und wurde womöglich noch blasser.
»Oh, mein Gott, Kind! Was hat dieser Unglücksrabe Jens denn da bloß angerichtet? Damit hat er nicht nur dir, sondern auch Bernd und den beiden anderen den Urlaub kaputt gemacht!«
Als Maja zu protestieren versuchte, wischte Claudia ihre abschwächenden Einwände temperamentvoll beiseite.
»Einfach unmöglich, was der Junge damit angestellt hat! Ich werde ihm ordentlich den Marsch blasen, da darfst du sicher sein! Aber, was machen wir denn jetzt bloß?«
»Gar nichts, Tantchen!« Maja nahm Claudia in den Arm. »Wir lassen es so, wie es ist. Dass ich wieder nach Österreich zurück fahre, macht keinen Sinn. Die anderen sind längst nicht mehr im Hotel in Kufstein. Ich habe für uns zwar eine bestimmte Route ausgesucht, aber ob sich die anderen jetzt noch daran halten, weiß ich ja gar nicht!«
»Aber du kannst sie doch sicher übers Handy erreichen?«, erkundigte sich die ältere Frau besorgt. Maja schüttelte den Kopf.
»Nein, das geht nicht! Wir haben nämlich ausgemacht, dass wir die Handys während unseres Urlaubs ausschalten und auch abends ausgeschaltet lassen. Wir wollten sie eigentlich lediglich in einem Notfall benutzen, falls jemand von uns verunglücken sollte oder andere schwerwiegende Probleme hätte!«
»Ach so! Aber, wieso konnte dann Jens dich erreichen?« Das logische Denken funktionierte bei ihr also noch tadellos – trotz des Schlaganfalls ist …
Claudia, die sich gerade flache weiße Sandalen anzog, schien etwas irritiert. Maja schmunzelte. »Dass Jens mich erwischt hat, war bloß dem Umstand geschuldet, dass ich vergessen hatte, das Ding auf stumm zu schalten oder ganz tief unten im Rucksack zu vergraben! Du siehst, mein liebes Tantchen, es sollte alles so kommen, wie es jetzt ist. Lass’ uns nicht mehr darüber nachgrübeln, Claudia! Nützen wir das strahlend schöne Wetter und machen einen kleinen Spaziergang!«
Nachdem Maja ihren im Flur deponierten Rucksack ins Gästezimmer verfrachtet und ihre rotweiße Karobluse gegen ein hellblaues ärmelloses Top getauscht hatte – in München herrschte nämlich brütende Augusthitze – war sie sozusagen ausgehfertig.
Aber Claudia legte umgehend Protest ein: »In der schwarzen Bundhose wirst du dich zu Tode schwitzen, Schätzchen! Probier’ doch eine von meinen leichten, hellen Leinenhosen! Ich habe noch welche im Schrank hängen in Größe 38. Heute brauche ich allerdings Kleider in Größe 42! Ich habe die Dinger aus Nostalgie aufgehoben – in der leisen, aber vergeblichen Hoffnung, womöglich irgendwann wieder mal hinein zu passen!«
Das brachte Maja zum Lachen und ihre Tante lachte herzlich mit. In Claudias Schlafzimmer wurde Maja gleich bestens ausstaffiert. Tante Claudia hatte immer großen Wert auf gute und modische Garderobe gelegt. So gelangte ihre Nichte, die sich im Allgemeinen nicht so viele Gedanken um ihre Kleidung machte, zu einer Ausstattung, die sich sehen lassen konnte.
Hatte sie vor einiger Zeit noch mit dem Gedanken gespielt, nach München-Großhadern zu fahren, um sich zu Hause mit großstadttauglichen Klamotten zu versorgen, war dieser Umweg jetzt total überflüssig. In Claudias riesigem Kleiderschrank fanden sich nicht nur die verschiedensten Arten von Hosen in der passenden Größe, sondern auch Shirts, Blusen, Pullis, Jacketts und Röcke. Unterwäsche hatte sie hingegen ausreichend in ihrem eigenen Rucksack dabei.
Es war einfach großartig, so leicht (und so »kostengünstig«!) zu einer hochwertigen Ausstattung zu gelangen. Und Claudia freute sich über die Lücken in ihrem Schrank: So gab es wieder Platz für neue Sachen …
Als Maja die geschenkten Kleidungsstücke und ihre Slips, Bh’s, Socken und Strumpfhosen in dem Schrank im Gästezimmer verstaute, überkam sie plötzlich wieder so ein merkwürdiges Gefühl: Sie war auf einmal nicht mehr in München-Schwabing, sondern irgendwo auf dem Weg nach Sankt Johann in Tirol.
