Linden, während die Vögel ihr Abendlied sangen und die weiße Kirche hoch oben über den niedrigen Dächern des Städtchens wie Schnee und Marmor schimmerte.
Es war an einem solchen Abend. Und der Kies knirschte unter den Füßen der Spaziergänger.
Da ging Frau Stadtkassierer Lassen mit Frau Redakteur Heilbunth, die "Siamesischen" nannte man sie. Und da ging Pastor Engelhardt mit seiner kleinen spitznäsigen Frau, die seinen Verkündigungen die Würze verlieh. Und der athletische Bäckermeister Windberg, dessen Mamsells in der Regel Zwillinge bekamen, ging dort. Und der Küster Kiär mit seiner Haushälterin. Und Materialwarenhändler Rübensie und Holzhänder Kühle und die Klassenlotteriekollektrice Brandstrup und noch viele andere. Und auf der Bank, die mit dem Rücken nach Kreisarzt Smiths Garten stand, saß Oberlehrer Clausen, der unglücklicherweise der alten Olivia Rejersen, der Schwester des Bürgermeisters, in die Arme gelaufen war.
Sie war stocktaub, das Fräulein Olivia Rejersen, und jedesmal, wenn der Oberlehrer eine ihrer zahlreichen Fragen beantworten wollte, mußte er sich zu ihr herabbeugen und aus voller Kraft seiner Lunge in ein ungeheures Waldhorn von Hörrohr tuten, das sie mit einer unglaublich geschwinden kleinen Bewegung in ihr linkes Ohr pflanzte.
Oberlehrer Clausen war der einzige der "Freßsäcke", der sich jemals herabließ, die Promenade zu besuchen.
"Wer kommt denn da?" fragte Fräulein Rejersen, – "die mit den roten Federn!"
"Das ist Frau Oppermann!" brüllte der Oberlehrer, in das Waldhorn.
"Was sagen Sie, Herr Clausen?"
"Frau Oppermann!"
"Ach so, – die Hebamme?"
"Nein! Sie hat eine Buchhandlung!"
"So? Wie heißt denn die Hebamme?"
"Frau Fredriksen!"
"So, also das ist Frau Fredriksen! Ich kann die beiden Damen nie auseinander halten!"
"Nicht?"
"Was sagen Sie!"
"Nicht?"
"Nein, wahrhaftig nicht! Großartig, wie sie sich herausgeputzt hat!"
"Ja!"
"Was sagen Sie? Sie müssen lauter sprechen!"
"Ja-a-a!"
Frau Oppermann schritt grüßend und sich verneigend durch die Menge. Ihr folgten ihre fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Knaben, allerliebst und schick in Kleidung und Schuhwerk.
Jedes Gespräch verstummte, wo sie vorüberglitt. Die Augen der Männer strahlten. Aber die Lippen der Frauen wurden stramm.
"Famoses Weib!" sagte Holzhändler Kühle und puffte Materialwarenhändler Rübensie mit dem Ellenbogen in die Seite. – "Dessertschokolade, Alter!"
"Suchard N. I", sagte Rübensie. Und Küster Kiär zupfte, von seiner Haushälterin ungesehen, Bäckermeister Windberg am Rockschoß und flüsterte:
"Wiener Torte, wie?"
Frau Stadtkassierer Lassen sah sich freilich gezwungen, zu Frau Redakteur Heilbunth zu sagen, sie begriff es nicht, woher diese Frau Oppermann die Kleider bekäme, mit denen sie sich und ihre Kinder herausputzte!
"Denn, du lieber Gott, Frau Heilbunth, die Buchhandlung. – ich bitte Sie! Wer kauft wohl Bücher? Die leiht man sich doch!"
Was aber Frau Lassen am meisten empörte, war, daß Frau Oppermann auch ein Feueranbeter von J. P. Jakobsen war, und daß sie ihrem ältesten Ableger in der Taufe den Namen Mogens gegeben hatte, während sie, sobald nur jemand es hörte, die übrigen in Bausch und Bogen unter der Bezeichnung: "meine anderen Novellen" zusammenfaßte.
