Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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mehr wir ihn beobachteten, desto mehr wurde dieser Neger für uns ein Rätsel.

      Er schien alles zu können, und alles tadellos.

      Als er uns aus dem Hafen von Monrovia lotste, hatte er sich als Seemann offenbart. Bei Gelegenheit überzeugte ich mich, daß er auch mit Sextant und Logarithmentafel umzugehen wußte. Also Steuermann. In seiner frühesten Jugend wollte er ja auch als Steward gefahren sein, und das zeigte sich beim Servieren, wie der gewandteste Oberkellner.

      Was war dabei Merkwürdiges? Er hatte eben als Steward begonnen, war Matrose, dann Steuermann geworden. Es gibt ja auch schwarze Kapitäne genug.

      Doch nein, so einfach war das nicht. Das Rätsel lag in seinem Charakter. Wenn einer etwas gelernt hat, so will er es doch auch verwerten, will danach beschäftigt sein, und nun vor allen Dingen so ein Neger!

      Aber wozu jemand sich selbst macht, danach wird er von der Welt behandelt. Bernhard, der Steward, betrachtete ihn als seinen Untergebenen, den er die schmutzigsten Arbeiten verrichten ließ. Der Bootsmann ließ ihn kalfatern, d. h., die Fugen im Deck mit Teer verschmieren. Und wurden mitten in der Nacht alle Mann an Deck gepfiffen, so erschien auch Goliath, als erster aus der Koje springend, obgleich er es gar nicht nötig hatte, überhaupt gar keine Wache ging, also den ganzen Tag auf den Beinen war.

      Dabei immer tiefernst, nicht gerade liebenswürdig, aber bescheiden, zuvorkommend, stumm. Und ob er nun kalfaterte oder den Korridor scheuerte oder Messer putzte – alles tadellos, in der Takelage der tüchtigste, unerschrockenste Matrose, und wenn wir ihn brauchten, und er hatte soeben erst mit Teer geschmiert, so brachte er es fertig, in der nächsten Minute mit sauberen Händen und sauberem Gewande zu erscheinen – ernst und stumm mit den aufmerksamen Augen eines Hundes unseres Winkes harrend.

      »Was ist nur mit dem?« fragte Blodwen oftmals. »Der ist einstmals etwas ganz anderes gewesen.«

      »In der Tat,« entgegnete ich dann, »der hat sich selbst besiegt, und wer das kann, dem gehört die ganze Welt. Aber lassen wir ihn gewähren. Er will durchaus die Rolle eines willenlosen Sklaven spielen. Gut, er soll es haben. Drängen wir ihn nicht. Vielleicht kommt er selbst noch zu uns. So lange aber soll er das bleiben, was er sein will. Bevorzugen wir ihn nicht.«

      Aber wir beobachteten ihn unausgesetzt, und wir entdeckten immer Ueberraschenderes an ihm, dieser Neger ward uns immer geheimnisvoller.

      Er sprach das beste Englisch mit allen Feinheiten. Zufällig entdeckte Blodwen, daß er ebenso das Französische beherrschte. Unser Staunen war groß, aber ebenso, wie er gar kein Hehl daraus machte, also seine Kenntnisse nicht verbarg, doch sie auch grundlos nicht verriet, so stellten wir auch unserer Abmachung gemäß deswegen keine Frage.

      Eben ein sehr gebildeter Sklave, den wir da gekauft oder sozusagen vom Himmel geschenkt bekommen hatten – damit basta!

      Dann zeigte sich, daß er ebenso ausgezeichnet das Spanische beherrschte. Die kreolische Bauchtänzerin sprach nämlich nur Spanisch, dabei hatte es sich herausgestellt.

      Ich hätte einmal fragen können: wieviel Sprachen sprichst du eigentlich? Aber nein, ich wollte konsequent bleiben.

      Jetzt war er hauptsächlich Blodwen behilflich, Vogelfutter zu quetschen, überhaupt die kleineren Tiere zu füttern, womit auch den ganzen Tag genug zu tun war.

      Die großen Raubtiere wurden gemeinschaftlich von den Matrosen versorgt, das machte denen ja das größte Vergnügen, selbst das Füttern der Kühe und Schafe. Es wurde hier an Bord einmal etwas Landwirtschaft getrieben, das war ihnen etwas Neues. Ich mußte nur darauf achten, daß sie dem Viehzeug nicht zu große Portionen zusteckten, das wollte überhaupt zu den Hauptmahlzeiten gar nicht mehr fressen, denn jeder Matrose und Heizer steckte im Vorbeigehen doch eine Handvoll Heu oder eine Rübe zu. Am meisten Spaß machte natürlich das Füttern der Bären und der beiden Leoparden, zweier Prachtexemplare.

