Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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da wurde den meisten der Handel leid, oder sie konnten sich überhaupt auf nichts mehr entsinnen – kurz, sie wollten wieder an Land, sprachen von Freiheitsberaubung und dergleichen.

      Besonders die vierzentrige Riesendame schrie Zeter und Mordio, sie wollte zu ihrem Schneiderlein zurück, besonders auch der Cowboy erwies sich renitent und mehr oder weniger alle anderen. Sie wollten eben vom Schiff, wollten von der ganzen Reise nichts mehr wissen.

      Was war da zu machen? Einen schriftlichen Kontrakt hatte ich nicht. Der hätte bei so etwas doch auch gar nichts genützt. Aber ebensowenig fiel mir ein, auch nur ein einziges dieser kostbaren Objekte, mit denen ich bei Karlemann alle Ehre einzulegen gedachte, wieder laufen zu lassen, und direkt einschließen wollte ich sie auch nicht, ich bin eben nicht so für Menschenraub, und ich hätte sie auch binden und knebeln müssen, sonst wäre ja das ganze Schiff ein einziges Zetergeschrei geworden.

      Nun, der Mund wurde ihnen dennoch geschlossen – nur in anderer Weise. Nämlich mit Whisky, Punsch und anderen angenehmen Getränken. Denn da war ja unter dieser Bande nun kein einziger, der nicht wenigstens zum Abschied noch ein Gläschen angenommen hätte, und dann noch eins, und dann ein drittes – und jedes liebe Vieh hat doch vier Beine – nein, unser Wunderkalb hatte fünf – und Fliegen haben sechs … und dann lagen sie selber wie die Fliegen da, und wenn sie wieder wach wurden, ging die Geschichte von vorne an und so in infinitum.

      Es war ein Zechgelage ohne Ende, und da half doch alles nichts, da mußten meine Jungen immer mitmachen, wenigstens die Hälfte von ihnen, während die andere noch nicht nüchtern war.

      Ach, was hat während dieser acht Tage mein Zwischendeck für Szenen gesehen! Wenn die vierzentrige Riesendame, die immer noch ihr kurzes Röckchen trug, sich während dieser acht Tage überhaupt noch gar nicht gewaschen hatte, mit meinem krummbeinigen Bootsmanne zusammen Ballett tanzte!

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      O Gott, o Gott!!

      Ach, war ich froh, dankte ich meinem Schöpfer, als wir in der Nacht des neunten Tages die Anker lichteten!

      Mit Volldampf ging es hinaus in die See! Unten hatte ich noch einmal eine Punschterrine anfahren lassen, die aus einem ganzen Fasse bestand, als Schöpfkelle diente ein Stiefel, und als das Zittern der Planken begann, da hatte ich schon dafür gesorgt, daß niemand mehr etwas davon merkte.

      Die vierzentrige Laura hatte auf ihren Elefantenbeinen einen achtzigpfündigen Häring von Leichtmatrosen und gröhlte mit ihm zusammen ein Liebesduett, die armlose Dame fand mit ihrem Fuße nicht mehr den Weg zum Mund, goß sich den Punsch immer über den Kopf, und so war alles total bezecht.

      Und mein Leiden sollte noch nicht zu Ende sein.

      Wie ich auf der Kommandobrücke stehe, das Nachtglas vorm Auge, wird mir plötzlich die Mütze vom Kopfe gerissen, und wie ich aufblicke, hängt da über nur ein großer Affe an einem Wickelschwanz, schwenkt meine Mütze, außerdem hat er am Beine noch einen Seestiefel – ich habe keine Zeit, mich um das Vieh und meine Mütze weiter zu kümmern, ich gehe ins Kartenhaus, will messen – Herrgott, ich pralle doch zurück, sitzt da auf der Karte ein haariges Ungeheuer von Spinne, wie ich noch keine gesehen habe, glotzt mich mit mächtigen Augen an – zuerst hielt ich es gar nicht für eine Spinne.

      »Kruzifix,« ruft da der Matrose, der eben den Mann am Ruder ablösen will, reißt seine Mütze vom Kopfe, guckt hinein und wühlt sich in den Haaren, »Kruzifix, dat ist ja mien Kreizspinn!«

      Ich hatte gar nichts von einer Vogelspinne gewußt – und der Matrose, der keine Zeit hat, packt das haarige Ungeheuer mit verwegener Hand, setzt sich die Spinne auf den Kopf, schnell die Mütze wieder darüber, und er übernimmt das Steuerrad – unter der Mütze die große Vogelspinne!

      Eine tolle Geschichte! Wirklich, wir waren alle toll geworden!

