Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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überkommt mich eine schreckliche Ahnung. Ich schiele schon nach den zusammengerollten Segeln, hebe schon die Beine. Doch Ausreißen gibt’s bei mir nicht so leicht, zumal wenn ich die langen Seestiebel anhabe.

      »Aujust!!«

      August hatte nämlich außer der Taucherpumpe im speziellen auch die Schlangen unter sich.

      Weil August nicht gleich kommt, lasse ich die Bootsmannspfeife mit meinem eigenen Signal ertönen, und der erste, der dem Rufe Folge leistet, ist der dämliche Fritze.

      »Wat jibt’s, Käpt’n?«

      »Wohin sind denn hier die Schlangen?«

      »Wat for Schlangen, Käpt’n?«

      »Na, die Schlangen, die hier untergebracht sind!«

      »Hier sin keene Schlangen drin, Käpt’n, nur Ratzen und Müs.«

      Kurz und gut, ich habe gerade den richtigen Mann erwischt, der mir beichten kann. Wie alle anderen, machte auch dieser Matrose Jagd auf Ratten und Mäuse, hatte Fallen aufgestellt, hatte vorhin zwei Ratten und fünf Mäuse abliefern wollen, er wußte, daß die Jagdbeute in dieses Faß gesteckt werden sollte – und als er hier hereingekommen war, hatte das Faß umgekippt am Boden gelegen, der Drahtdeckel abgefallen.

      Fritz hatte sich weiter keine Gedanken gemacht, hatte das Faß wieder aufgerichtet, seine beiden Ratten und fünf Mäuse hineingetan, den Drahtdeckel aufgesetzt, und er war selbstzufrieden seiner Wege gegangen.

      Ich fragte nicht erst, ob er denn gar nicht gewußt, daß da Schlangen drin gewesen, ich forschte nicht nach dem eigentlichen Sünder – sondern ich jetzt schleunigst trotz meiner langen Seestiefel hinaus zur Segelkammer, Fritz mit mir gerissen, denn schon sah ich dort aus einem zusammengerollten Segel wirklich den züngelnden Kopf einer Schlange zum Vorschein kommen, und dort ragte auch so ein klapperähnliches Instrument hervor, aber keine Kinderklapper, ich fühlte die Viecher schon in meinen Hosenbeinen hochkriechen, obgleich diese in den Stiefeln steckten, und das Schlimmste war, daß die Tür zur Segelkammer offen gestanden hatte!

      Eine nette Geschichte! Jetzt konnten sich die im ganzen Schiffe verbreitet haben! Und darunter die Kupferschlange, die giftigste von Amerika, die den unfehlbaren Tod innerhalb einer Minute herbeiführt! Oder es konnten auch mehrere Exemplare dieser Spezies sein. Ich wußte nicht einmal, wieviel Schlangen es zusammen waren.

      In diesem Augenblick, als ich die Tür hinter mir zuschmetterte, kam mir ein Geschichtchen in die Erinnerung, das ich selbst miterlebt habe.

      Vor sechs Jahren fuhr ich als Matrose auf einem Segler von Singapur nach Batavia. Es war ein großes Segelschiff, welches speziell Passagiere zwischen diesen beiden Häfen hin und her beförderte. Da fuhr ein Engländer mit, der hatte zwei Brillenschlangen bei sich, zeigte sie unterwegs im wohlgesicherten Käfig den anderen Passagieren.

      Als aber in Batavia das Gepäck revidiert wird, fehlt die eine Brillenschlange, ist und bleibt verschwunden!

      Dieses Schiff, die ›Ahawaya‹ von Singapur, unter englischer Flagge, hat niemals wieder eine Besatzung bekommen! ›Da steckt noch eine Kobra drin,‹ hieß es, und … es war verpestet! Die Reederei tat alles, um des Reptils habhaft zu werden. Sie ließ Schlangenbeschwörer aus allen Teilen der Welt kommen, bezahlte Tausende und Abertausende dafür – nützte alles nichts, die Schlange kam nicht zum Vorschein – das Schiff wurde unter luftdichtem Verschluß ausgeschwefelt, und da endlich fand man in einem Loche den schon ausgedörrten Leib der Schlange – nützte ebenfalls nichts, das sollte nicht diejenige sein, welche, die sei von der Reederei nur untergeschoben worden … kurz und gut, so hat das noch fast neue Schiff zwei ganze Jahre untätig auf der Reede von Batavia gelegen, durch die entkommene Brillenschlange mit einem Fluche beladen, bis es einmal gerammt wurde und in den Wellen versank, samt seinem Fluche.

      Ich alarmierte das ganze Schiff. So und so. Der Schreck der Leute war nicht geringer als der meine.

      »Wieviel Schlangen waren es denn?«

      Nicht einmal das konnte einer angeben!