Und diese wirklich bedeutende, geistreiche Bemerkung konnte Frau Lassen der Dame nicht verzeihen. Teils weil sie (Frau Lassen) sie nicht selber ausgeheckt hatte. Teils aber, und wohl hauptsächlich, weil die Verbindung der Frau Stadtkassierer mit Herrn Lassen trotz fünfzehnjähriger unwandelbarer Treue stets unfruchtbar geblieben war.
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Die Sonne war untergegangen. Und über dem Fjord begann der Abendnebel in großen, wogenden Schleiern aufzusteigen. Hin und wieder ging ein leichtes Sausen durch die Kronen der Linden, und die großen, herzförmigen Blätter zitterten auf ihren feinen Stengeln. Der Vogelgesang war verstummt.
"Es fängt wahrhaftig schon an, kühl zu werden!" schrie Fräulein Rejersen.
"Ja–a!" brüllte der Oberlehrer in das Hörrohr hinein. "Sie sollten nach Hause gehen. Fräulein!"
"Ja, ich glaube, das tue ich auch! Adieu. Herr Clausen! Es ist mir ein Vergnügen gewesen!"
"Danke, gleichfalls!"
"Was sagen Sie?" "Danke, gleichfalls!"
"Ach, ich bitte!"
Und dann trennten sie sich.
Der Oberlehrer blieb allein auf der Bank sitzen. Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite und sah sich nach der kleinen alten Dame um, die mit ihrem zierlich erhobenen Kleide von dannen trippelte.
Dann lächelte er gutmütig, streckte die Arme in die Luft und gähnte herzhaft.
"Sie haben sich anscheinend gut amüsiert!" sagte ein tiefer Baß neben ihm. Es war Bäckermeister Windberg.
Der Oberlehrer lachte leise vor sich hin.
"Ja, die alten Vögel müssen zusammenhalten", meinte er.
"Kommen Sie mit?" fragte der Bäcker.
"Nein, ich glaube, ich bleibe hier noch ein wenig sitzen. Es ist so schön hier! – Sehen Sie, – das sieht wirklich gut aus!" nickte er und zeigte über das Wasser, wo der Schleppdampfer des Städtchens sich vorwärts arbeitete mit aus dem Schornstein sprühenden Funken und Licht hinter den kleinen, runden Fensterscheiben des Maschinenraums. Und dahinter hoben sich die dunklen Masten und der große, schwerfällige Rumpf eines Segelschiffes scharf von dem weißgelben Himmel ab.
Der Bäckermeister sah über den Fjord hinaus.
"Ach!" sagte er, "das ist ja nur der Schleppdampfer!"
Und dann wandte er sich um und ging.
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Es wurde immer dunkler auf der Promenade. Und in der Stadt wurden die Laternen angesteckt.
Denn es war kein Mondschein.
"Dumm, Dummelum. Dumdum!" summte der Oberlehrer und schlug den Weg zum Hafen hinab ein.
Das Zollgebäude lag dunkel und verschlossen da. "Die leibhaftige Bosheit" war nach Hause gegangen in ihre einsamen Stuben.
Hinter den Fenstern der kleinen, niedrigen Häuser am Hafenplatz schimmerte Licht. Und man hörte von drinnen Stimmen, die sprachen, und Gesang und fröhliches Lachen. Zuweilen aber auch brummendes Schelten, Kinderweinen, lautes Geschrei und donnernde Schläge auf den Tisch.
Der Oberlehrer bog nach links ab und schlug den Weg ein, der über den Grauen-Bruder-Hügel führte, von wo sich eine Aussicht über das Land nach Westen zu eröffnete und von wo man Häuser und Gehöfte in weiter Ferne auf den nebligen Feldern auftauchen sah. Aber gen Osten, unten am Fuß des Hügels, lagen die Stadt und die Kirche zusammengekrochen, Haus an Haus, wie eine Schar Küchlein unter den Flügeln einer Henne.
Und weiter ging er. Vorüber an der Gerberei und der Südmühle, deren nackte Flügel, ein Kreuz bildend, feinen, luftigen Leitern glichen, die direkt in den Himmel hineinführten.
Wo