Джозеф Конрад

Gesammelte Werke von Joseph Conrad


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schon ganz allgemein für ein unphilosophisches Temperament recht langweilig, im Einzelfall aber geradezu unerträglich sein kann. Zu Beginn seiner Laufbahn war Hauptinspektor Heat mit den auffallenderen Formen von Diebstahl befaßt gewesen. Dabei hatte er sich die Sporen verdient, und begreiflicherweise auch nach seiner Versetzung in eine andere Abteilung für seinen ersten Wirkungskreis ein Gefühl bewahrt, das nahe an Zuneigung grenzte. Diebstahl war kein blanker Unsinn. Er war eine Erscheinungsform menschlichen Erwerbsfleißes, wohl verkehrt, aber doch Erwerb in einer auf Erwerb gestellten Welt. Es war Arbeit, geleistet aus denselben Gründen, wie die Arbeit in Töpfereien, Kohlenbergwerken, auf dem Acker oder in der Fabrik. Eine Arbeit, die sich von den anderen Formen von Arbeit hauptsächlich durch ihre Gefahren unterschied, die nicht in Verknöcherung, Bleivergiftung, Verbrühung bestanden, sondern darin, was mit einem Fachausdruck »sieben Jahre Schweren« genannt wurde. Hauptinspektor Heat verschloß sich natürlich nicht der Wucht sittlicher Unterscheidungen. Das taten aber ebensowenig die Diebe, die er zu überwachen hatte. Die unterwarfen sich mit einer gewissen Entsagung den strengen Gesetzen einer Sittlichkeit, die dem Inspektor vertraut war. Sie waren seine Mitbürger, die infolge verfehlter Erziehung in die Irre gegangen waren, so glaubte Inspektor Heat. Abgesehen von diesem Unterschiede aber konnte er sehr wohl die Sinnesart eines Räubers verstehen, weil nämlich Sinn und Triebe eines Räubers im Grunde die gleichen sind wie Sinn und Triebe eines Polizeioffiziers. Beide erkennen dasselbe Übereinkommen an, haben genaue Kenntnis ihrer gegenseitigen Methoden und die ganze Erfahrung ihres Geschäfts. Sie verstehen einander, was für beide vorteilhaft ist und ihre Beziehungen gewissermaßen angenehm gestaltet. Produkte derselben Maschine, das eine als nützlich, das andere als schädlich bezeichnet, nehmen sie die Maschine als gegeben an, von verschiedenen Gesichtspunkten zwar, aber mit einem wesentlich gleichen Ernst. Inspektor Heats Gemüt war für aufrührerische Gedanken unzugänglich. Seine Diebe waren ja auch keine Rebellen. Seine körperliche Kraft, sein kalter Gleichmut, seine Tapferkeit und Makellosigkeit hatten ihm auf dem Felde seiner ersten Erfolge allgemeine Verehrung eingetragen, die sich sogar zur Liebedienerei steigern konnte. Er hatte sich verehrt und bewundert gefühlt. Und wie er nun sechs Schritte vor dem Anarchisten mit dem Spitznamen »der Professor« stillehielt, da dachte der Inspektor mit Wehmut an die Welt der Diebe – gesund, ohne überspannte Ideale, geschickt arbeitend, mit Ehrfurcht vor den bestehenden Behörden, frei von Haß und Verzweiflung.

      Nachdem er so der gesetzmäßigen Gesellschaftsordnung seinen Zoll entrichtet hatte – denn der Gedanke des Diebstahls erschien ihm ebenso gesetzmäßig wie der des Eigentums – empfand der Inspektor lebhaften Ärger darüber, daß er stehengeblieben war, daß er gesprochen und daß er überhaupt diesen Weg eingeschlagen hatte, einfach nur, weil er eine Abkürzung vom Bahnhof zum Hauptquartier vorstellte. Und er sprach wieder, mit seiner tönenden Befehlsstimme, in der nun, da er sie dämpfte, eine Drohung mitklang.

      »Sie werden nicht gewünscht, sage ich Ihnen«, wiederholte er.

      Der Anarchist rührte sich nicht. Ein inneres Hohnlachen entblößte nicht nur seine Zähne, sondern noch seine Kiefer, schüttelte ihn lautlos. Hauptinspektor Heat fühlte sich bemüßigt, gegen sein besseres Wissen hinzuzufügen:

      »Noch nicht. Wenn ich Sie haben will, werde ich Sie zu finden wissen.«

      Das war ein durchaus berechtigter Ausspruch, ganz herkömmlich und der Stellung eines Polizeioffiziers angemessen, der zu einem Schäflein seiner Herde spricht. Die Aufnahme aber, die die Worte fanden, lag gleich weit von Herkommen wie von Anstand entfernt. Sie war empörend. Die kümmerliche Gestalt begann zu sprechen.

