Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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eifrig!"

      Wulfdine saß auf einem Stuhl am Fenster und guckte aus. Auf dem Fensterbrett vor ihr stand der Nähkasten, und von Zeit zu Zeit blies sie ein Staubkorn von einer der Muscheln, blies und trocknete mit dem Taschentuch sorgfältig nach.

      "Da kommt Manuel!" sagte sie und klappte zusammen.

      Die Ladenglocke klingelte.

      "Ich bin es!" sagte eine Stimme. Und Thomsen trat in das Zimmer.

      Er sah sich um, als erwache er. Dann ging er hin und drückte den Gästen die Hände.

      "Guten Tag, Onkel Jakob! Guten Tag, Wulfdine!"

      Hätte Wulfdine eine leere Zementtonne gehabt, in die sie hätte hineinkriechen können, sie würde es getan haben. Es knackte und krachte in ihr vor Geniertheit. Manuel aber schien ihre Verwirrung nicht zu bemerken.

      "Nun, wie befindet man sich?" fragte er.

      "Danke, Dine und mir geht es gut; wir beklagen uns nicht!"

      "Kann ich den Kaffee einschenken, Manuel?"

      "Gibt es Kaffee, Mutter Karen?" Thomsen sandte seiner Mutter einen wütenden Blick zu.

      "Ja, ich dachte, weil –" stammelte sie.

      "Ja, dann schenk' nur ein!" unterbrach Manuel sie.

      Karen schlich in die Küche hinaus.

      "Wulfdine wollte ja so gern zu Markt," begann der Küster.

      "Hm, ja!"

      "Und so kamen wir denn hierher. Wir fuhren mit dem Schulzen zusammen."

      "So!"

      Schweigen.

      "Du hast wohl augenblicklich viel zu tun, Manuel?" begann der Onkel von neuem.

      "Man muß ja das tägliche Brot verdienen!"

      "Ja–a. Besuchst du uns nicht einmal am Sonntag?"

      Wulfdine senkte den Blick und versank in den Fußboden.

      "Der Sommer ist jetzt ja bald vorüber, Onkel Jakob."

      "Hm, das ist er ja. Aber du weißt doch, daß du uns jederzeit willkommen bist!"

      "Ja – danke, das weiß man –"

      Manuel ging ratlos im Zimmer auf und nieder. Und seine Verwandten betrachteten ihn mit scheuen Seitenblicken, denn Mutter Karen hatte ihnen, als sie allein waren, ihr Herz ausgeschüttet.

      "Wir haben auch eine halbe Tonne Kartoffeln mitgebracht", versuchte der alte Jakob zum dritten Male. "Ich habe sie drüben in den Schuppen hineingesetzt."

      "Danke," nickte Thomsen und klärte sich ein wenig auf, "die wachsen hier in der Stadt ja auch nicht auf den Straßen!"

      "Nein, natürlich nicht! Aber den Sack möchte ich gern wieder mithaben. Du kannst die Kartoffeln wohl ausschütten."

      "Das will ich tun. Hast du Mortensen da drüben gesehen?"

      "Ja–a!"

      "Er ist recht jämmerlich!"

      "Er ist ja schon alt!"

      "Glaubst du, daß er es diesen Winter noch macht?"

      "Du solltest ihn gewiß in die Wärme hineinnehmen."

      "Wenn er mir nun stürbe!"

      Manuel blieb plötzlich stehen und starrte den Onkel wild an.

      "Er hält sich wohl, Manuel!"

      "Wenn er stürbe, wäre das Ganze vorbei!"

      "Ach nein, nein!"

