entstand, wie man ihn nie zuvor vernommen hatte12. Die einem solchen Menschen gewaltsam verschaffte, ausgebreitete geistige Wirksamkeit hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt. Der Bewunderer jener Afterphilosophie wartet der Hohn der Nachwelt, dem jetzt schon der Spott der Nachbarn, lieblich zu hören, präludirt; – oder sollte es meinen Ohren nicht wohlklingen, wenn die Nation, deren gelehrte Kaste meine Leistungen, dreißig Jahre hindurch, für nichts und weniger als nichts, für keines Blickes würdig, geachtet hat, – von den Nachbarn den Ruhm erhält, das ganz Schlechte, das Absurde, das Unsinnige und dabei materiellen Absichten Dienende, als höchste und unerhörte Weisheit 30 Jahre lang verehrt, ja vergöttert zu haben? Ich soll wohl auch, als ein guter Patriot, mich im Lobe der Deutschen und des Deutschthums ergehn, und mich freuen, dieser und keiner andern Nation angehört zu haben? Allein es ist, wie das Spanische Sprichwort sagt: cada uno cuenta de la feria, oomo le va en ella. (Jeder berichtet von der Messe, je nachdem es ihm darauf ergangen.) Geht zu den Demokolaken und laßt euch loben. Tüchtige, plumpe, von Ministern aufgepuffte, brav Unsinn schmierende Scharlatane, ohne Geist und ohne Verdienst, Das ist’s, was den Deutschen gehört; nicht Männer wie ich. – Dies ist das Zeugniß, welches ich ihnen, beim Abschiede, zu geben habe. Wieland (Briefe an Merck S. 239) nennt es ein Unglück, als ein Deutscher geboren zu seyn: Bürger, Mozart, Beethoven u. A. m. würden ihm beigestimmt haben: ich auch. Es beruht darauf, daß σοφον ειναι δει τον επιγνωσομενον τον σεφον, oder il n’y a que l’esprit qui sente l’esprit13.
Zu den glänzendesten und verdienstlichsten Seiten der Kantischen Philosophie gehört unstreitig die transscendentale Dialektik, durch welche er die spekulative Theologie und Psychologie dermaaßen aus dem Fundament gehoben hat, daß man seitdem, auch mit dem besten Willen, nicht im Stande gewesen ist, sie wieder aufzurichten. Welche Wohlthat für den menschlichen Geist! Oder sehn wir nicht, während der ganzen Periode, seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften bis zu ihm, die Gedanken selbst der größten Männer eine schiefe Richtung annehmen, ja, oft sich völlig verrenken, in Folge jener beiden, den ganzen Geist lähmenden, aller Untersuchung erst entzogenen und danach ihr abgestorbenen, schlechterdings unantastbaren Voraussetzungen? Werden uns nicht die ersten und wesentlichsten Grundansichten unserer selbst und aller Dinge verschroben und verfälscht, wenn wir mit der Voraussetzung daran gehn, daß das Alles von außen, nach Begriffen und durchdachten Absichten, durch ein persönliches, mithin individuelles Wesen hervorgebracht und eingerichtet sei? imgleichen, daß das Grundwesen des Menschen ein Denkendes wäre und er aus zwei gänzlich heterogenen Theilen bestehe, die zusammengekommen und zusammengelöthet wären, ohne zu wissen, wie, und nun mit einander fertig zu werden hätten, so gut es gehn wollte, um bald wieder nolentes volentes sich auf immer zu trennen? Wie stark Kants Kritik dieser Vorstellungen und ihrer Gründe auf alle Wissenschaften eingewirkt habe, ist daraus ersichtlich, daß seitdem, wenigstens in der höhern deutschen Litteratur, jene Voraussetzungen allenfalls nur noch in einem figürlichen Sinne vorkommen, aber nicht mehr ernstlich gemacht werden: sondern man überläßt sie den Schriften für das Volk und den Philosophieprofessoren, die damit ihr Brod verdienen. Namentlich halten unsere naturwissenschaftlichen Werke sich von dergleichen rein, während hingegen die englischen, durch dahin zielende Redensarten und Diatriben, oder durch Apologien, sich in unsern Augen herabsetzen14. Noch dicht vor Kant freilich stand es in dieser Hinsicht ganz anders: so sehn wir z. B. selbst den eminenten Lichtenberg, dessen Jugendbildung noch vorkantisch war, in seinem Aufsatz über Physiognomik, ernsthaft und mit Ueberzeugung jenen Gegensatz von Seele und Leib festhalten und dadurch seine Sache verderben. Wer diesen hohen Werth der transscendentalen Dialektik erwägt, wird es nicht überflüssig finden, daß ich hier etwas specieller auf dieselbe eingehe. Zunächst lege ich daher Kennern und Liebhabern der Vernunftkritik folgenden Versuch vor, in der Kritik der rationalen Psychologie, wie sie allein in der ersten Ausgabe vollständig vorliegt, – während sie in den folgenden kastrirt auftritt, – das Argument, welches daselbst S. 361 fg. unter dem Titel Paralogismus der Personalität kritisirt wird, ganz anders zu fassen und demnach zu kritisiren. Denn Kants allerdings tiefsinnige Darstellung