      »Ich zweifle nicht, daß Ihnen die Zeitungen dann einen Nachruf widmen würden, und Sie müssen selbst am besten wissen, wie viel Ihnen das wert wäre. Ich dächte doch, Sie können sich leicht vorstellen, was für Zeug dann gedruckt würde. Es könnte Ihnen aber auch geschehen, daß Sie mit mir zusammen begraben würden, obwohl ja natürlich Ihre Freunde keine Anstrengung scheuen würden, um uns auseinander zu klauben.«

      Bei aller gesunden Verachtung für den Geist, der solche Worte eingeben konnte, verfehlte die blutrünstige Anspielung doch nicht ihre Wirkung auf den Inspektor. Er war zu einsichtig und auch zu gut unterrichtet, um sie etwa als Aufschneiderei abzutun. Das Düster des engen Durchgangs vertiefte sich zur Farbe des Todes, schien sie der dunklen, schmächtigen Gestalt zu entleihen, die da mit dem Rücken zur Mauer stand und mit schwacher, doch selbstbewußter Stimme sprach. Für die ungestüme, zähe Lebenskraft des Inspektors war die körperliche Krüppelhaftigkeit des Wesens da vor ihm, das so offenbar lebensunfähig war, besonders eindrucksvoll; denn ihm schien, daß er selbst gegen den Tod völlig gleichgültig gewesen wäre, wenn er das Unglück gehabt hätte, in solchem Leibe geboren zu werden. Das Leben hielt ihn so fest, daß die Übelkeit von vorher in einem leichten Schweißausbruch wiederkam. Das Murmeln der Stadt, das entfernte Wagenrollen in den zwei unsichtbaren Straßen zur Rechten und zur Linken, klang durch die Krümmungen des Durchgangs an sein Ohr, vertraut und anheimelnd. Er war ein Mensch. Aber Hauptinspektor Heat war auch ein Mann und konnte solche Worte nicht hingehen lassen.

      »All das ist gut, um Kinder zu schrecken«, sagte er. »Ich kriege Sie schon noch!«

      Das war sehr gut gesagt, ohne Geringschätzung, mit fast erhabener Gemütsruhe.

      »Zweifellos«, war die Antwort. »Aber Sie könnten keinen besseren Augenblick finden, als den jetzigen, glauben Sie mir. Für einen Mann von wahrer Überzeugung ist dies eine wundervolle Gelegenheit zur Selbstaufopferung. Sie finden keine mehr, die so günstig und so menschlich wäre. Es ist keine Katze in der Nähe, und diese verdammten alten Häuser würden da, wo Sie stehen, einen netten Ziegelhaufen abgeben. Nie wieder kriegen Sie mich mit so geringem Verlust an Leben und Eigentum, die zu beschützen Sie ja bezahlt werden.«

      »Sie wissen nicht, zu wem Sie sprechen«, sagte der Inspektor fest. »Wollte ich jetzt Hand an Sie legen, so wäre ich nicht besser, als Sie selbst.«

      »Aha, das Spiel!«

      »Sie können sicher sein, daß unsere Seite schließlich gewinnen wird. Vielleicht wird es vorher noch notwendig sein, den Leuten beizubringen, daß man einige von euch wie tolle Hunde niederschießen muß, wo man sie trifft. Dann wird eben das unser Spiel sein. Aber hol mich der Teufel, wenn ich weiß, was eures ist. Ich glaube, ihr wißt es selbst nicht einmal. Und erreichen werdet ihr auch nie etwas damit.«

      »Inzwischen erreichen Sie etwas dabei – bisher. Und recht mühelos noch dazu. Ich will nicht von Ihrem Gehalt sprechen, – aber haben Sie sich Ihren Namen nicht einfach dadurch gemacht, daß Sie unsere Ziele nicht verstanden haben?«

      »Was sind also eure Ziele?« fragte der Hauptinspektor Heat wegwerfend, wie ein Mann, der in Eile ist und merkt, daß er seine Zeit vergeudet.

      Der vollkommene Anarchist antwortete mit einem Lächeln, das nicht einmal die dünnen, farblosen Lippen trennte; und der berühmte Inspektor fühlte eine Überlegenheit heraus, die ihn veranlaßte, warnend den Finger zu erheben.

      »Geben Sie’s auf, was immer es auch sei«, sagte er ermahnend; aber nicht ganz so freundlich, als ließe er sich herab, einem berüchtigten Einbrecher einen guten Rat zu geben. »Geben Sie’s auf, Sie werden finden, daß wir zu viele für Sie sind.«

      Das starre Lächeln auf des Professors Zügen begann zu flackern, als hätte die Spottsucht, die dahinter stand, ihre Sicherheit verloren. Hauptinspektor Heat fuhr fort:

      »Sie glauben mir nicht, was? Nun, Sie brauchen sich nur umzusehen. Wir sind zu Viele für euch. Und überdies packt ihr’s auch falsch an. Ihr macht zuviel Krach. Wenn die Diebe ihr Handwerk nicht besser verstünden, dann müßten sie Hungers sterben.«

      Die Andeutung, daß eine unbesiegliche Vielheit hinter dem Manne da stand, füllte den Professor mit dumpfer Entrüstung. Sein rätselhaftes spöttisches Lächeln war verschwunden. Die Widerstandskraft der Zahl, die unangreifbare Dummheit einer großen Menge, war das Schreckgespenst seiner freudlosen Einsamkeit. Die Lippen zitterten ihm eine Weile, bevor er heiser hervorstoßen konnte:

      »Ich tue meine Arbeit besser als Sie die Ihre.«

      »Jetzt ist’s genug«, unterbrach der Inspektor hastig; und diesmal lachte der Professor laut hinaus und ging, noch lachend, weiter; aber er