Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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dessen Resultat die Wahrnehmung eines äußerlichen Objekts ist. Auf jene empfundene Veränderung im Sinnesorgane nämlich wird zunächst, mittelst einer nothwendigen und unausbleiblichen Verstandesfunktion a priori, das Gesetz der Kausalität angewandt: dieses leitet, mit seiner apriorischen Sicherheit und Gewißheit, auf eine Ursache jener Veränderung, welche, da sie nicht in der Willkür des Subjekts steht, jetzt als ein ihm Aeußerliches sich darstellt, eine Eigenschaft, die ihre Bedeutung erst erhält mittelst der Form des Raumes, welche letztere aber ebenfalls der eigene Intellekt zu diesem Behuf alsbald hinzufügt, wodurch nun also jene nothwendig vorauszusetzende Ursache sich sofort anschaulich darstellt, als ein Objekt im Raume, welches die von ihr in unsern Sinnesorganen bewirkten Veränderungen als seine Eigenschaften an sich trägt. Diesen ganzen Hergang findet man ausführlich und gründlich dargelegt in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde §. 21. Nun aber ist ja doch die Sinnesempfindung, welche zu diesem Vorgange den Ausgangspunkt und unstreitig den ganzen Stoff zur empirischen Anschauung liefert, etwas ganz und gar Subjektives, und da nun sämmtliche Erkenntniß-Formen, mittelst welcher aus jenem Stoffe die objektive anschauliche Vorstellung entsteht und nach außen projicirt wird, Kants ganz richtiger Nachweisung zufolge, ebenfalls subjektiven Ursprungs sind; so ist klar, daß sowohl Stoff als Form der anschaulichen Vorstellung aus dem Subjekt entspringen. Hienach löst nun unsere ganze empirische Erkenntniß sich in zwei Bestandtheile auf, welche beide ihren Ursprung in uns selbst haben, nämlich die Sinnesempfindung und die a priori gegebenen, also in den Funktionen unsers Intellekts, oder Gehirns, gelegenen Formen, Zeit, Raum und Kausalität, denen übrigens Kant noch elf andere, von mir als überflüssig und unstatthaft nachgewiesene Kategorien des Verstandes hinzugefügt hatte. Demzufolge liefert die anschauliche Vorstellung und unsre, auf ihr beruhende, empirische Erkenntniß in Wahrheit keine Data zu Schlüssen auf Dinge an sich, und Kant war, nach seinen Prinzipien, nicht befugt, solche anzunehmen. Wie alle früheren, so hatte auch die Lockesche Philosophie das Gesetz der Kausalität als ein absolutes genommen und war dadurch berechtigt, von der Sinnesempfindung auf äußere, unabhängig von uns wirklich vorhandene Dinge zu schließen. Dieser Uebergang von der Wirkung zur Ursache ist jedoch der einzige Weg, um geradezu vom Innern und subjektiv Gegebenen zum Aeußern und objektiv Vorhandenen zu gelangen. Nachdem aber Kant das Gesetz der Kausalität der Erkenntnißform des Subjekts vindicirt hatte, stand ihm dieser Weg nicht mehr offen: auch hat er selbst oft genug davor gewarnt, von der Kategorie der Kausalität transscendenten, d. h. über die Erfahrung und ihre Möglichkeit hinausgehenden Gebrauch zu machen.

      In der That ist das Ding an sich auf diesem Wege nimmermehr zu erreichen, und überhaupt nicht auf dem der rein objektiven Erkenntniß, als welche immer Vorstellung bleibt, als solche aber im Subjekt wurzelt und nie etwas von der Vorstellung wirklich Verschiedenes liefern kann. Sondern nur dadurch kann man zum Dinge an sich gelangen, daß man ein Mal den Standpunkt verlegt, nämlich statt wie bisher immer nur von Dem auszugehn, was vorstellt, ein Mal ausgeht von Dem was vorgestellt wird. Dies ist Jedem aber nur bei einem einzigen Dinge möglich, als welches ihm auch von innen zugänglich und dadurch ihm auf zweifache Weise gegeben ist: es ist sein eigener Leib, der, in der objektiven Welt, eben auch als Vorstellung im Raume dasteht, zugleich aber sich dem eigenen Selbstbewußtseyn als Wille kund giebt. Dadurch aber liefert er den Schlüssel aus, zunächst zum Verständniß aller seiner durch äußere Ursachen (hier Motive) hervorgerufenen Aktionen und Bewegungen, als welche, ohne diese innere und unmittelbare Einsicht in ihr Wesen, uns eben so unverständlich und unerklärbar bleiben würden, wie die nach Naturgesetzen und als Aeußerungen der Naturkräfte eintretenden Veränderungen der uns in objektiver Anschauung allein gegebenen übrigen Körper; und sodann zu dem des bleibenden Substrats aller dieser Aktionen, in welchem die Kräfte zu denselben wurzeln, – also dem Leibe selbst. Diese unmittelbare Erkenntniß, welche Jeder vom Wesen seiner eigenen, ihm außerdem ebenfalls nur in der objektiven Anschauung, gleich allen andern, gegebenen Erscheinung hat, muß nachher auf die übrigen, in letzterer Weise allein gegebenen Erscheinungen analogisch übertragen werden, und wird alsdann der Schlüssel zur Erkenntniß des innern Wesens der Dinge, d. h. der Dinge an sich selbst. Zu dieser also kann man nur gelangen auf einem, von der rein objektiven Erkenntniß, welche bloße Vorstellung bleibt, ganz verschiedenen Wege, indem man nämlich das Selbstbewußtseyn des immer nur als animalisches Individuum auftretenden Subjekts der Erkenntniß zu Hülfe nimmt und es zum Ausleger des Bewußtseyns andrer Dinge, d. i. des anschauenden Intellekts macht. Dies ist der Weg, den ich gegangen bin, und es ist der allein rechte, die enge Pforte zur Wahrheit.