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      Dieses an sich harmlose Vergnügen sollte eine böse Störung erfahren. Ich hatte vergebens zur Vorsicht gemahnt – es war am zweiten Tage nach der Abreise, als das Leopardenmännchen meinen Bootsmann zwischen den Klauen hatte, ihn an das Gitter heranziehend, ihm Arm und Brust zerfleischend. Nur mit Mühe konnte ihm sein Opfer entzogen werden, der Bootsmann selbst, unerschrocken bis zuletzt, hatte ihm die Daumen auf die Augen gesetzt, hätte sie dem Leoparden bald eingedrückt.

      Zum ersten Male sollte ich die Rolle des Arztes spielen. Mir war schrecklich zumute. Ich hatte schon Blut genug fließen sehen, Wunden – aber doch noch nicht eine solch entsetzlich zerfleischte Brust, und nun sollte ich die Fleischlappen und Hautfetzen abschneiden, und nun war es mein armer Bootsmann, dieser brave, biedere, treuherzige Kerl, den ich samt seiner krummen Beine gar eng in mein Herz eingeschlossen hatte, und wie er nun so wimmernd dalag …

      »Massa, soll ich ihn operieren und verbinden?« Erstaunt blickte ich in Goliaths schwarzes, ernstes Gesicht.

      »Was, das verstehst du?!«

      »Ich habe einige ärztliche Kenntnisse.«

      Hier war keine Zeit zu verlieren, ich gab ihm das Messer – und schon wie er es anfaßte – ganz anders als ich – und wie er schnitt, wie er die antiseptische Watte auflegte, den Verband umwickelte … das war ein professioneller Arzt, oder ich ließ mich doch gleich hängen!!

      Es war geschehen. Enoch – dies ist der Name des finnischen Bootsmannes – war unterdessen bewußtlos geworden.

      »Wird er es überstehen?« flüsterte Blodwen, die Handreichungen getan hatte, was ich ihr gar nicht zugetraut hätte.

      »Nach menschlichem Ermessen ja. Es ist nur äußerlich. Die Wunden müssen aufs peinlichste sauber gehalten werden, sonst brechen sie später immer wieder auf. Wenn er das Wundfieber übersteht, ist er gerettet.«

      Zunächst, um nichts zu vergessen, muß ich erwähnen, daß Blodwen, nachdem sie diese Worte gehört hatte, die volle Waschschüssel fallen ließ und sich in die Pfütze hineinlegte. Die Ohnmacht hatte sie erst nachträglich gepackt.

      Nachdem auch die versorgt war, hatte ich es wieder mit Goliath zu tun.

      »Woher hast du diese ärztlichen Kenntnisse?«

      Er sei lange Zeit Diener bei einem Arzt gewesen – und da ich merkte, wie er wiederum auszuweichen versuchte, keinen Namen nennen wollte, ließ ich mir diese Auskunft genügen.

      Sonst also blieb ich meinem Vorsatze treu, nur in anderer Hinsicht mußte sich das Verhältnis ändern.

      »Goliath, das geht nicht mehr, daß du Kartoffeln schälst und die Korridore scheuerst und bei der Deckarbeit zum Kalfatern und dergleichen verwendet wirst. Der Bootsmann muß ersetzt werden. Kannst du seine Stelle ausfüllen?«

      »O, Massa, ich bin nur … «

      »Ob du die Stelle des Bootsmanns ausfüllen kannst oder nicht, frage ich.«

      »Ich kann es.«

      »So bist du von heute an Bootsmann, nach amerikanischer Heuer vierzig Dollar monatlich.«

      Die Mannschaft wurde benachrichtigt, und ich habe nie einen besseren Bootsmann gehabt.

      Nun muß ich noch eines besonderen Falles Erwähnung tun, der, für mich selbst damals ganz unbedeutend, später noch eine große Folge haben sollte.

      Jetzt hatte Blodwen beim Füttern ihrer Vögel und anderen Tiere keinen Assistenten mehr, und es zeigte sich bald, daß hierzu ein ganzer Mann nötig war, also nicht, daß etwa der Steward ihr so manchmal dabei half. Blodwen selbst sagte das mir, ich solle ihr hierzu einen Matrosen zur Verfügung stellen.

      Wie ich so noch darüber nachdachte, wen ich dazu kommandieren solle, dabei erwägend, daß zum Körnerquetschen nicht jeder passe, die meisten könnten sich wohl für solch eine Ehre bedanken, das war doch Weiberbeschäftigung, kam Hans auf mich zugetreten.

      »Herr Kapitän!«

      »Nun, was gibt’s, mein Junge?«

      »Die