du,« wiederholte Frau Verloc, »ich habe die Schürze um.«
Herr Verloc gehorchte hölzern, wie ein Automat mit gemaltem Gesicht. Die Ähnlichkeit mit einer mechanischen Figur ging so weit, daß er sogar den dummen Gesichtsausdruck eines Automaten zeigte, der sich bewußt ist, ein Triebwerk im Leibe zu haben.
Er schloß die Wohnzimmertür, und Frau Verloc trug mit raschen Bewegungen das Geschirrbrett in die Küche. Sie spülte die Tassen und einiges andere ab, bevor sie einhielt, um zu lauschen. Kein Ton drang zu ihr. Der Kunde blieb lange im Laden. Es war ein Kunde, denn sonst hätte ihn Herr Verloc ins Wohnzimmer geführt. Sie löste hastig die Schürzenbänder, warf die Schürze über einen Stuhl und ging langsam ins Wohnzimmer zurück.
Im gleichen Augenblick trat Herr Verloc vom Laden aus ein.
Er war rot hinausgegangen und kehrte nun erschreckend kalkweiß zurück. Sein Gesicht hatte den fiebrigen, rauschigen Glanz verloren und in dieser kurzen Zeitspanne den Ausdruck ratloser Qual angenommen.
Er ging geradeswegs zum Sofa, blieb dort stehen und sah auf seinen Überrock hinunter, als fürchtete er sich, ihn anzurühren.
»Was gibt es denn?« fragte Frau Verloc gedämpft. Durch die offene Türe konnte sie sehen, daß der Kunde noch nicht gegangen war.
»Ich sehe gerade, daß ich heute doch noch ausgehen muß«, sagte Herr Verloc. Doch machte er keinen Versuch, nach seinen Überkleidern zu greifen.
Ohne ein Wort weiter ging Winnie in den Laden, schloß die Türe hinter sich und trat hinter den Ladentisch. Erst nachdem sie sich bequem in dem Stuhl zurechtgesetzt hatte, sah sie zu dem Kunden auf. Inzwischen hatte sie aber schon festgestellt, daß er groß und mager war und den Schnurrbart aufgewirbelt trug. Er war sogar eben dabei, die scharfen Spitzen hochzudrehen. Sein langes, knochiges Gesicht ragte aus hochgeschlagenem Kragen. Er war ein wenig durchnäßt, ein wenig mit Kot bespritzt. Ein dunkelhaariger Mann, unter dessen eingefallener Schläfe der kantige Backenknochen scharf hervortrat. Ihr völlig unbekannt. Und auch kein Kunde.
Frau Verloc sah ihn gleichmütig an.
»Kommen Sie vom Festland herüber?« fragte sie nach einer Weile. Der lange, dünne Fremde antwortete nur mit einem schwachen, sonderbaren Lächeln, ohne Frau Verloc ins Gesicht zu sehen.
Frau Verlocs ruhiger Blick haftete ohne Neugier auf ihm.
»Sie verstehen doch Englisch?«
»O ja, ich verstehe Englisch.«
Seine Aussprache klang nicht fremd, nur deutete die langsame Sprechweise darauf hin, daß er sich Mühe nehmen mußte. Und Frau Verloc hatte in reicher Erfahrung festgestellt, daß manche Ausländer besser sprechen als die Eingebornen. Sie sah unverwandt nach der Wohnzimmertür und meinte:
»Denken Sie etwa daran, sich in England ständig niederzulassen?«
Der Fremde zeigte wieder sein stummes Lächeln. Er hatte einen gutmütigen Mund und forschende Augen. Er schüttelte, ein wenig traurig, wie es schien, den Kopf.
»Mein Mann wird Ihnen schon durchhelfen. Unterdessen können Sie für die ersten Tage nichts besseres tun, als bei Herrn Giuliani abzusteigen. Continental Hotel nennt es sich. Privat. Recht ruhig. Mein Mann wird Sie hinführen.«
»Ein guter Gedanke«, sagte der dünne, dunkelhaarige Mann, dessen Blick plötzlich hart geworden war.
»Haben Sie Herrn Verloc schon früher gekannt? Vielleicht in Frankreich?«
»Ich habe von ihm gehört«, gab der Besucher zu, in der langsamen, überlegten Sprechweise, der man doch die höfliche Absicht anmerkte.
Es gab eine Pause. Dann sprach er wieder, doch weit weniger gesucht.
»Ihr Mann ist doch nicht etwa auf die Straße hinausgegangen, um mich zu erwarten?«
»Auf die Straße«, wiederholte Frau Verloc überrascht. »Wie denn? Das Haus hat keinen anderen Ausgang.«
Sie blieb noch einen Augenblick sitzen und erhob sich dann, um durch die Glastür zu spähen. Plötzlich öffnete sie sie und verschwand im Wohnzimmer.
