sobald sie aus dem kleinen Bereich dieser tropischen Atmosphäre heraustreten und sich dem Leben gegenüberfinden, wo kein Mensch mehr seine Verpflichtungen in der Weise übertreibt, wie die überzärtlichen Erzieher.
Alle Erscheinungen dieser Art haben gemeinsam, daß das Kind mehr oder weniger isoliert wird. Kinder z. B., deren Verdauungsorgane Mängel aufweisen, werden sich zur Nahrungsaufnahme anders verhalten und infolgedessen möglicherweise eine ganz andere Entwicklung nehmen als andere, in dieser Hinsicht normale Kinder. Kinder mit minderwertigen Organen werden eine besondere Gangart aufweisen, die sie mit der Zeit in die Isolierung hineintreibt. Wir haben dann Kinder vor uns, die ihren Zusammenhang mit der Umwelt nicht so deutlich empfinden, ihn vielleicht ganz ablehnen. Sie können keine Kameraden finden, halten sich von den Spielen ihrer Altersgenossen fern, sehen entweder neidig zu oder wenden sich verachtend ihren eigenen Spielen zu, die sie in stiller Abgeschlossenheit für sich betreiben. Auch Kinder, die unter einem schweren Druck in der Erziehung, etwa unter großer Strenge, aufwachsen, sind von der Isolierung bedroht. Auch ihnen wird das Leben nicht in günstigem Licht erscheinen, weil sie immer wieder und von überall her schlimme Eindrücke erwarten. Sie fühlen sich entweder als Dulder, die alle Schwierigkeiten demütig in Empfang nehmen oder als Kämpfer, die immer bereit sind, die als Feind empfundene Umgebung anzugreifen. Diese Kinder betrachten das Leben und ihre Aufgaben als besondere Schwierigkeiten und es ist leicht zu verstehen, daß ein solches Kind meist darauf bedacht sein wird, seine Grenzen zu wahren, darauf achtend, daß ihm kein Abbruch geschieht und daß es stets mißtrauisch die Umgebung im Auge behält. Belastet durch diese übergroße Vorsicht wird es eine Neigung entwickeln, lieber größere Schwierigkeiten und Gefahren zu wittern, als sich etwa in leichtsinniger Weise dem Schicksal einer Niederlage auszusetzen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal dieser Kinder, gleichzeitig ein in die Augen springendes Zeichen ihres weniger entwickelten Gemeinschaftsgefühls, ist die Erscheinung, daß sie mehr an sich denken als an die andern. Man sieht hier klar die ganze Entwicklung. Alle diese Menschen neigen im allgemeinen zu einer pessimistischen Weltanschauung und können ihres Lebens nicht froh werden, wenn sie keine Erlösung von ihrer falschen Lebensschablone finden.
3. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen.
Wir waren bestrebt, darauf hinzuweisen, daß wir über die Persönlichkeit eines Individuums nur dann Aufschluß bekommen können, wenn wir es in seiner Situation beurteilen und darin verstehen. Unter Situation haben wir die Stellung des Menschen im Weltall und zu seiner näheren Umgebung verstanden, seine Stellung zu den Fragen, die ihm unausgesetzt begegnen, wie Fragen der Betätigung, des Anschlusses, der Beziehung zu den Mitmenschen. Wir haben auf diesem Wege festgestellt, daß es die auf den Menschen einstürmenden Eindrücke der Umgebung sind, die die Haltung des Säuglings und später des Kindes und des Erwachsenen zum Leben auf das nachhaltigste beeinflussen. Schon nach einigen Monaten der Säuglingszeit kann man feststellen, wie sich ein Kind zum Leben verhält. Eine Verwechslung zweier Säuglinge bezüglich ihrer Haltung zum Leben ist von jetzt an nicht mehr möglich, weil jeder schon einen ausgeprägten Typus vorstellt, der immer deutlicher wird, ohne die Richtung, die ihm einmal anhaftet, zu verlieren. Was sich in der Seele des Kindes entwickelt, wird immer mehr von den Beziehungen der Gesellschaft zum Kinde durchdrungen, es kommt zu den ersten Anzeichen des angeborenen Gemeinschaftsgefühls, zum Aufblühen organisch bedingter Zärtlichkeitsregungen, die so weit gehen, daß das Kind die Nähe der Erwachsenen sucht. Man kann immer beobachten, daß das Kind Zärtlichkeitsbestrebungen auf andere — nicht, wie Freud meint, auf sich selbst — richtet. Diese sind verschieden abgestuft und bezüglich verschiedener Personen anders. Bei Kindern, die über das zweite Lebensjahr hinaus sind, kann man diese Verschiedenheit auch in den sprachlichen Äußerungen feststellen. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Gemeinschaftsgefühl wird in der Seele des Kindes bodenständig und verläßt den Menschen nur unter den schwersten krankhaften Ausartungen seines Seelenlebens. Es bleibt durch das ganze Leben, nuanciert, beschränkt oder erweitert sich und erstreckt sich in günstigen Fällen nicht nur auf die Familienmitglieder, sondern auf den Stamm, das Volk, auf die ganze Menschheit. Es kann sogar über diese Grenzen hinausgehen und sich dann auch auf Tiere, Pflanzen und andere leblose Gegenstände, schließlich sogar auf den Kosmos überhaupt ausbreiten.