      AUF DER RÜCKFAHRT. – EINIGES ÜBER GOLIATH UND HANS.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Situation begann sich für mich zu klären. Wenn ich Papier und Bleistift zur Hand nahm, so erkannte ich, daß ich nichts vergessen hatte, weder einen buntbemalten Wigwam noch Tomahawk noch Friedenspfeife noch sonst etwas.

      Mein Kompagnon würde mit mir zufrieden sein. Ueberzählte ich die Häupter meiner Lieben, so waren es sechzehn Menschen, welche ich Karlemann zuführte, und jeder war ein Unikum in seiner Art, welches der spätere Humbugkönig Barnum sofort engagiert hätte.

      Man erlasse mir alle weitere Beschreibung derjenigen Mißgeburten und Artisten, die ich noch nicht angeführt habe, und alle die mitgenommenen Tiere aufzuzählen ist überhaupt unmöglich; denn da war z. B. ein großer Käfig vorhanden, in dem es wie fliegende Diamanten durcheinanderschwirrte – feuersprühende Kolibris, die in ihrer Rastlosigkeit also überhaupt nicht zu zählen waren.

      Man sieht, es würde immer Neues hinzukommen – und dann aber sieht man auch, welche Intelligenz und welchen Eifer meine Jungen gezeigt, wie sie die ihnen gegebene Aufgabe begriffen hatten; denn das hatten sie alles ohne mein Zutun herbeigeschafft – Amerika sollte gezeigt, auf diesem Schiffe vereint werden! – denn ich, wie gesagt, hatte mich um alles dies ja gar nicht kümmern können, und das hatten die wackeren Burschen fertig gebracht, obgleich sie immer etwas chloroformiert gewesen waren.

      Auch Blodwen gebührte das höchste Lob. Mit einem Worte: sie war ganz die Frau Ausstellerin – meinetwegen auch die Frau Zigeunerin.

      Daß sie gleich anfangs Interesse für diese ganze tolle Geschichte gehabt, darüber hatte ich mich ja nicht gewundert, mir nur die Frage gestellt: Wie lange wird das währen? Wann wird sie die Nase über dieses Gesindel rümpfen? Und – wann wird wegen der weiblichen Mitglieder ihre Eifersucht zum Durchbruch kommen?

      Nichts von alledem! Ich hatte ihr unrecht getan. Denn wenn das noch eintreten sollte, dann wäre es bald Zeit gewesen.

      Nein, Blodwen blieb bei der Stange. Und was sie, als sie mir in dem allgemeinen Durcheinander aus den Augen gekommen, geleistet hatte, das erkannte ich erst jetzt.

      Während des ersten Tages der Rückreise stellte ich mir oft die bange Frage, ob für unsere vierbeinigen Gäste denn auch das geeignete Futter vorhanden sei.

      Ich selbst hatte mich eigentlich nur um die Raubtiere gesorgt, hatte deswegen einige Rinder und Schafe an Bord genommen, nach der Fleischmenge ausgerechnet, daß es für die Raubtiere gut einen Monat langte und auch für uns ab und zu einen frischen Braten abgab.

      An alles kann der Mensch doch nicht denken.

      Fast hätte ich für die Tiere, welche verfüttert werden sollton, das eigene Futter vergessen. Erst Blodwen machte mich darauf aufmerksam, und es wurden genügend Heu und Rüben eingenommen.

      Die Affen waren ja leicht zu versorgen, aber nun die verschiedenartigen Vögel… meine Sorge war grundlos, Blodwen war es gewesen, die an alles und jedes gedacht hatte, für Körnerfresser wie für Insektenfresser, und sie hatte wirklich etwas geleistet. Es war eben alles vorhanden, was gebraucht wurde, und das war allein ihr Werk gewesen, ganz in der Stille ausgeführt. Hieran erkannte ich einmal, daß sie ein wirkliches Weib war. Eigentlich nämlich hätte ich ihr das gar nicht zugetraut. Kurz, ich hatte ihr unrecht getan, und offen, wie ich damals nun einmal war, gestand ich ihr dieses doch nur gedachte Unrecht gleich ein, was nur dazu beitrug, unser gutes Verhältnis zu befestigen.

      Blodwen nahm sich des kleineren Getieres auch weiter an, fütterte es eigenhändig, dabei unterstützt von Goliath.

      Von diesem habe ich bisher gar nichts gesagt, weil über ihn wirklich auch gar nichts zu berichten ist.

      Er spielte an Bord die Rolle eines Hausdieners, war das Faktotum. Wenn der Steward zu viel zu tun hatte, half er ihm Messer putzen, er scheuerte die Korridore, arbeitete, wenn Not an Mann war, auch mit in der Takelage.

      Habe ich noch nichts von ihm berichtet, so unterhielt ich mich doch mit