"Nein, mach', daß du ganz weg kommst", sagte ein kleiner eifriger Spieler und puffte ihn.
"Nanu!" sagte der Klumpen, "ich kann hier doch auch stehen!"
Und damit ging er hin und stellte sich gegen die Kirchenmauer, genau an die Stelle, gegen die die Jungen ihre Kupfermünzen werfen wollten.
" Hier bleibe ich stehen!" sagte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
Der eine Schutzmann des Städtchens, der lange mit dem wütenden Gesicht, Sörensen, kam den Kirchenhügel hinauf. Er witterte mit der Nase wie ein Spürhund.
"Steht ihr hier und spielt an der Kirche während des Gottesdienstes?"
"Nein!" sagten die Spielenden und griffen nach ihren Münzen.
"Was tust du denn da?" fragte er den Fett-Friedrich und ging ihm zu Leibe.
Der Klumpen antwortete nicht. Der Schutzmann konnte ja sehen, daß er nichts tat.
"Wozu stehst du da?" wiederholte der wütende Mann.
"Ich werde die Kirche wohl nicht umstoßen", meinte der Klumpen.
"Bist du frech gegen die Polizei?"
"Nein!"
"Dann mach', daß du fortkommst!"
"Hm!"
Sörensen packte ihn beim Arm und zog mit ihm ab. Friedrich folgte widerwillig wie eine störrische Kuh. Und als der Wütende ihn los ließ, blieb er stehen, während die andern Jungen sich unter lautem Hurrarufen aus dem Staube machten.
Der Schutzmann drohte ihnen und stürzte sich dann auf eine Gruppe Mädchen, die "Paradies" spielten.
"Keinen Lärm während des Gottesdienstes machen", sagte er. Die Mädchen verschwanden unter Kreischen und Schreien den Kirchenhügel hinab. Den Beschluß bildete die sommersprossige Kinderhüterin, eins der Kleinen an jeder Hand hinter sich her schleppend. Die Kinder heulten vor Angst, denn man hatte ihnen aus pädagogischen Rücksichten erzählt, daß Sörensen der Vater des Schornsteinfegers sei.
Und weiter zog der Schutzmann. Er nahm eine Razzia rings um die Kirche vor. Und überall verbreitete er Schrecken und Zerstörung.
Schließlich lag der Platz öde und leer da.
Nur vor dem Kirchenportal stand der Klumpen fest und unbeweglich auf zwei gespreizten Beinen und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er wandte der Kirche seine Kehrseite zu und starrte apathisch den Hügel hinab, hinter den fliehenden Kindern her.
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Drinnen in der Kirche aber arbeitete Organist Clemensen im Schweiße seines Angesichts.
Clemensen besah die ganz korrekte Kunstauffassung, daß jede Leistung eine Steigerung aufweisen muß; sie muß mit einer Art Apotheose enden. Und er verwendete deswegen seine Gesamtkräfte, wenn er die Gemeinde "hinausspielte". Es klang, als wenn er mit Holzschuhen an den Tasten entlang trabte. Und am härtesten trat er zu, wenn er sich oben im Baß bewegte. Aber dann, als der Lärm mit Brausen und Dröhnen und Kreischen und Hilfegeschrei in Masten und Takelagen seinen Höhepunkt erreicht hatte, bums! kamen ein Paar sanfte Flötentöne wie von einem Star oder einem wohldressierten Kanarienvogel. Und dann wieder ein ungeheures Getöse, als stürze die Orgel zusammen. Die Musik schwieg. – Alles strömte durch die weitgeöffneten Türen, man begrüßte Freunde und Bekannte, nickte und lächelte und drückte sich religiös-zögernd die Hände.
Und das Reden begann:
"Eine wunderschöne Predigt!" – "Ja, dieser Pastor Engelhardt, der versteht es!" – "Und Clemensen! Nein, ich bitte Sie, Frau Brandstrup, Clemensens Spiel!" – "Ja, da haben Sie wirklich recht, Frau Lassen, diese Töne!" – "Adieu, adieu, Frau Bürgermeisterin, ich habe mich sehr gefreut, Sie zu sehen!" –
Die erste, die aus der Kirche schlüpfte, war Fräulein Olivia. Sie hegte seit der Geschichte auf dem Friedhof eine an Wahnsinn grenzende Angst vor Emanuel Thomsen. Das Wasser lief ihr am Leibe herunter wie einem Fieberpatienten, wenn sie seiner nur von weitem ansichtig wurde. Man konnte ja nie wissen, worauf dieser verrückte Mensch verfallen würde.
