Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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lagen.

      Emanuel stand da, die Hände tief in den Hosentaschen und betrachtete die heilige Stätte.

      Da lag nun Rentier Eriksen und sollte wieder zu Erde werden, davon er genommen war! Man erzählte sich in der Stadt, er sei so entsetzlich aufgeschwollen, daß die Familie befürchtet habe, er würde platzen, ehe sie ihn in die Erde bringen konnten. Das war die Strafe für das unmäßige Essen und Trinken, womit er sich bei Lebzeiten vollgepfropft hatte! Die Rache ist mein, spricht der Herr. Und Gott dem Allmächtigen sei Lob und Dank, daß man so genügsam und anständig – –

      Die Gitterpforte drüben am Prinzessinnensteig knarrte in ihren Hängen. Und Manuel eilte schnell einen Seitengang hinab und verbarg sich hinter ein paar Büschen.

      Es war das alte Fräulein Olivia Rejersen, das angetrippelt kam, klein und geschwind, einen Regenschirm in der Hand, während ihr das Waldhorn aus der Kleidertasche hervorguckte.

      Als sie an der Grabstelle des Luxusbauchs angelangt war, blieb sie stehen und späht vorsichtig nach allen Seiten, wie ein Huhn in einem Erbsenbeet.

      Thomsen richtete sich auf den Zehenspitzen auf und steckte das Gesicht zwischen den Büschen heraus. Das Göttliche war ganz von ihm abgestreift. Er war jetzt ganz Mensch.

      Olivia beugte sich über das Grab nieder, schnappte mit ein paar schnellen Griffen drei oder vier der schönsten Blumen weg und verschwand damit hinter der Kapelle.

      Emanuels sämtliche Glieder wurden steif wie ein Stahlwurm:

      "Des Bürgermeisters leibliche Schwester!" murmelte er. – "Des Bürgermeisters leibliche Schwester!"

      Dann schlüpfte er aus seinem Versteck hervor und schlich hinter ihr drein. Als er die Kapelle erreicht hatte, nahm er den Hut ab und schlich sich bis an eine der Ecken.

      Die Waldhornistin stand gerade vor Schmiedemeister Sörensens Familienbegräbnis. Sie beugte sich über das Gitterwerk und schnitt mit einem kleinen Messer eine Menge Knospen und halb erschlossener Blüten von den Rosensträuchen da drinnen ab.

      Aber als sie sich umwandte, hatte sie doch keine einzige Blume in den Händen.

      Dann schwankte sie auf eine neue Grabstätte zu, spähte und schnitt drauflos. Und von einem Grab zum andern lief sie und schnappte hier eine Blume, dort eine Knospe weg. Aber wo in aller Welt blieb sie denn damit?

      Thomsen zitterte vor Erregung. Und als die alte Dame sich nun auch der Stätte näherte, wo sein Vater und sein Großvater begraben lagen, konnte er sich nicht länger beherrschen. Er sprang aus seinem Versteck hervor, fuhr auf sie ein und packte sie beim Arm, als sie gerade im Begriff war, eine große, dunkelrote Rose abzuschneiden.

      "Aber meine Dame!" schrie er, und seine Stimme bebte. – "Fräulein! Was machen Sie da?"

      Olivia stieß einen Schrei aus und ließ das Messer fallen. Als sie aber sah, wer der Angreifer war, ermannte sie sich augenblicklich, richtete ihre kleine Gestalt auf, warf den Kopf stolz in den Nacken und sagte äußerst indigniert:

      "Aber Mensch!"

      "Was machen Sie da?" wiederholte Emanuel und packte sie fester beim Arm.

      "Lassen Sie mich los, verrückte Mannsperson!" sagte sie.

      Thomsen ließ aber nicht los.

      "Wo haben Sie die Blumen gelassen?" fragte er.

      "Lassen Sie mich los, sage ich Ihnen!"

      "Ich lasse Sie nicht los! (Manuel war leichenblaß vor Erregung.) Was haben Sie mit den Blumen angefangen?"

      "Was sagen Sie? Ich kann nicht hören, das wissen Sie ja!"

      "Unsinn!" sagte Thomsen brutal. Und plötzlich riß er ihr den Regenschirm aus der Hand. Er hatte ein grünes Blatt entdeckt, das daraus hervorguckte.

      "Aber da sind sie ja!" sagte er.

      Die Waldhornistin kreischte.

      "Unverschämter Kerl!"

      Manuel aber spannte resolut den Regenschirm auf; und die Blumen regneten rings um ihn her auf die Erde.

      Schlagfertig sagte das Fräulein:

      "Ich habe Erlaubnis von den Familien bekommen!"

      "Hatten Sie vielleicht auch Erlaubnis, von unsern Gräbern zu stehlen?"

      Olivia entriß ihm gewandt den Schirm und wollte gehen.

      "Sie bleiben hier!" sagte er und vertrat ihr den Weg. – "Wir bleiben, beide hier, bis jemand kommt. Auf einem Friedhof zu stehlen!"

      Die alte Dame konnte nicht hören, was er sagte, aber aus dem Ausdruck seines Gesichts ersah sie, daß die Situation ernsthaft war. Und sie steckte das Waldhorn ins Ohr und fragte:

      "Was wollen Sie eigentlich von mir, Mensch!"

      "Ich will Sie der Polizei ausliefern!" trompetete Thomsen wild vor Pflichteifer.

      "Der Polizei?"

      "Ja! Auf einem Friedhof zu stehlen!"

      " Stehlen! – Die paar Blumen!"

      "Man darf den Toten nichts wegnehmen!"

      "Lassen Sie mich jetzt gehen!"

      "Nein!"

      "Was sagen Sie?"

      "Nein!"

      "Ja, aber ich kann das lange Stehen nicht aushalten", sagte das Fräulein. "Ich habe Nierensteine!"

      "Dann setzen wir uns auf eine Bank."

      "Was sagen Sie?"

      "Dann setzen wir uns auf eine Bank."

      "Ja, was wollen Sie denn nur, Mensch?"

      "Ich will Zeugen haben!"

      "Zeugen?"

      "Ja, die ganze Stadt soll erfahren, daß Sie hierhergehen und stehlen."

      "Ach, lassen Sie mich, bitte, los!" sagte das Fräulein ganz sanft.

      "Nein! Jetzt rufe ich den Totengräber!"

      "Um Gottes willen. Mensch!"

      Emanuel beugte sich ganz tief über das Waldhorn und fragte hastig:

      "Was wollen Sie mir geben?"

      "Geben?"

      "Ja, wenn ich Sie loslasse?"

      "Wollen Sie Geld haben?"

      "Ja! Dann will ich nichts sagen. – Beeilen Sie sich, da kommt jemand!"

      Manuels Augen sprühten Funken, und er glich in diesem Augenblick einem fetten Fuchs, der auf Raub ausgeht.

      "Beeilen Sie sich! Beeilen Sie sich!"

      "Ja, aber ich habe doch –"

      "Jetzt ist es zu spät!" sagte Thomsen und packte sie wieder beim Arm. – "Da ist er!"

      Auf dem Kieswege hinter der Kapelle wurden schwere, knirschende Schritte hörbar, und der Totengräber kam um die Ecke.

      "Es soll jetzt geschlossen werden", sagte er. "Darf ich Sie ersuchen, den Friedhof zu verlassen?"

      Fräulein Rejersen wand sich, um loszukommen. Manuel aber hielt sie fest.

      Der Totengräber trat näher heran.

      "Was geht hier vor sich?" fragte er. Und als er die beiden