      Statt nun diesen Weg einzuschlagen, verwechselte man Kants Darstellung mit dem Wesen der Sache, glaubte mit jener auch dieses widerlegt, hielt was im Grunde nur argumenta ad hominem waren für argumenta ad rem, und erklärte demnach, in Folge jener Schultzischen Angriffe, Kants Philosophie für unhaltbar. – Dadurch ward nunmehr das Feld für die Sophisten und Windbeutel frei. Als der erste dieser Art stellte sich Fichte ein, der, da das Ding an sich eben in Mißkredit gekommen war, flugs ein System ohne alles Ding an sich verfertigte, mithin die Annahme von irgend etwas, das nicht durch und durch bloß unsere Vorstellung wäre, verwarf, also das erkennende Subjekt Alles in Allem seyn, oder doch aus eigenen Mitteln Alles hervorbringen ließ. Zu diesem Zweck hob er sogleich das Wesentliche und Verdienstlichste der Kantischen Lehre, die Unterscheidung des Apriori vom Aposteriori, und dadurch der Erscheinung vom Ding an sich, auf, indem er alles für Apriori erklärte, natürlich ohne Beweise für solche monstrose Behauptung: statt derer gab er theils sophistische, ja, sogar aberwitzige Scheindemonstrationen, deren Absurdität sich unter der Larve des Tiefsinns und der angeblich aus diesem entsprungenen Unverständlichkeit verbarg; theils berief er sich, frank und frech, auf intellektuale Anschauung, d. h. eigentlich auf Inspiration. Für ein aller Urtheilskraft ermangelndes, Kants unwürdiges Publikum, reichte das freilich aus: dieses hielt Ueberbieten für Uebertreffen und erklärte sonach Fichten für einen noch viel größern Philosophen als Kant. Ja, noch bis auf den heutigen Tag fehlt es nicht an philosophischen Schriftstellern, die jenen traditionell gewordenen falschen Ruhm Fichte’s auch der neuen Generation aufzubinden bemüht sind und ganz ernsthaft versichern, was Kant bloß versucht habe, das wäre durch den Fichte zu Stande gebracht: er sei eigentlich der Rechte. Diese Herren legen durch ihr Midas-Urtheil in zweiter Instanz ihre gänzliche Unfähigkeit, Kanten irgend zu verstehn, ja, überhaupt ihren deplorabeln Unverstand so palpabel deutlich an den Tag, daß hoffentlich das heranwachsende, endlich entäuschte Geschlecht sich hüten wird, mit ihren zahlreichen Geschichten der Philosophie und sonstigen Schreibereien Zeit und Kopf zu verderben. – Bei dieser Gelegenheit will ich eine kleine Schrift ins Andenken zurückrufen, aus der man ersehen kann, welchen Eindruck Fichte’s persönliche Erscheinung und Treiben auf unbefangene Zeitgenossen machte: sie heißt Kabinet Berliner Charaktere und ist 1808, ohne Druckort erschienen: sie soll von Buchholz seyn; worüber ich jedoch keine Gewißheit habe. Man vergleiche damit, was der Jurist Anselm von Feuerbach, in seinen 1852 von seinem Sohne herausgegebenen Briefen, über Fichte sagt; desgleichen auch Schiller’s und Fichte’s Briefwechsel, 1847; und man wird eine richtigere Vorstellung von diesem Scheinphilosophen erhalten11.

      Bald trat, seines Vorgängers würdig, Schelling in Fichte’s Fußstapfen, die er jedoch verließ, um seine eigene Erfindung, die absolute Identität des Subjektiven und Objektiven, oder Idealen und Realen, zu verkündigen, welche darauf hinausläuft, daß Alles, was seltene Geister, wie Locke und Kant, mit unglaublichem Aufwand von Scharfsinn und Nachdenken gesondert hatten, nur wieder zusammenzugießen sei in den Brei jener absoluten Identität. Denn die Lehre dieser beiden Denker läßt sich ganz passend bezeichnen als die von der absoluten Diversität des Idealen und Realen, oder Subjektiven und Objektiven. Jetzt aber ging es weiter von Verirrungen zu Verirrungen. War ein Mal durch Fichten die Unverständlichkeit der Rede eingeführt und der Schein des Tiefsinns an die Stelle des Denkens gesetzt; so war der Saame gestreut, dem eine Korruption nach der andern und endlich die in unsern Tagen aufgegangene, gänzliche Demoralisation der Philosophie, und durch sie der ganzen Litteratur, entsprießen sollte.

      Auf Schelling folgte jetzt schon eine philosophische Ministerkreatur, der, in politischer, obendrein mit einem Fehlgriff bedienter Absicht, von oben herunter zum großen Philosophen gestempelte Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit,