Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 5 – Arztroman


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      »Aber Janine kann nichts dafür, sie ist ein liebes Mädchen und überhaupt nicht überheblich. Die Freundschaft mit Beate ist rührend.«

      »Aber es kann kritisch für sie werden, eine Lähmung ist nicht ausgeschlossen, und die Schuldzuweisung wird an Frau Hendriks gehen, auch wenn sie gar nicht schuld ist.«

      »Wenn man ihr nicht nachweist, daß sie zu schnell war. Sie fährt gern schnell.«

      Jenny Behnisch seufzte. »Es gibt Komplikationen in jeder Beziehung, ich habe es geahnt.«

      Jetzt erschien Ellen Binder, hektisch und schrill auf Schwester Klara einredend, die gar nicht zu Worte kam und heilfroh war, jetzt ihrer Chefin alles weitere überlassen zu können. Fee entfernte sich rasch, als ein giftiger Blick von Ellen sie getroffen hatte, aber sie ging zur Intensivstation. Sie durfte das ohne zu fragen.

      Jenny konnte sehr kühl sein, um nicht zu sagen eisig, wenn man ihr dumm kam. Das bekam Ellen Binder zu spüren.

      »Was regen Sie sich auf? Sie waren nicht zu erreichen, die Nachricht, daß Sie sich mit uns in Verbindung setzen mögen, wurde auf den Anrufbeantworter gesprochen. Wir haben es für richtig gehalten, Janines Vater zu benachrichtigen, da ihr Zustand kritisch war und noch ist.«

      »Ich war bei einer Freundin außerhalb von München und habe dort übernachtet«, erklärte Ellen Binder herablassend. »Ich verstehe überhaupt nicht, wie das passieren mußte, denn Janine sollte doch auf einer Klassenfahrt nach Griechenland sein.«

      »Die heute begonnen hat. Gestern war sie mit Beate und Frau Hendriks zum Essen am See, und auf der Heimfahrt geschah der Unfall.«

      »Warum gibt sie sich auch mit diesen Leuten ab«, zischte Ellen. »Ich kann diese Frau nicht ausstehen!«

      Jenny mußte sich sehr beherrschen, um ihr nicht Kontra zu geben, sie dachte dann, daß Janine wirklich zu bedauern sei.

      »Janines Vater tut gerade so, als sei ich schuld an allem«, stieß Ellen wütend hervor. »Sie tut doch, was sie will. Ich weiß meistens nicht, wo sie sich aufhält. Sie ist erwachsen, und Sie wissen doch auch, daß Einmischung der Eltern unerwünscht ist. Selbstverständlich möchte ich, daß sie bestens versorgt wird. Wenn ihr Vater alle zusätzlichen Kosten übernehmen wird, soll er bestimmen, wie und wo sie weiterbehandelt werden soll. Ich werde ihr jetzt ohnehin nicht helfen können.«

      »Manchmal hilft es aber sehr, wenn man Liebe und Fürsorge spürt.«

      Das konnte sich Jenny nicht verkneifen.

      Dann wollte Ellen wissen, welcher Art Janines Verletzungen waren, aber gleich sagte sie dann auch, daß sie davon nichts verstünde und die Klinikatmosphäre ihr Atembeschwerden verursache.

      »Dann sollten Sie sich auch mal untersuchen lassen«, meinte Jenny anzüglich.

      Ellen fragte dann doch, ob sie Janine sehen dürfe. Es wurde ihr erlaubt, aber schnell drehte sie sich um. »Es tut mir leid, aber ich muß hier raus, mir wird schlecht«, murmelte sie.

      Jenny vermutete aber, daß dies auch von einem Kater nach einer langen Nacht der Fall sein könnte, denn so sah Ellen Binder aus. Das Gesicht wirkte mit dem dicken Make-up bizarr, aber auch diese Tünche konnte nicht mehr verbergen, daß es ein verlebtes Gesicht war. Was Ellen jetzt dachte, wollte Jenny gar nicht wissen.

      »Wenn man mit Janine reden kann, sagen Sie mir bitte Bescheid.« Sie rang sich tatsächlich ein bitte ab, aber dann hatte sie es eilig, die Klinik zu verlassen.

      Fee war schnell in dem Nebenraum verschwunden, als Jenny mit Ellen Binder gekommen war, doch dann kam sie gleich wieder aus ihrem Versteck.

      »Wahrlich eine Nervensäge«, meinte sie.

