dann gingen die beiden wunderlichen Wesen durch die Menge, die ihnen unwillkürlich Platz machte. Und auf dem Abstieg von dem steilen Kirchenhügel hütete der Klumpen sorgfältig seine kleine Begleiterin, daß sie ihren Fuß an keinen Stein stieß.
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Auch Emanuel Thomsen wanderte mit seiner Mutter heimwärts. Aber sie gingen nicht Arm in Arm. Er schob sich finster und seitwärts vorwärts, immer ein paar Schritte vor ihr her; und sie trippelte verzagt in seinem Kielwasser. Er trug ihr Gesangbuch nicht, und er erquickte ihr Herz nicht mit freundlichen Worten.
Als sie den Laden in der Südstraße erreichten, öffnete er die Tür und ging zuerst hinein.
Das Gesangbuch legte er auf den Sekretär in der Hinterstube und ohne der Mutter einen Blick zu schenken, ging er in die Küche hinaus und vertauschte den Sonntagsrock gegen eine Leinwandjacke, hob den Haken von der Küchentür und ging in den Hof hinaus.
Ein magerer Sonnenstreif fiel noch in die Ecke hinter der Pumpe hinab.
Knors saß auf dem Steinpflaster neben Mortensen und machte Toilette. Er leckte seine Pfote und rieb sich damit eifrig überall im Gesicht. Aus dem einen Ohr guckte ihm eine Spatzenfeder heraus, sonst sah er ganz unschuldig aus.
"Miau!" sagte er zärtlich, sobald die Küchentür sich öffnete.
Mortensen sagte nichts, empfand wahrscheinlich nichts und zitterte nur hin und wieder wie vor Kälte.
Emanuel stand eine Weile da und sah die Tiere an.
Der Kater scheuerte sich gegen sein Bein, aber er sprach nicht mit ihm, so wie er das sonst zu tun pflegte.
Dann beugte er sich hinab, hob den Hahn-Mortensen in die Höhe und trug ihn in den Schuppen.
Und da drinnen, in der Ecke unter dem Fenster, setzte er ihn vorsichtig wieder nieder, häufte das Stroh um ihn her auf und breitete ein Stück von einer alten wollenen Unterjacke über seinen Rücken und ganz über seinen Kopf. Und jetzt sah man von Mortensen nur die langen dünnen Beine mit den gekreuzten Sporen sowie die äußerste Spitze der beiden geknickten Schwanzfedern.
Madam Thomsen stand in der Küche und besorgte das Mittagessen, als der Sohn vom Hofe hereinkam. Und er ging an ihr vorüber, ohne zu sprechen.
Im Zimmer nahm er die Gesangbücher, sowohl das eigene wie das der Mutter, und rieb sie sorgfältig mit seinem Taschentuch ab, um sie auf ihrem Platz im Sekretär zu verwahren. Als er die Bücher hineingelegt hatte, fiel sein Blick auf Mutter Karens Portemonnaie, den Aufbewahrungsort des spärlichen Wirtschaftsgeldes.
Er griff danach mit einer Bewegung, die viel Ähnlichkeit mit der Knors' hatte, als er den Spatz fing, und öffnete es. Es lagen ein paar Kupfermünzen zerstreut in den Fächern und ein paar Zehnöre- und Fünfundzwanzigörestücke und in ein Stück Papier gewickelt eine Krone.
Blitzschnell griff er nach dem Papier mit dem Geldstück und ließ es in seiner Westentasche verschwinden. Dann schloß er den Sekretär, ging hin und stellte sich an das Fenster, den Rücken dem Zimmer zugekehrt.
Madam Thomsen kam herein, breitete das Tischtuch aus und stellte die Teller hin. Dann holte sie das Essen: Eine Schüssel gekochter Kartoffeln von Onkel Jakobs und eine dünne, wasserklare Sauce.
"Ich habe einen Hering gekauft", sagte sie schüchtern und sandte ihm einen scheuen Blick zu. "Es ist ja doch Sonntag!"
"Hm! – Ja, wenn du nur Geld ausgeben kannst!"
"Bitte, Manuel. Es ist angerichtet."
"Danke!"
Manuel setzte sich auf das Sofa. Und Karen nahm auf einem Stuhl am Ende des Tisches Platz. Sie pellte die Kartoffeln ab und legte sie auf seinen Teller.
