Kühle über die Wege wehte – ein wahrer Lebensodem für die riesigen Farne, das wuchernde Immergrün und Efeugewirr, das ohne die emsig wehrende Menschenhand binnen kurzem auch die schmalen Waldpfade übersponnen haben würde. – Man mußte ziemlich lange den Schlangenwindungen dieser Pfade nachgehen, ehe man die Menschennähe wieder spürte. Da und dort schob sich wohl ein kleines Schutzhaus aus Baumrinde zwischen die Eichen- und Buchenäste, und Steinsitze blinkten durch das grüne Dämmern; aber in dem falben Sonnenschein, der neben dem die Laubwucht auseinander drängenden Dach des Schutzhauses hereinschlüpfen durfte, haschten nur schillernde Eidechsen, und auf den Steinbänken rastete kaum ein täppisch hüpfender junger Vogel, der seinen ersten Flugversuch aus dem heimischen Brutnest gemacht hatte. Dann aber sah man plötzlich durch auseinander fließendes Grün helle Steinprofile und plastisch gehobene Arme in die blauen Lüfte hineinragen; sie stiegen bergauf und winkten verkleinert und halbverloren aus dunklem Gebüsch von der Höhe herab, wo allmählich einzelne Säulen hervortraten, weiße, blendende Marmorsäulen, eine nach der anderen erstehend, bis sie, ebenmäßig aneinandergereiht, plötzlich wie die funkelnden Saiten einer Riesenharfe, von Sonnengold durchspielt, hoch über dem Waldgründunkel zu schweben schienen – das war der Säulengang des kleinen Schlosses, von dem Mercedes gesagt hatte, daß es dem niedergebrannten Vaterhaus in der südlichen Heimat gleiche.
Drüben, jenseits des Meeres, lag die Marmorpracht in rauchgeschwärzten Trümmern unter hochaufschießendem Gestrüpp und einem Netz von Lianen, die sich von den nahen Waldbäumen herübergeschaukelt und mit gierigen Armen nach dem gestürzten Menschenwerk gegriffen hatten. Hier war es auch, als kröchen Millionen grüngefiederter Netzfäden empor, um das weißschimmernde Haus zu umstricken, zu bewältigen; allein nicht ein biegsamer Ausläufer dieser Rank- und Kletterrosenmassen durfte weiter vorrücken, als Menschenwille gebot. Sie schlangen sich um das Terrassengemäuer, um sein Bronzegeländer, das goldschimmernde Drahtgeflecht hier und da freilassend – es sah aus, als stürze da eine schneeweiße, dort eine rosenfarbene Kaskade von Stufe zu Stufe. Um die Mauerecken, die Säulensockel, die Postamente der Steinbilder schlüpfte das grüne, von tausend und aber tausend buntfarbiger Blüten durchstickte Gespinst, und so stand das kleine Schloß droben wie eine Schöne, die den buntgeflammten Mantel halb von den blendenden Gliedern fallen läßt.
Früher war die Villa auch oft das Ziel der aus dem Walddunkel herüberlauschenden Spaziergänger gewesen, einzig und allein um ihrer feenhaften Schönheit willen; denn der kränkliche alte Fürst, der selten einmal über die Terrassen schlich, oder ein paar goldbetreßte Lakaien, die unter dem Portal lungerten, vermochten wohl nicht, einen Menschenfuß auch nur um einen Schritt weiter zu locken... Seitdem aber die »Amerikanerin« Herrin des Schlößchens war, wanderte mancher stundenlang auf den Parkwegen wartend auf und ab, um schließlich doch noch den Anblick der schönen Frau zu erhaschen, wenn sie langsam wandelnd zwischen den Lorbeer- und Rosenbäumen hinglitt oder die Terrassen herabkam, um sich auf ihr Pferd zu schwingen und wie ein Pfeil in den Park hineinzufliegen.
Es waren nahezu drei Jahre verflossen, seit Donna Mercedes die Besitzung gekauft hatte, und noch war der Reiz ihrer fremdartigen Erscheinung, der Ruf ihres fabelhaften Reichtums, wie ein Wunder in aller Munde, doppelt nachhaltig, weil sie wie eine geheimnisvolle Einsiedlerin streng zurückgezogen, aber sichtlich beglückt, nur mit den zwei schönen Bruderskindern und der Majorin Lucian zusammenlebte.
Die Majorin hatte ihr Wort wahr gemacht, nach dem ihres Bleibens in dem alten Klosterhause nicht länger sein werde, als die Pflicht erheische. Sie war die alleinige Erbin des gesamten Wolframschen Besitztums verblieben, da sich kein Testament ihres Bruders vorgefunden... Einige Monate nach den traurigen Ereignissen hatte sie das Klostergut verkauft. Die Lippen fest zusammengepreßt, weder rechts noch links, am wenigsten aber rückwärts blickend, war sie am letzten Tag durch den Vorderhof gegangen und hatte die Mauerpfortentür hinter sich zufallen lassen, um den Wagen zu besteigen, in dem Donna Mercedes und die Kinder ihrer harrten, um sie für immer nach der »Villa Valmaseda« abzuholen.