      »Aber auch ein Nervenbündel«, erklärte Jenny. »Wie sagt der Volksmund – sie frißt sich selber auf.«

      »Es ist gut, daß Janine schon über sich selbst bestimmen kann«, sagte Fee. »Du sagst mir Bescheid, wenn sich etwas ändert?«

      »Mache ich. Es ist lieb, daß du dich so kümmerst. Frau Binder hat dafür keine Zeit.«

      »Manche Menschen ändern sich nie, auch nicht dann, wenn sie dazu eine Chance bekommen«, meinte Fee. »Ich verstehe, wenn ihr die Verantwortung für Janine weitergeben wollt.«

      Aber Rainer Binder hatte es sich anders überlegt, nachdem er mit seiner jetzigen Frau Marlene gesprochen hatte, die sich sehr positiv über die Behnisch-Klinik und die leitenden Ärzte geäußert hatte. Sie war ganz anders als Ellen, eigentlich genau das Gegenteil. Rainer war in dieser Ehe zur Ruhe gekommen.

      Er hatte es gehaßt, daß Ellen kein gesellschaftliches Ereignis versäumen wollte. Sie hatte ihm immer wieder gepredigt, daß er das für seine Karriere tun müsse, und auch als er es geschafft und die Spitze erreicht hatte, hatte sie ihn genervt und wollte auch dann keine Party mehr auslassen und selbst ständig Gäste um sich haben. Es gab dauernd Differenzen und schließlich handfeste Auseinandersetzungen, die zur Katastrophe geworden wären, wenn er nicht endlich die Scheidung verlangt hätte.

      Er hatte es nicht gewollt, um Janines willen, und es hatte auch nicht heißen sollen, daß Marlene der Scheidungsgrund sei. Sie hatten sich immer gut verstanden, aber enge Kontakte hatten sie beide vermieden. Erst als er geschieden war, wurde Marlene ganz zu seiner Vertrauten und schließlich auch seine Frau.

      Sie wollten Janine sofort zu sich nehmen, aber die wollte in Beates Nähe bleiben. Sie mußte ihre launenhafte Mutter auch nur selten ertragen, da Ellen ständig unterwegs und Janine früh selbständig war. Ihr war es wichtiger, mit Beate zusammenzusein, und dagegen hatte Inge auch nichts einzuwenden, weil Beate dadurch gar nicht erst in eine Clique geriet, die so manchem Mädchen zum Verhängnis wurde. Das einzige, was Inge an dieser Freundschaft zu bemängeln hatte, war eben Ellen. Die beiden Frauen konnten sich nicht ausstehen. Jede hatte ihren Spleen, aber sie waren so verschieden in ihren Ansichten, daß sie einander nicht mal tolerieren konnten, obgleich sie sich öfter bei Geselligkeiten trafen. Vielleicht kam es daher, daß Ellen gleich beim ersten Zusammentreffen versucht hatte, Helmut Hendriks zu becircen, auch wenn dieser Versuch erfolglos geblieben war.

      Helmut hatte genug von einer schwierigen Frau zu ertragen, er ließ sich in kein Abenteuer mehr ein. Er war gern mit Frauen zusammen, die intelligent, witzig und charmant waren und vor allem nicht auf Verführung aus. Er hatte auch eine Sekretärin, die intelligent war, ihn aber sonst privat nicht interessierte. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn sie war seit ein paar Monaten glücklich verheiratet. Er reiste allein, wenn es nach Frankreich oder England ging, weil er beide Sprachen beherrschte und man ihm perfekte Schreibkräfte zur Verfügung stellte. Er hatte in Lyon einen wichtigen Abschluß getätigt und flog weiter nach Paris. Diese Stadt mit ihrem besonderen Flair und das französische Essen liebte er.

      Sein Hotel lag dicht bei den Champs Elysees, und er hatte zwischendurch schon mal Zeit für einen Bummel. Es machte ihm Spaß, und er fand auch immer etwas für Beate. Natürlich mußte er auch Inge etwas mitbringen, aber das war stets ein Parfüm, weil ihm für sie nichts anderes einfiel. Er dachte schon manchmal, daß sie eine seltsame Ehe führten, aber er hatte nicht die Absicht, das noch zu ändern, wenn er sich nach Meinungsverschiedenheiten wieder beruhigt hatte. Wenn er sich manchmal auch gewaltig über Inges Nörgeleien und Vorwürfe ärgerte, so hatte er sich im Grunde doch damit abgefunden, schließlich lief der Haushalt sonst wie am Schnürchen. Da gab es gar nichts auszusetzen.

      Während er wunderschönes Wetter bei einem Spaziergang an der Seine genoß und an Beate dachte, die er gern mitgenommen hätte, wenn die Klassenfahrt nicht gewesen wäre, hatte er keine Ahnung, was in München los war. Er wähnte Beate schon in Griechenland und verspürte keine Neigung, Inge anzurufen.

      *

      Am dritten Tag nach dem Unfall kehrte Beate aus der tiefen Bewußtlosigkeit in die Gegenwart zurück, während ihre Mutter die Schwestern und Ärzte schon zeitweise in Atem hielt.

      Das Nerverl wurde sie genannt, und ab und zu mußte Jenny ein Machtwort zu Inge sprechen, damit sie sich damit abfand, daß sie nicht allein auf der Station lag. Man hatte sie schon von der Intensivstation