Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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dich um! Und du sitzest schweigend und finster da und nimmst nicht teil. Die Freude ruft dich an, und du antwortest nicht – du bist ein finsterer Genosse. Aber du bist eine interessante Persönlichkeit. – Und du bist mein Freund, und ich würde mein Leben hingeben, wenn du so werden könntest wie wir andern."

      Die Tränen rollten dem guten Oberlehrer von den Wangen herab, und seine Finger fuhren durch seine Borsten, die wahnsinnig zu Berge standen wie unter magnetischem Einfluß.

      Knagsted saß breitschultrig und ruhig da und schien mit Andacht der Rede des Pädagogen zu lauschen. Aber hinter seiner Haarfülle, um den Mund und in den Augen kam und schwand ein leise aufblitzendes Lächeln.

      Die andern Gäste waren schweigsam geworden und starrten mit trüben, angestrengten Blicken das Paar an.

      "Du sagst, daß ich ohne Ideal bin, Clausen?" fragte der Zöllner mit finsterer, ernster Stimme.

      "Ja," nickte Clausen und machte sich stramm, "ohne Ideal, hab' ich gesagt."

      "Da irrst du!"

      "Das sollte mich – sehr freuen! Aber bisher hast du nicht –"

      "Kennst du Thummelumsens Hahn?" fragte Knagsted plötzlich und starrte seinem Freund und Bruder ins Gesicht.

      "Thumme –"

      "Thummelumsens Hahn, ja! ›Mortensen‹ –"

      "Nein, – ja, – das heißt" – der Oberlehrer galoppierte durch das Stachelschwein.

      "Dann kannst du überhaupt nicht mitreden", sagte Esau.

      "Wie?"

      "Deine Auffassung wird dadurch völlig wertlos."

      "Ja aber, lieber –"

      "Und ich verstehe nicht, wie du es wagen kannst, dich zu meinem Richter auszuwerfen."

      "Ja aber, liebster Freund –"

      "Du willst von Lebenswerten reden!" fuhr der Zöllner fort, und seine Stimme klang immer erregter. "Du, der du keine Gelegenheit gehabt hast, das Höchste: Die Gleichgültigkeit gegen das Leben zu beobachten!"

      "Seine Druckerschwärze stinkt!" näselte Stadtkassierer Lassen mit einer Reminiszenz an den seligen Luxusbauch.

      "Ja aber, liebster, bester –" stammelte Clausen verwirrt. "Emanuel Thomsens Hahn –? Wie –" Und abermals bewegten sich die Finger durch die Borsten.

      Knagsted ahmte die Bewegung nach und fuhr dann mit erhobener Stimme und breiten Handbewegungen fort:

      "Emanuel Thomsens Hahn ist mein Ideal! Freilich werde ich mir niemals Hoffnung machen können, zu einer solchen Stufe erhabener Weltverachtung und imponierender Selbstvertiefung zu gelangen, denn ich bin ja nur ein Mensch! (hier liefen die Finger abermals durch das Haar.) Aber mein ganzes Leben soll dem Streben danach gewidmet sein. Und ich würde mich zehnfach glücklich preisen, wenn du, Clausen (abermals dieselbe Bewegung mit den Fingern), ebenfalls –"

      "Willst du mich aufziehen?" schrie der Oberlehrer plötzlich, dunkelrot im Gesicht, und packte den Feind beim Arm.

      "Durchaus nicht!" entgegnete der andere.

      "Du stehst ja da und tust gerade so wie ich?"

      "Was tust du denn?"

      "Ich – ? Ich – soigniere mich!"

      "Ja, und ich ›soigniere‹ mich ebenfalls! Die Finger gehören mir doch wohl!"

      "Meine Herren! Meine Herren!" beschwichtigte der Vorsitzende.

      Alle starrten die Kombattanten mit weitgeöffneten Augen an. Und selbst der kleine Thomsen, der Eigentümer des Ideals, der bisher auf einem Stuhl in der Ecke neben dem Anrichtetisch gesessen hatte und halb eingenickt war, wurde plötzlich ganz wach.

      "Was haben Sie nur einmal, Clausen?" fragte Fabrikant Rössel, "nur immer ruhig!"