Wir haben hiermit in unserem Bestreben, zum Verständnis des Menschen zu gelangen, einen wichtigen Hilfspunkt gewonnen. Es ist das Verständnis für die Notwendigkeit, den Menschen als ein Gemeinschafiswesen zu betrachten.
IV. Kapitel:
Eindrücke der Außenwelt
1. Das Weltbild im allgemeinen.
Die durch die Notwendigkeit der Anpassung an die Umgebung bedingte Fähigkeit, Eindrücke aufzunehmen und die Eigenartigkeit des seelischen Mechanismus, immer ein Ziel zu verfolgen, legen den Gedanken nahe, daß das Weltbild und die ideale Leitlinie eines Menschen schon sehr frühe in der Seele des Kindes entstehen muß, nicht geformt und nicht mit einem Ausdruck faßbar, aber irgendwie in Sphären schwebend, die uns bekannt anmuten, die wir verständlich finden, die immer im Gegensatz zu einem Gefühl der Unzulänglichkeit stehen. Seelische Bewegungen können sich nur abspielen, wenn ein Ziel vorschwebt. Seine Errichtung setzt, wie bekannt, notwendig Bewegungsmöglichkeit bzw. Bewegungsfreiheit voraus. Und die Bereicherung, die durch alle Bewegungsfreiheit zustandekommt, ist nicht zu unterschätzen. Ein Kind, das sich zum erstenmal vom Boden erhebt, kommt in diesem Augenblick in eine ganz neue Welt, es empfindet irgendwie eine feindliche Atmosphäre. Es kann in der Kraft, mit der es sich auf die Füße stellt, eine verstärkte Hoffnung für seine Zukunft empfinden, bei seinen ersten Bewegungsversuchen, besonders beim Gehenlernen, verschieden große oder gar keine Schwierigkeiten haben. Solche Eindrücke, Ereignisse, die uns Erwachsenen oft als unbedeutende Kleinigkeiten erscheinen, nehmen einen ungeheuren Einfluß auf das kindliche Seelenleben und damit vor allem auf die Entstehung seines Weltbildes. So werden Kinder, die in der Bewegung Schwierigkeiten hatten, gewöhnlich ein Idealbild vor Augen haben, das stark mit raschen Bewegungen durchsetzt ist, was sich leicht erkennen läßt, wenn man sie nach ihren Lieblingsspielen oder nach ihrer Berufswahl fragt. Die Antwort (Kutscher, Schaffner u. dgl.) wird bedeuten, daß in ihnen die Sehnsucht lebt, über alle Schwierigkeiten mangelnder Bewegungsfreiheit hinwegzukommen, an einen Punkt zu gelangen, wo sie kein Gefühl der Minderwertigkeit, der Zurückgesetztheit haben, welches Gefühl ja besonders genährt werden kann, wenn sich Kinder langsam oder krankhaft entwickeln. Ebenso oft wird man finden, daß Kinder, die infolge fehlerhafter Augen die Welt nur mangelhaft wahrnehmen können, das Bestreben haben, das Sehbare der Welt stärker und intensiver zu erfassen, und daß Kinder mit Empfindlichkeiten der Ohren oft nur für gewisse Töne, die lieblicher klingen, Interesse, Verständnis und Vorliebe haben, kurz, daß sie musikalisch sind (Beethoven).
Von den Organen, mittels deren sich das Kind der Umwelt zu bemächtigen sucht, sind es hauptsächlich die Sinnesorgane, welche Beziehungen unlösbarer Art zur Außenwelt herstellen. Sie sind es, die ein Weltbild aufbauen helfen. Vor allem ist hier das Auge zu nennen, dem sich die Umwelt entgegenstellt. Es ist vorwiegend die sehbare Welt, die sich dem Menschen besonders aufdrängt und die Hauptstütze für seine Erfahrung abgibt. So entsteht das visuelle Weltbild, dessen unvergleichliche Bedeutung darin liegt, daß es dauernde, stets unveränderliche Objekte zur Verfügung hat gegenüber den andern Sinnesorganen, die zumeist auf vergängliche Reizquellen angewiesen sind, wie das Ohr, die Nase, die Zunge und zum großen Teil die Haut. In anderen Fällen tritt wieder das Gehörorgan stärker hervor und schafft ein Seelenvermögen, das mehr mit dem Hörbaren der Welt rechnet (akustische Psyche). Seltener sind die Motoriker, Menschen, die auf Bewegungsvorgänge eingestellt sind. Eine Überbetonung des Geruchs- und Geschmacksvermögens bringt wieder andere Typen hervor, von denen insbesondere der erstere Typus durch seine Geruchsbegabung in unserer Kultur schlecht gestellt ist. Dann gibt es eine große Anzahl