-Mortensen, wie er auch genannt wurde. Er war zu Besuch bei Emanuel. Er kam zuweilen des Sonntags angehumpelt. Und dann zogen die beiden Männer sich auf Thomsens Mansardenstübchen zurück und redeten über die Zeit, die entschwunden war, und die Zeit, die kommen sollte.
Mutter