      "Ja, nur immer ruhig!" sagte der Schlächtermeister. "Wir sind doch gebildete Menschen!"

      Aber der erregte Pädagog, dem der Traubensaft ins Blut gegangen war, hörte nicht mehr auf die Friedensstimmen. Er näherte sein Angesicht dem des Zöllners und sagte zischend: "Soll ich dir sagen, was du bist? Soll ich dir sagen, was du bist? Weißt du, was du bist? – Du bist die personifizierte Unliebenswürdigkeit, Bosheit, Niedertracht!"

      "Hu!" – sagte der Schlächter ganz entsetzt. "Hu! Kannst du ihn übertrumpfen, Knagsted?"

      "Und du," zischte der Zöllner scheinbar ebenso erregt, "weißt du, was du bist?"

      "Nein!"

      "Soll ich es dir sagen?"

      "Bitte sehr!"

      "Aber du mußt nicht böse werden. Du mußt so ruhig bleiben, wie du die ganze Zeit gewesen bist!"

      "Nun?" "Nun? Nun?" riefen auch die andern gespannt und ungeduldig.

      "Du bist," sagte Knagsted, und abermals blitzte ein Lächeln hinter seinen Haarzotteln hervor, "du bist ein herzensguter, braver, staatlich pensionierter Oberkinderstubenrührseligkeitsfabrikant!"

      "Er hat ihn übertrumpft! Er hat ihn übertrumpft!" brüllte der Schlächtermeister und schlug mit den Händen gegen seine Schenkel, "hol' mich der Teufel, er hat ihn übertrumpft! – Eine neue Bowle, kleiner Thummelummelumsen! Ich spendiere sie!

      ###

      Madam Fredriksen hatte sich die Südstraße hinabgekämpft, in der der Südweststurm mit ganzer Gewalt zauste und an ihrer Bekleidung riß und zerrte und durch dieselbe hindurchwehte, so daß sie den kalten Atem des Windes an ihrem nackten Hebammenkörper fühlen konnte.

      "Ein solches Unwetter ist mir denn doch noch nicht vorgekommen", sagte sie und klammerte sich mit ihren behandschuhten Fingern an Konditor Lams Mauer fest, um daran entlang um die Ecke in die Pfaffengasse zu gelangen, in der sie wohnte.

      Endlich siegte sie und befand sich nun abermals in ruhigem Fahrwasser. Aber sie mußte sich gegen die Mauer lehnen, um sich zu verschnaufen und ihren Anzug ein wenig zu ordnen. Das Kleid und die Röcke hatten eine halbe Wendung nach links gemacht.

      Ein Dachstein stürzte prasselnd hinter ihr nieder. Und in einem etwas weiterhin gelegenen Hause hörte man eine Tür unaufhaltsam auf und zu schlagen.

      Die Madam lachte. Sie fand, daß dies Toben anfing, humoristisch zu werden.

      Auf dem Trottoir kam ihr eine lange, gebeugte männliche Gestalt entgegen. Sie war in Tücher und Schals gewickelt und hatte eine Pelzmütze tief über die Ohren gezogen.

      "Guten Abend, Herr Doktor!"

      "Wer ist das?" fragte eine mürrische Stimme hinter der Vermummung.

      "Hebamme Fredriksen!"

      "Hm! Wollen Sie auf Praxis aus?"

      "Nein, bin ausgewesen. Und der Herr Doktor?"

      "Ich muß verdammt, verflucht bis hinter die Eisenbahn!"

      Ein dichter Nebel entstieg dem Mund des Doktors. Er trug immer eine brennende Pfeife unter den Schals.

      "Ist es etwas Gefährliches?" fragte die Madam.

      "Gefährlich, ei was! Ein verfüllter Finger! – Sie kommen ja angelaufen und klingeln einen heraus, damit man ihre Leichdorne beschneidet. – Weht es arg in der Südstraße?"

      "Ob es weht?" lachte die Madam. "Es stürmt! Ich war kurz davor, mit meinem Beutel und dem ganzen Kram gen Himmel zu fahren."

      "Verdammtes