Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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      "Wollen die jungen Leute nicht ein wenig hinausgehen und sich die Herrlichkeit ansehen?" meinte Mutter Karen. Sie wurde immer gleichsam ein wenig kühner, wenn Besuch da war.

      Dine schielte zu dem Vetter hinüber.

      "Kommen Vater und Tante Karen nicht mit?" fragte sie. Sie wäre ganz einfach tot gewesen, ehe sie auf die Straße gekommen wäre, wenn sie mit Emanuel hätte allein gehen sollen.

      "Mutter muß im Laden sein", sagte Thomsen. "Und für einen selber sind die Zeiten auch nicht danach!"

      Bruder und Schwester tauschten abermals einen Blick aus. Und Karens Augen waren voller Trübsal und Hoffnungslosigkeit.

      "Willst du gern auf den Markt, Wulfdine?" fragte der Küster. "Deinetwegen sind wir ja im Grunde doch nur gekommen."

      "Ja", sagte Wulfdine und würde ihr Leben für ein freundliches Wort von dem Vetter gelassen haben.

      "Ja, dann wollen wir gehen", sagte der Küster.

      Mutter Karen saß eine Weile da und wippte mit dem Stuhl hin und her.

      "Ihr eßt doch hier bei uns, ehe ihr nach Hause fahrt?" fragte sie dann; sie wagte nicht, den Sohn anzusehen.

      "Danke, Schwester", antwortete der Küster leise. – "Der Schulze fährt bald wieder! Und der Weg ist lang."

      "Ihr müßt aber doch etwas essen!" sagte Madam Thomsen mit verzweifeltem Mut. "Und das könnt ihr doch ebensogut hier tun!"

      Emanuel erhob sich mit einem Ruck, stellte sich an das Fenster und sah hinaus.

      Die drei andern drehten langsam ihre Köpfe nach ihm um.

      Dann legte Mutter Karen ihre Hand auf die des Bruders. Ihr Kinn zitterte, sie preßte die Lippen zusammen und langsam liefen ihr die Tränen von den Wangen herunter.

      "Na, na, Schwester Karen", murmelte der Küster. "Es wird schon alles anders werden!"

      Und Wulfdine schnitt schreckliche Grimassen, als würde sie elektrisiert. Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

      Emanuel aber stand am Fenster und trommelte mit den Fingern an die Scheiben.

      Und draußen toste der Jahrmarktslärm.

      ###

      Oberlehrer Clausen war der "Leibhaftigen Bosheit" draußen auf der Landstraße, nördlich von der Stadt, begegnet. Sie hatten den Weg zusammen fortgesetzt, waren beim Viertelmeilenstein umgekehrt und wanderten jetzt der Stadt zu.

      Ein Reiter kam ihnen im Schritt entgegen.

      Der Oberlehrer puffte Knagsted mit dem Ellenbogen in die Seite und flüsterte: "Das ist Pastor Engelhardt!"

      Der Pastor ritt vorüber und grüßte. Seine langen Locken umwallten die Schultern. Er hatte einen Zylinder auf und einen Radmantel um. Und sein Antlitz war bleich und verklärt.

      Esaus Haarzotteln bewegten sich.

      "Er gleicht dem Engel Gabriel," sagte er, "der ausgeht, um zu verkündigen."

      "Na, na, Knagsted!" lächelte der Oberlehrer.

      "Hast du es schon gehört, Clausen." fuhr Esau fort, "daß jetzt ein Erlaß gekommen ist, wonach die Pastoren an den großen Festtagen und zu Hochzeiten und Kindtaufen – im Ornat zur Kirche reiten sollen? Und bei der Konfirmation sollen alle Konfirmanden hinterdrein reiten."

      "Unsinn, Knagsted!"

      "Der Antrag ist in beiden Kammern durchgegangen. Und heute morgen hat es in der Berlingschen Zeitung gestanden."