Zum letztenmal hatte das Rollen und Rasseln der kleinen Pforte ihr nachgeklungen, das jeden wichtigen Schritt, fast jedes Ereignis ihres Lebens begleitet, ihren Gang zur Konfirmation, zur Trauung, ihre Rückkehr aus der Welt – die Flucht des verstoßenen Sohnes, den letzten Weg des »verunglückten« Bruders. Unsäglich Schweres war ihr in dem dunklen Klosterhause auf die Schultern gelegt worden, auch die harte Züchtigung ihrer Irrtümer und Vergehen hatte sie erleiden müssen – und doch hatten Tränen in ihren Augen gezittert, denn sie hatte gewußt, daß nun auch seine Zeit gekommen war, daß der neue Besitzer beabsichtige, das zusammensinkende Mönchswerk bis auf den Grundstein niederzureißen.
Sie selbst hatte es für unmöglich gehalten, daß sie noch einmal unter völlig veränderten Verhältnissen aufleben könne; aber schon nach wenigen Monaten hatte Mercedes mit stiller Freude beobachtet, wie ihr Blick heller, der gramvolle, tiefgehende Ton ihrer Stimme weicher geworden war, wie die Augen aufstrahlten, wenn die schönen Enkel im fröhlichen Spiel mit Pirat um sie herumtollten und die Großmama, als höchste Instanz in allen Dingen, ihre Arme als schützenden Hafen bei vermeintlicher Gefahr oder Unbill ansahen.
Auch nach dem, was ihr früher über verborgene Seelenschmerzen hinweggeholfen, nach der Arbeit, hatte sie gegriffen, und trotz aller Einsprüche, aller Bitten Donna Mercedes', nun nach einem so harten, arbeitsvollen Leben zu ruhen, das Regiment über die Wirtschaft und das Dienstpersonal im Hause der jungen Dame in die Hand genommen. Alles beugte sich willig und ehrerbietig unter das Zepter der rüstigen Matrone, das streng, aber zum Gedeihen, zur Wohlfahrt aller gehandhabt wurde ... Und was sie einst in Selbstüberhebung und Eigendünkel finster zurückgewiesen, die Liebe anderer, das genoß sie jetzt in vollem Maße, und ihr so lange unterdrücktes Herz erquickte sich daran. Donna Mercedes brachte ihr die Zärtlichkeit einer Tochter entgegen, und einer draußen in der Welt, der einst als Kind unter ihren Augen drüben auf dem Rasen des Schillingshofes mit ihrem Knaben gespielt, der ihm ein treuer Freund bis in den Tod hinein gewesen, er war ihrem Herzen nahe getreten, als sei er ein Bruder dessen, der jenseits des Meeres unter der Erde schlief.
Baron Schilling hatte sich nahezu zwei Jahre in Skandinavien aufgehalten. Es hatte den Anschein gehabt, als wolle er nicht einen Atemzug deutscher Luft schöpfen, solange noch lösend an der Kette gefeilt wurde, die zwei Menschen in unglückseliger Ehe aneinander gefesselt hatte... Was die Baronin an Grimm und glühendem Rachedurst in ihrem Herzen aufgespeichert hatte, es war bei diesen widerwärtigen Auseinandersetzungen zum Austrag gekommen. Vor allem hatte sie ihm mit Aufgebot aller Mittel doch noch den Schillingshof zu entreißen gesucht und war dabei von mancher Seite her kräftig unterstützt worden, weil man den durch die Schillings »usurpierten«, ehemals klösterlichen Besitz wieder in die Hand der Kirche zurückzuleiten wünschte. Aber das war nicht geglückt. Die verbrieften Zahlungen, die Baron Schilling seit Jahren zur Tilgung der Steinbrückschen Hypothek auf seinem Vaterhause geleistet hatte, ließen sich nicht aus der Welt leugnen und waren ein fester Wall, an dem die geistlichen Bestrebungen zersplitterten.
Und nach langem, erbittertem Kampfe war endlich auch die Stunde gekommen, in der er sich sagen durfte, daß er frei sei. »Die Seele, die einst durch Habsucht und Überredungskunst irregeleitet und dem heiligsten Beruf entrissen worden, sei reuig heimgeflüchtet aus dem sündhaften Treiben der Welt,« hatte es in der letzten Zuschrift gelautet ... Mit der Baronin zugleich hatte Fräulein von Riedt den Schleier genommen, nachdem sie die große, sich selbst gestellte Aufgabe gelöst, infolge deren sie das entflohene – und geraubte »Lamm« mit all seinen weltlichen Gütern in die eigentliche Heimat zurückzuführen hatte ... Ihr, der Strengen, Unerbittlichen, der fanatisch Gläubigen winkte die Äbtissinnenglorie in nicht gar weiter Ferne, wie einmütig angenommen wurde.
Baron Schilling war schon in den ersten Tagen nach seiner Abreise mit der Majorin in Briefwechsel getreten – er wolle einen heimleitenden Faden draußen in den großen Irrgängen des Welttreibens festhalten, hatte er geschrieben. Anfänglich war die alte Frau auch eine wackere, pünktliche Berichterstatterin gewesen; aber allmählich hatten unaufschiebbare häusliche Geschäfte, auch hier und da ein Unwohlsein der Kinder, oft mehrtägige Stockungen veranlaßt, und da hatte sich dann Donna Mercedes gezwungen gesehen, die stets sehnsüchtig erwarteten Nachrichten zu geben... Es war wirklich seltsam, daß die Majorin nie die Wandlung zu bemerken schien, die sich nach und nach vollzogen hatte. Zuerst wurde ihr pünktlich