      Wulfdine hatte ihren Kasten mit allen seinen Muscheln über dem Anblick des Vetters gänzlich vergessen. Ihre Augen waren bekümmert, – demütig. Und ihre dicken, roten Hände hatte sie unwillkürlich vor sich in den Schoß gefaltet. Klein, rundlich und untersetzt, wie sie war, glich sie mit ihrem runden Gesicht, ihren kleinen Augen und ihrem blonden Haar Emanuel ganz auffallend. Nur waren die Augen sanfter und gutmütiger, und der Mund war größer und die Lippen voller. Sie war ein paar Jahre jünger als ihr Vetter, mochte neunundzwanzig oder dreißig zählen. Und seit der Zeit, als sie miteinander im Garten des Mühlenhofes gespielt, hatte sie eine scheue, ängstliche Liebe zu ihm gehegt. Sie fand, daß er der schönste Mann sei, den sie jemals gesehen hatte. Sie versank in den Erdboden, wenn er sie nur ansah; und berührte er sie zufällig einmal, so wurde sie blaß und rot und zitterte wie im Fieber. Wenn sie Erlaubnis erhalten hätte, immer um ihn zu sein, seine Kleider zu flicken, seine Strümpfe zu stopfen, so würde sie hier auf Erden kein größeres Glück verlangt haben.

      Und Manuel selber hatte diese ihre Gefühle längst entdeckt und gedeutet. Und er fand sie natürlich und nahm sie hin wie sein Recht. Ob er sie erwiderte, das hatte er sich niemals klargemacht; er hatte bisher keine Zeit gehabt, sich für Frauen zu interessieren.

      Mutter Karen kam mit dem Kaffee herein.

      "Bitte, setzt euch an den Tisch. Jakob und Wulfdine! – Bitte, Emanuel!"

      Man setzte sich um den Kaffeetisch, und Madam Thomsen schenkte ein.

      "Du hast die alten Teelöffel noch, Schwester Karen", sagte der Küster und wog seinen Teelöffel in der Hand.

      "Ja," sagte Karen, "man hegt die alten Sachen ja!"

      Thomsen und Wulfdine saßen nebeneinander.

      "Bitte, nehmt von dem Kaffeebrot!" Karen war nach wie vor die Gastfreie.

      Wulfdine klappte über dem Tisch zusammen und bemächtigte sich eines Stückes. Aber sie war in dem Maße verwirrt durch ihre Nachbarschaft, daß ihre Finger plötzlich steif und lahm wurden. Sie saß eine Weile da und bewegte das Stück Kuchen zwischen den Fingern, als verbrenne sie sich daran. Endlich ließ sie es fallen. Und als sie es dann in der Flucht ergreifen wollte, stieß sie in ihrer wahnsinnigen Verlegenheit gegen ihre Tasse, so daß der Kaffee überfloß.

      "Aber Dine!" schrie der Küster, "wie sitzt du denn da! Tante Karens reines Tischtuch!"

      Dine schlug die Hände vor das Gesicht und versank in den Fußboden.

      "Quäle dich darüber nicht, liebe Wulfdine!" sagte Mutter Karen sanft. "Trinke jetzt deinen Kaffee!"

      Manuel aber saß steif und ärgerlich da.

      "Wir kamen an dem Mühlenhof vorüber", sagte Jakob Henriksen, um die Aufmerksamkeit von der Tochter abzulenken. – "Der sieht nicht so aus wie zu eurer Zeit!"

      "Cornelius ist ein Schweinigel!" brauste Emanuel auf.

      "Ja, das ist er wohl", meinte der Küster. "Denkst du noch daran, wieder da hinaus zu ziehen. Manuel?"

      "Was sollte das wohl nützen!" entgegnete Karen.

      Der Sohn sandte ihr einen gehässigen Blick zu.

      "Du redest Unsinn!" sagte er scharf.

      Madam Thomsen beugte den Kopf über das Tischtuch und sammelte ein paar Krumen auf. Und Wulfdine, die sich ein klein wenig aus ihrem Versteck hervorgewagt hatte, verschwand wieder.

      Es herrschte tiefes Schweigen im Zimmer.

      Draußen aber ertönte der Jahrmarktslärm. Man hörte die Leierkasten spielen und auf dem Bürgersteig und dem Straßenpflaster trabten unaufhörlich Menschenfüße vorüber. Man sang und lachte und schrie; und plötzlich fing der Leierkastenmann mit den beiden Drosseln gerade vor der Ladentür zu orgeln an.

      "Ach!"