Herr Verloc hatte inzwischen nichts weiter getan als seinen Überrock angelegt. Warum er aber darnach über den Tisch gebeugt stehenblieb, auf beide Arme gestützt, als fühlte er sich schwindlig oder krank, das konnte sie nicht verstehen. »Adolf«, rief sie halblaut; und als er sich aufgerichtet hatte:
»Kennst du den Menschen?«
»Ich habe von ihm gehört«, wisperte Herr Verloc unbehaglich und schoß einen wilden Blick nach der Türe. Frau Verlocs klare, gleichmütige Augen blitzten vor Abscheu.
»Einer von Karl Yundts Freunden! – Ekliger alter Mann!«
»Nein, nein«, wehrte Herr Verloc ab und langte emsig nach seinem Hut. Als er ihn aber unter dem Sofa herausgefischt hatte, hielt er ihn vor sich hin, als wüßte er keinen Hut zu gebrauchen.
»Nun – er wartet auf dich«, meinte Frau Verloc schließlich. »Ich sage, Adolf, es ist doch keiner von den Gesandschaftsleuten, die dir in letzter Zeit zu schaffen gemacht haben?«
»Zu schaffen gemacht – Gesandtschaftsleute«, wiederholte Herr Verloc mit erschrecktem Auffahren. »Wer hat dir etwas von Gesandtschaftsleuten gesagt?«
»Du selbst.«
»Ich, ich! Habe vor dir von Gesandtschaftsleuten gesprochen!«
Herr Verloc schien über alles Maß hinaus bestürzt und erschreckt. Sein Weib erklärte:
»Du hast in letzter Zeit immer im Schlaf gesprochen, Adolf.«
»Was – was habe ich gesagt? Was weißt du?«
»Nicht viel. Es war meistens Unsinn. Ich konnte nur erraten, daß dich irgend etwas bedrückte.«
Herr Verloc stülpte sich den Hut auf den Kopf. Dunkle Zornesröte schoß ihm ins Gesicht.
»Unsinn – wie? Gesandtschaftsleute! Ich könnte ihnen, einem nach dem andern, das Herz aus der Brust reißen. Die sollen nur aufpassen! Ich habe eine Zunge im Kopf.«
Er schritt schnaubend zwischen Tisch und Sofa auf und nieder, wobei sein offner Überrock an allen Ecken hängen blieb. Die Zornesröte verzog sich und ließ sein Gesicht ganz weiß, mit bebenden Nüstern zurück. Frau Verloc, ihrem Leitspruch getreu, führte diese Erscheinungen auf die Erkältung zurück.
»Nun gut,« sagte sie, »schaff dir den Mann, wer immer es auch sei, so schnell wie möglich vom Halse und komm nach Hause, zu mir. Du brauchst ein oder zwei Tage Pflege.«
Herr Verloc zwang sich zur Ruhe und hatte, mit dem Ausdruck der Entschlossenheit auf dem bleichen Gesicht, schon die Tür geöffnet, als seine Frau ihn flüsternd zurückrief:
»Adolf, Adolf.« Er kam überrascht zurück. »Wie ist es mit dem Geld, das du abgehoben hast?« sagte sie, »hast du es in der Tasche? Solltest du nicht lieber –« Herr Verloc blickte stumpfsinnig in die Fläche der Hand, die seine Frau ihm entgegenstreckte, bevor er mit den Brauen zuckte.
»Geld! Natürlich! Ja! Ich wußte nicht, was du meintest.«
Er zog aus der Brusttasche eine neue, schweinslederne Brieftasche. Frau Verloc nahm sie ohne ein Wort in Empfang und blieb stille stehen, bis die Ladenglocke, die hinter Herrn Verloc und seinem Besucher dreingeklappert hatte, zur Ruhe gekommen war. Erst dann sah sie den Betrag nach, indem sie die Noten herauszog. Nach dieser Untersuchung blickte sie sich gedankenvoll um, als mißtraute sie der freundlichen Stille des Hauses. Ihr eheliches Heim schien ihr mit einemmal so einsam und unsicher, als läge es mitten in einem Wald. Kein Behältnis, das ihr in all der behäbigen, dauerhaften Einrichtung einfiel, schien für den Begriff, den sie sich von einem Einbrecher machte, anders als nichtig und geradezu herausfordernd. Ihre Vorstellungskraft begabte diesen Einbrecher mit unmenschlichen Fähigkeiten und wunderbarem Scharfblick. An die Ladenkasse war gar nicht zu denken. An die würde sich ein Dieb zuerst heranmachen. Frau Verloc hakte schnell ihr Kleid über der Brust auf und schob