      Eine ganze Masse. Ein ganzer Knäuel.

      »Wer hat sie denn eigentlich an Bord gebracht?«

      Die Leute antworteten mir nicht mehr.

      »Der Schlangengrieper!« fingen sie zu schreien an. »Wo ist der Schlangengrieper?!«

      Was wollten die mit einem ›Schlangengreifer‹?

      Da kommt phlegmatisch ein schlanker, rotbrauner Bursche anspaziert, in dem ich sofort einen Indianer erkenne, auch so kostümiert, spaziert ebenso phlegmatisch in die Segelkammer hinein, ich beobachte ihn durch die offengebliebene Tür, er kauert sich hin, zieht aus dem Gürtel eine Flöte und bläst hinein, es ist aber keine Flöte, sondern nur so eine Art von Kinderfiebe, es kommt nur ein einziger kläglicher Ton heraus – doch das genügt. Eine Schlange nach der anderen kriecht aus den Segeln hervor, der Indianer packt eine nach der anderen am Halse und wirft sie in das Faß …

      »One – two – three – four …,« zählt er dabei und so fort, bis neun Schlangen aller Art dabei zum Vorschein bringend.

      »Well,« sagt er dann, als er den Deckel auf das Faß setzt. »Neun Stück, keine fehlt. Wie ist das passiert?«

      Ich hörte die Erklärung nicht. Ich staunte nur ob der Versicherung, daß sich dieser Indianer bereits seit sechs Tagen an Bord befand, und zwar waren diese Schlangen sein Eigentum. Er war ein indianischer professioneller Schlangenbeschwörer und Gaukler, der sich auf der Straße produzierte, was ihm aber in New-York verboten worden war. Gern war er der Aufforderung meiner Matrosen gefolgt, wollte mit uns gehen.

      Versteht der Leser, was ich hiermit sagen will? Ich hatte schon einen dritten Indianer an Bord, bereits seit sechs Tagen, ohne eine Ahnung davon zu haben.

      Es ging eben in dieser Zeit an Bord alles drunter und drüber, und so bemerkte ich auch erst auf offener See, als sich nach und nach alles zu lichten begann, daß mich meine Jungen mit viel mehr zwei- und vierbeinigen Mißgeburten und anderen Raritäten versehen hatten, als ich zurzeit wußte.

      Außerdem hatte ich eine tüchtige Lehre empfangen. Der indianische Gaukler, dessen erstaunliche Künste ich noch später kennen lernen sollte, hatte eigentlich keinen Grund, so phlegmatisch zu sein, er hatte seinen Schlangen nicht etwa die Giftzähne ausgebrochen, er selbst wurde dann später an Bord meines Schiffes ein Opfer eines Schlangenbisses, trotz all seiner Kunst.

      Ich trug Sorge, daß so etwas nicht wieder vorkommen konnte. Die Schlangen wurden jetzt in sichersten Gewahrsam genommen – ich konnte aber nicht hindern, daß noch am selben Tage einer der beiden Büffel, die ich für billiges Geld erworben, der Stier, seine Freiheit gewann und eine Stunde lang Herr an Deck war, bis sich der Cowboy so weit ernüchtert hatte, um ihn mit dem Lasso zu fangen, das heißt, ihn in eine Schlinge zu locken, wonach er sich wieder beruhigt abführen ließ.

      Und solche Szenen kamen an Bord des Zigeunerschiffes täglich, stündlich vor, auch während der langen Rückreise. Denn ein Zigeunerschiff durfte ich das meine wohl schon mit Recht nennen.

      Auch noch etwas anderes trug dazu bei, daß alles außer Rand und Band war.

      Ich hatte unter meinen Jungen keinen einzigen Trunkenbold. An Land mochten sie über den Strang hauen, und das mit der Buchdruckerei, das sind eben Matrosenzicken, Matrosen sind, wie schon gesagt, nicht dazu da, um Buchdruckereien zu kaufen – an Bord waren meine Jungen durchaus nüchtern, ich konnte sie ruhig am offenen Spiritusfasse Wache halten lassen.

      Das änderte sich jetzt etwas, und daran war nur diese ganze Zigeunerwirtschaft schuld.

      Alle diese Mißgeburten und Artisten waren, soweit sie zwei Beine und keine Flügel hatten, in bezechtem Zustande an Bord gekommen. Das war begreiflich genug. Es waren Matrosen, die auf der Suche gewesen, die das Geschäft abgeschlossen hatten, sie hatten sich zur Verlockung von vornherein der Whiskybuttel bedient. Daher war sich hinterher auch niemand darüber klar, was für einen Gehalt man eigentlich ausgemacht hatte.

      Nun aber, als die Leutchen aus ihrem Rausche