innern Menschen –"
"Hm! Wie viele Menschen meinst du denn, daß ich habe?"
Clausen wurde heftig:
"Ich kann es nicht ertragen, daß du so mit den Worten spielst!" sagte er, und das Blut schoß ihm in die Wangen, "du weißt sehr wohl, daß wir gern etwas für dich tun möchten – daß – daß die Stadt dich gern mit sich verschmolzen sähe – dich in die Gesellschaft aufnehmen würde! Du – du gehst hier so verlassen umher, und – und –"
Esau blieb stehen. Und indem er seinen schweren Stock hart auf die Steine der Landstraße niedersetzte und beide Hände auf die Krücke stützte, hob er sich auf die Zehenspitzen und steckte dem Freunde seine Haarfülle gerade unter die Nase, indem er brüllte:
"Was zum Teufel geht denn euch das an!"
Der Oberlehrer wich einen Schritt zurück.
"Hast du denn keine Menschenseele, die du liebhast?" fragte er.
"Ja!" antwortete Knagsted, "Bismarck und Exkönig Milan von Serbien."
Der Oberlehrer schüttelte trübe den Kopf. Es tat ihm wirklich im Innersten seines Herzens weh, daß er nicht imstande war, etwas für diesen armen Menschen" zu tun. Plötzlich kam ihm ein lichter Gedanke, er sagte:
"Aber du fährst ja auch in den Wald!"
"Was tue ich?"
"Du bist ja im Sommer auch im Walde gewesen!"
Die Haarzotteln des Zöllners standen zu Berge.
"Ja, ich bin im Walde gewesen!" gab er ruhig zu. "Aber das war hauptsächlich, um mit euch andern Bestien einen Leichenschmaus für Eriksen abzuhalten."
Clausen bebte vor Entrüstung.
"Knagsted!"
"Ja, dann bekümmere dich in Zukunft nicht um meine Angelegenheiten, lieber Oberclausen!"
Dann schritten sie eine Weile schweigend nebeneinander her.
Durch das Nonnentor kam ein kleiner, leichtgebauter Federwagen in fliegender Eile gesaust.
"Der Killekille-Gutsbesitzer!" sagte der Zollkontrolleur.
Der Wagen sauste an ihnen vorüber, so daß der Staub um die Räder flog. Zwei blitzende Schimmel waren vor das Fuhrwerk gespannt, und sie wurden mit kundiger Hand von einem großen, breitschultrigen, blonden Mann gelenkt, dessen weiße Zähne lachten, als er an ihnen vorüberfuhr und flott mit der Peitsche grüßte.
"Es ist doch unverantwortlich, wie Heimann immer fährt!" sagte der Oberlehrer. "Er muß nach Hause und Killekille machen!"
"Ach was!"
"Er baut sich einen neuen Flügel an das Hauptgebäude an!"
"So?"
"Hast du gar nicht davon gehört?"
"Nein!"
"Ja! – Eine Schlafstube in der Mitte mit Oberlicht."
"Hm. –"
"Und dann sechs Zimmer ringsumher. Das sollen Mädchenstuben werden."
"Daß du mit so etwas Spott treiben kannst, Knagsted!"
"Ich spotte gar nicht! – Und dann sollen die Namen der Mädchen an die Türen geschrieben werden, und dann killekillt er sie in alphabetischer Reihenfolge. Und an seinem Geburtstag nimmt er sie alle zusammen vor! – Weißt du, was er alljährlich an Alimentationsgeldern bezahlt?"
Clausen antwortet nicht.
"Fünfzehnhundert Kronen! Genau soviel, wie mein Gehalt beträgt."
"Und findest du nicht, daß das traurig ist?"
"Ach nein, so etwas amüsiert mich."
Und wieder stampften sie schweigend weiter. Der Oberlehrer lang, mager, abgezehrt und friedlich. Knagsted, klein, vierschrötig, behaart und finster und geladen mit allen möglichen Ungeheuerlichkeiten.
Ein Pädagog und ein Kobold. –
Die Landstraße führte über einen Hügel und fiel dann allmählich nach der Stadt zu ab.
Als die beiden Gesellen auf den Gipfel des Berges gelangt waren, zeigte der Zöllner über die Felder auf einige hohe Bäume.
"Da unten liegt Thumelumsensheim", sagte er.
Es war der Mühlenhof, dessen Schornsteine zwischen den Bäumen hervorragten. Der Oberlehrer lachte gegen seinen Willen über den Namen.
"Ja, du lieber Gott," sagte er. "der arme Thomsen!"
"Du machst dir auch Kummer und Sorge um mancherlei Dinge, lieber Clausen."
"Ja, aber er ist in der Beziehung auch wirklich geisteskrank."
"Ganz verrückt, mit Auszeichnung, ja! Aber dafür lebt er nun einmal. Du hast ja auch deine Hirngeschwulst!"
"Ich?"
"Freilich! Hast du nicht eine Kunstgärtnerei in allen Fenstern?"
Der Oberlehrer lächelte milde bei dem Gedanken.
"Ach ja, meine lieben Blumen!" sagte er.
"Ja, da siehst du! – Man muß so etwas haben, um es auszuhalten. Heimann zum Beispiel hat sein Killekille. – Und ich habe auch mein Lebenselixier."
"So? – Wirklich?" fragte Clausen sehr interessiert.
"Ja, ich sammle Kommata."
"Kom –"
"Ja, Kommata! Wenn ich ein Buch lese, so zähle ich sie nach und führe Rechenschaft darüber."
Der Pädagoge stand unsicher da.
"Ja – aber –" stammelte er. "Ja – aber – dann, finde ich, kannst du den Inhalt des Buches nicht so recht genießen."
"Nein, das kann ich freilich nicht," nickte der Waldteufel, "aber das macht ja nichts, wenn ich nur meine lieben Kommata bekomme!"
Die Sonne schien in die Ecke hinter der Pumpe in Karen Thomsens Packkiste vom Hofplatz hinab. Und im Sonnenschein stand der Hahn-Mortensen mit seinem struppigen Körper, seinem hängenden Kopf und seinen beiden geknickten Schwanzfedern.
Er stand wie gewöhnlich da, ohne sich zu rühren. Er war im Laufe des Sommers noch abgetakelter und jämmerlicher geworden, schmalschultrig und klein und fröstelnd. Und wenn man es nicht besser gewußt hatte, würde man darauf geschworen haben, daß es eine Hahnenleiche sei, die auf einem Misthaufen gefunden und von einer witzigen Person hier aufgestellt war, um furchtsame Seelen zu erschrecken.
Auf dem Dach des Bretterschuppens saß ein Haufen Spatzen, die plauderten und zwitscherten und sich wohlgefällig aufbliesen. Der Himmel war hoch und hell, und die Luft war warm. Es war der letzte Sonntag im September.
Auf der Schwelle der Küchentür lag "Knors" und spann.
Er sah so ungeheuer ehrwürdig-zuverlässig aus, als ob all der Fleischhunger und Blutdurst dieser Welt seinen Gedanken hundert Meilen fern läge. Nur daß er von Zeit zu Zeit sein eines, ihm noch gebliebenes, grünlichgelbes Auge zu den Spatzen erhob, während die Pupille sich ein klein wenig zusammenzog, und die alten, zerrissenen Ohren zitterten.
Dann kam ein neuer Spatz geflogen. Der hatte irgend etwas Eßbares im Schnabel. Und sofort entstand Aufregung und Prügelei. Die kleinen Kampfhähne oben auf dem Dach schrien und kreischten und tummelten sich herum und hieben mit Schnäbeln und Klauen aufeinander