"Hier ist der Hering."
"Danke, man will nicht davon haben!"
"Aber Manuel, – Manuel –"
"Man will nicht davon haben, sage ich dir ja!"
Sie stellte den Hering hin. Sie selber wagte jetzt auch nicht, ihn anzurühren.
Sie setzten ihre Mahlzeit schweigend fort. Mutter Karen kämpfte mit dem Weinen, das nahe daran war, die Herrschaft über sie zu erlangen. Manuels rundes Vollmondgesicht wurde immer roter und roter, und seine Augen nahmen einen lauernden, boshaften Ausdruck an. Das bebende Kinn der Mutter und ihre tränengefüllten Augen versetzten ihn nach und nach in helle Wut.
Plötzlich warf er Messer und Gabel klirrend auf den Tisch und sprang auf.
"Man hält es wirklich nicht länger aus, hier zu sitzen und deine saure Miene anzusehen", sagte er, und sein Gesicht war jetzt weiß und bebend. – "Du könntest einen doch wenigstens in Frieden essen lassen."
"Manuel, Manuel!"
"Ja, heulen, das kannst du! Das ist auch im Grunde das einzige, was du noch kannst! Man geht auf seine Kammer hinauf!"
Und hinaus stürzte er, durch die Küche, die Treppe hinauf und auf den Boden. Und die Türen schlugen polternd hinter ihm zu.
Dann trat Totenstille ein.
Madam Thomsen hatte das Gesicht in den Händen geborgen und wiegte hilflos den Kopf hin und her.
Und in der Sofaecke saß Knors, einäugig, gedankenschwer und weltweise, und die Spatzenfeder guckte ihm aus dem einen Ohr hervor.
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Die Hebamme Fredriksen war in einem der alleräußersten kleinen Häuser des Städtchens auf Praxis gewesen. Es wehte ein Orkan aus Südwesten, und sie mußte förmlich in kurzem Zuckeltrab über die Graubrüderhügel laufen, so drängte der Sturm auf ihren breiten Rücken und ihr dito Hinterteil los. Die Röcke klappten um ihre Beine wie losgerissene Segel, und der unvermeidliche Beutel, der ihr an einer Schnur über dem Arm hing, riß und zerrte an seiner Kette wie ein kleiner, aufgeregter Mops, der eine Feindin erblickt hat.
Unten an der Ecke der Strandstraße und des Hügelweges fuhr plötzlich ein Wirbelwind unter ihre Kleider, blies sie auf wie einen Ballon und drohte, sie gen Himmel zu entführen.
"Du allmächtiger Gott," murmelte die Madam und drehte sich wie ein Kreisel herum, um die Kleider wieder zu ordnen, "wo soll es denn jetzt hingehen!"
Dann kam sie bei dem ersten Hause der Strandstraße in Schutz. Und die Kleider sanken wieder auf ihren Platz zurück.
"Puh!" sagte sie und blieb einen Augenblick stehen; sie war ganz atemlos und aufgelöst. – "Ein Glück, daß es nicht bei Tageslicht war!"
Und dann zuckelte sie weiter. Über ihr raste der Sturm. Gleich einer Schar Untiere fuhr er über die niedrigen Dächer des Hafenplatzes dahin, auf den Fjord hinaus.
"Hm! Da ging er hin!"
Es war ein Dachstein, der auf dem Pflaster zertrümmerte.
"Solch Hundewetter!"
Auf der Promenade krachte und knackte es in den Zweigen der Linden. Die letzten Blätter des Sommers wirbelten in Kreisen über dem Kieswege. Und die Flammen der Gaslaternen sausten und kochten und die Gläser klirrten.
Madam Fredriksen hatte den Wind jetzt wieder auf dem Rücken. Sie mußte sich kerzengrade halten. Und hin und wieder, wenn ihre Kräfte sie verließen, stürzte sie auf einen Baum zu und umarmte ihn.
Plötzlich setzte sie den einen Fuß hart auf die Erde und blieb stehen.
Auf der Bank unter der nächsten Laterne saßen ein paar Menschen, ein Mann und eine Frau. Und es klang wie jammerndes Klagen.
"Du darfst nicht fortgehen, Niels