desselben ist nicht nur überaus subtil und schwer verständlich, sondern ihr ist auch vorzuwerfen, daß sie den Gegenstand des Selbstbewußtseyns oder in Kants Sprache, des innern Sinnes, plötzlich und ohne weitere Befugniß, als den Gegenstand eines fremden Bewußtseyns, sogar einer äußern Anschauung nimmt, um ihn dann nach Gesetzen und Analogien der Körperwelt zu beurtheilen; ja, daß sie sich (S. 363) erlaubt, zwei verschiedene Zeiten, die eine im Bewußtseyn des beurtheilten, die andere in dem des urtheilenden Subjekts anzunehmen, welche nicht zusammenstimmten. – Ich würde also dem besagten Argumente der Persönlichkeit eine ganz andere Wendung geben und es demnach in folgenden zwei Sätzen darstellen:
1) Man kann, hinsichtlich aller Bewegung überhaupt, welcher Art sie auch seyn möge, a priori feststellen, daß sie allererst wahrnehmbar wird durch den Vergleich mit irgend einem Ruhenden; woraus folgt, daß auch der Lauf der Zeit, mit Allem in ihr, nicht wahrgenommen werden könnte, wenn nicht etwas wäre, das an demselben keinen Theil hat, und mit dessen Ruhe wir die Bewegung jenes vergleichen. Wir urtheilen hierin freilich nach Analogie der Bewegung im Raum: aber Raum und Zeit müssen immer dienen, einander wechselseitig zu erläutern, daher wir eben auch die Zeit unter dem Bilde einer geraden Linie uns vorstellen müssen, um sie anschaulich auffassend, a priori zu konstruiren. Demzufolge also können wir uns nicht vorstellen, daß, wenn Alles in unserm Bewußtseyn, zugleich und zusammen, im Flusse der Zeit fortrückte, dieses Fortrücken dennoch wahrnehmbar seyn sollte; sondern hiezu müssen wir ein Feststehendes voraussetzen, an welchem die Zeit mit ihrem Inhalt vorüberflösse. Für die Anschauung des äußern Sinnes leistet dies die Materie, als die bleibende Substanz, unter dem Wechsel der Accidenzien; wie dies auch Kant darstellt, im Beweise zur ersten Analogie der Erfahrung, S. 183 der ersten Ausgabe. An eben dieser Stelle ist es jedoch, wo er den schon sonst von mir gerügten, unerträglichen, ja seinen eigenen Lehren widersprechenden Fehler begeht, zu sagen, daß nicht die Zeit selbst verflösse, sondern nur die Erscheinungen in ihr. Daß Dies grundfalsch sei, beweist die uns Allen innewohnende feste Gewißheit, daß, wenn auch alle Dinge im Himmel und auf Erden plötzlich stille ständen, doch die Zeit, davon ungestört, ihren Lauf fortsetzen würde; so daß, wenn späterhin die Natur ein Mal wieder in Gang geriethe, die Frage nach der Länge der dagewesenen Pause, an sich selbst einer ganz genauen Beantwortung fähig seyn würde. Wäre Dem anders; so müßte mit der Uhr auch die Zeit stille stehn, oder, wenn jene liefe, mitlaufen. Gerade dies Sachverhältniß aber, nebst unserer Gewißheit a priori darüber, beweist unwidersprechlich, daß die Zeit in unserm Kopfe, nicht aber draußen, ihren Verlauf, und also ihr Wesen, hat. – Im Gebiete der äußern Anschauung, sagte ich, ist das Beharrende die Materie: bei unserm Argument der Persönlichkeit hingegen ist die Rede bloß von der Wahrnehmung des innern Sinnes, in welche auch die des äußern erst wieder aufgenommen wird. Daher also sagte ich, daß wenn unser Bewußtseyn mit seinem gesammten Inhalt gleichmäßig im Strome der Zeit sich fortbewegte, wir dieser Bewegung nicht inne werden könnten. Also muß hiezu im Bewußtseyn selbst etwas Unbewegliches seyn. Dieses aber kann nichts Anderes seyn, als das erkennende Subjekt selbst, als welches dem Laufe der Zeit und dem Wechsel ihres Inhalts unerschüttert und unverändert zuschaut. Vor seinem Blicke läuft das Leben wie ein Schauspiel zu Ende. Wie wenig es selbst an diesem Laufe Theil hat, wird uns sogar fühlbar, wenn wir, im Alter, die Scenen der Jugend und Kindheit uns lebhaft vergegenwärtigen.
2) Innerlich, im Selbstbewußtseyn, oder, mit Kant zu reden, durch den innern Sinn, erkenne ich allein in der Zeit. Nun aber kann es, objektiv betrachtet, in der bloßen Zeit allein kein Beharrliches geben; weil solches eine Dauer, diese aber ein Zugleichseyn, und dieses wieder den Raum voraussetzt – (die Begründung dieses Satzes findet man in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 18, sodann Welt als W. u. V. 2. Aufl., Bd. 1, §. 4 S. 10, 11 u. S. 531. – 3. Aufl. S. 10, 11 u. 560). Desungeachtet nun aber finde ich mich thatsächlich als das beharrende, d. h. bei allem Wechsel meiner Vorstellungen immerdar bleibende Substrat derselben, welches zu diesen Vorstellungen sich eben so verhält, wie die Materie zu ihren wechselnden Accidenzien, folglich, eben so wohl wie diese, den Namen der Substanz verdient und, da es unräumlich, folglich unausgedehnt