"Olivia! Olivia!" rief die Bürgermeisterin. "Ich möchte gern mit dir sprechen! Olivia!"
"Fräulein Rejersen! Fräulein Rejersen!" schlossen sich diensteifrige Geister an: "Die Frau Bürgermeister will gern mit Ihnen sprechen!"
Die Waldhornistin aber stürzte, wie aus einer Kanone geschossen, über den Markt und verschwand mit einem Aufblitzen hinter Kürschner Hatteras' Ecke. Es war die Sonne, die sich in den Jettverzierungen ihres Hutes spiegelte.
Hoheitsvoll und majestätisch schritt Frau Oppermann, umgeben von ihren Novellen, durch die Gemeinde.
Und es entstand Schweigen, wohin sie kam.
Nur Bäckermeister Windberg und Materialwarenhändler Rübensie grüßten tief und ernsthaft, worauf sie die Röcke zuknöpften und tief aufatmeten.
"Zwetschentorte!" flüsterte Windberg.
"Delikateßfeigen!" murmelte Rübensie.
Emanuel Thomsen und Mutter Karen kamen nebeneinander daher, jeder mit einem Gesangbuch unterm Arm. Emanuels Gesicht war finster und zusammengekniffen, und Madam Thomsen sah mager und sorgenvoll aus. Sie nickte ihren Kunden freundlich lächelnd zu, aber das Lächeln war nicht mehr das alte, fröhliche. Und Manuel lüftete den Hut nur widerwillig. Sie glichen ein paar Erben, die sich von dem Erblasser benachteiligt glauben.
Der Klumpen stand noch an demselben Fleck. Nur daß er sich umgewendet hatte und auf die Kirchentür starrte. Die Vorübergehenden stießen und pufften ihn. Er aber achtete es nicht und rührte sich nicht.
Eine kleine, verwachsene, schwarzgekleidete Dame ward in der Menge sichtbar. Es war die Witwe Frandsen, die Mutter des Klumpen. Sie war mager und blaß und kränklich, und Gott im Himmel mochte wissen, wie sie zu ihrem Friedrich gekommen war.
Die Augen des fetten Knaben strahlten, als er sie erblickte. Entschlossen schob er Männer und Frauen beiseite und ging ihr entgegen. Der Klumpen liebte seine kleine Mutter mit der ganzen Kraft seiner armen Seele. Es gab in seinen Augen nichts so Vollkommenes wie sie, nichts so Gutes wie sie und nichts so Mitleiderregendes wie sie. Ein einziges Mal war er aus seinem beschaulichen Gleichgewicht gebracht worden, nämlich eines Tages, als ein Kamerad in höhnischer Weise von ihr gesprochen und ihren armen Rücken eine "Regimentskasse" genannt hatte. Im selben Augenblick, als die Worte gefallen waren, lag der Bursche auf dem Straßenpflaster, alle Würste des Klumpen über sich. Und es wäre wohl kein heiler Knochen an dem Lästermaul geblieben, wenn nicht kräftige Fäuste die beiden Kämpfenden rechtzeitig getrennt hätten.
Überall in der Stadt aber hatte der fette Friedlich Ehre für sein Benehmen geerntet, ausgenommen natürlich bei dem Flachgedrückten und dessen Familie.
"Nun, liebe Mutter?" lächelte der Klumpen, als er sich bis zu der schwarz gekleideten Dame durchgedrängt hatte und ihr liebkosend die Wange streichelte.
"Ja, da bin ich, mein Junge!" nickte sie ihm zu und schob ihren Arm in den seinen. Ihre Stimme klang quieksend und schwindsüchtig.
"Es hat lange gedauert, bis du kamst."
"Es war ja ein so großes Gedränge, lieber Fridy."
"Dir hat doch niemand etwas getan?" Die Stirn des Klumpen legte sich in Falten.
"Nein! Wer sollte mir wohl etwas tun?"
"Soll ich dein Gesangbuch nehmen?"
"Danke, lieber Fridy!" Sie sah glücklich und stolz zu ihm auf.
"Wollen