      "Wie kannst du nur auf so etwas verfallen!" sagte Clausen ganz ärgerlich.

      "Ich habe den Antrag ja nicht gestellt!"

      "Ach was!"

      "Nein, der Kultusminister hat es getan. Er ist der Ansicht, daß es unserer eigenen Religion aufhelfen könnte, jetzt, wo der Katholizismus solchen Aufschwung genommen hat."

      "Du solltest dich schämen, Knagsted."

      "Hast du seine Rede nicht gelesen?"

      "Du solltest dich schämen, sage ich dir!"

      "Ja, meinetwegen gern!"

      Der Oberlehrer schüttelte verzweifelnd den Kopf. Dann blickte er über die vielen kahlen Felder hin und sagte mit einem leisen Seufzer:

      " Dieser Sommer wäre auch bald wieder hin!"

      "Ja, gottlob!"

      "Du sagst gottlob?"

      "Ja, ich sage gottlob!"

      "Du bist nie derselben Meinung wie andere."

      "Nein. Es gibt ja genug, die derselben Meinung sind."

      "Was tut der Sommer dir?"

      "Ach nein, mir persönlich tut er gerade nichts (Knagsted sprach stets mit unerschütterlichem Ernst). Mir ist es einerlei. Aber die Leute werden so verrückt im Sonnenschein: genau so, als wenn sie in der Lotterie gewonnen hätten. Sie putzen sich und gehen in den Wald und segeln, und dann singen sie und lamentieren und stellen sich an. – Es sollte immer Regenwetter sein!"

      "Pfui, du verdirbst mir den ganzen Spaziergang, Zöllner!"

      "Und dann schreiben sie gesperrt in die Zeitungen, daß jetzt der Star gekommen und daß jetzt der Kiebitz gekommen ist. Es würde doch viel sonderbarer sein, wenn sie fortgeblieben wären!"

      "Liebst du denn die Natur nicht?"

      "Die Natur? – Nein! – Die kenne ich."

      "Und die grünen Bäume und die Blumen und das Meer?"

      "Das kenne ich alles!"

      "Du kennst ja aber auch das Regenwetter."

      "Ja. Aber dann halten die Leute doch wenigstens den Mund und bleiben im Hause."

      "Du gehst doch auch aus!"

      "Ich gehe um meines Magens willen!" Der Oberlehrer legte sanft seine Hand auf den Arm des Kontrolleurs und sah ihm in die Augen.

      "Ich glaube, du bist ein unglücklicher Mensch, Knagsted."

      "Ja! Welch Frauenzimmer hat die Idee ausgebrütet? Weil man nicht schon längst vor Lachen geplatzt ist, braucht man doch nicht gleich unglücklich zu sein!"

      "Ich kann dich nicht verstehen, Knagsted", sagte der Oberlehrer tief bekümmert. – "Ich kann dich wirklich nicht verstehen!"

      "Das nimm dir nur nicht zu Herzen, kleiner Oberclausen! Zum Teufel auch, wozu solltest du mich wohl verstehen. Immer und ewig müßt ihr ›verstehen‹. Wenn man etwas erst versteht, Mensch, so ist es ja langweilig. Ihr solltet mich lieber im Rathaus gratis bespeisen, weil ich alle hier belustige! – Aber vergiß nicht: Keine heißen Weine! Die verträgt mein Magen nicht!"

      "Du bist wirklich ein unglücklicher Mensch!" sagte der Oberlehrer mit Überzeugung.

      "Meinst du, weil ich keine heißen Weine vertragen kann?"

      "Ach was, du mit deinen heißen Weinen! Nein, deine Seele ist krank!"

      Der Zöllner lächelte hinter seinem Urwald.

      "Ja, dann posaune es nur bei deinem nächsten Kaffeeklatsch aus", sagte er. "Dann bekommst du am Ende zwei Tassen."

      "Wenn wir doch nur Einfluß auf dich gewinnen könnten!"

      "In bezug