Eigentlich war von der Gruppe ausgemacht worden, man wolle ganz sportlich die gesamte Strecke auf Schusters Rappen bewältigen, aber mittendrin begann Tina zu protestieren.
»Ich mag nicht mehr«, maulte sie ungehalten und äußerst ungnädig. »Warum soll ich mir schon zu Beginn des Urlaubs Blasen laufen?«
Maja unterstützte sie. Sie war ja von Anfang an derselben Meinung gewesen, hatte sich aber dem Votum der Mehrheit gebeugt. Auch die Männer akzeptierten Tinas neuen Wunsch. So stiegen alle vier in den Bus, der gerade zur rechten Zeit in ihrer unmittelbaren Nähe zum Halten kam. Es hätte alles wunderbar sein können, aber …
Wieder kam es Maja so vor, als wäre sie glattweg Luft für die anderen drei! Hm. Seltsam.
So eindrucksvoll das gemeinsame Erlebnis auf dem Gipfel der Ellmauer Halt mit dem großartigen Rundumblick auf das übrige Kaisergebirge gewesen und wie friedlich die Rast dort oben verlaufen war, so angespannt zeigte sich jetzt plötzlich das Verhältnis zwischen den Freunden.
Schuld daran trug nach Majas Meinung einzig und allein Tina, die an Peter ständig etwas auszusetzen und zu nörgeln wusste. Der Ärmste vermochte ihr nichts mehr recht zu machen. Er bemühte sich zwar nach Kräften, allen ihren Wünschen nachzukommen, aber Tinas Laune blieb mäkelig; andauernd blaffte sie ihn wegen Kleinigkeiten an und vermieste dadurch auch den anderen die gute Stimmung.
Bernd konnte sich schließlich nicht mehr beherrschen, nachdem er Zeuge geworden war, wie Tina ihrem Freund über den Mund fuhr, nachdem der sich erlaubt hatte, sie zu fragen, worauf sie heute Abend im Hotel Lust hätte.
Maja hatte gerade aufgezählt, was es im »Roten Ochsen« an Möglichkeiten gab: »Tanzen in der Hotel-Disco, Schwimmen im hoteleigenen Swimmingpool, Besuch des Fitness-Bereichs oder einfach nach dem Abendessen in der Hotelbar miteinander bei einer guten Flasche Wein aus Südtirol relaxen!«
Ob die anderen das allerdings mitbekommen hatten oder nicht, wusste Maja natürlich nicht: Sie taten ja immer noch so, als existiere sie überhaupt nicht …
»Meinst du vielleicht, ich kann hellsehen?«, hatte Tina Peter rüde angefahren. »Wie soll ich denn jetzt schon wissen, wozu ich am Abend Lust haben werde?«
»Warum hast du heute eigentlich so eine Scheißlaune, Tina?« erkundigte Bernd sich mürrisch, als er hörte, wie Tina Peter zum wiederholten Male grob anfuhr.
»Was für eine blöde Frage!«, hatte sie ihren Lebensgefährten gerade noch einmal angeblafft. »Als ob du immer wüsstest, was du in ein paar Stunden tun möchtest!«
Von Bernds Einwurf schien sie allerdings ziemlich irritiert zu sein. Normalerweise schlug der sich nämlich auf ihre Seite – falls er denn Partei ergriff. Meistens hielt er sich allerdings raus.
»Es muss sehr wohl möglich sein, sich vorher Gedanken um Zukünftiges zu machen! Wie sonst könnte man denn überhaupt Pläne für irgendetwas machen?«, rügte Bernd Tina.
Um ihr keine Möglichkeit zu geben, sich auch noch mit ihrem gemeinsamen Freund anzulegen, tat Peter so, als habe er weder Tina noch Bernd gehört und begann stattdessen, seine eigenen Vorstellungen darzulegen.
»Ich könnte mir denken, dass es angebracht wäre, noch vor dem Abendessen in den Pool zu springen. Das täte uns nach dem heutigen langen Marsch bestimmt recht gut! Anschließend wäre es vielleicht ganz nett, noch ein bisschen in der Bar beisammen zu sitzen und den schönen Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Was meinst ihr dazu?«
Aus dem Augenwinkel heraus konnte Maja Tinas zornroten Kopf erkennen. Sie hätte darauf wetten können, dass Peters Freundin sich ihnen nach dem Abendessen nicht mehr anschließen, sondern sich beleidigt zum Schlafen zurückziehen würde.
»Auch gut!«, dachte Maja. ‚Dann kann sie zumindest niemandem den restlichen Abend verderben! Das besorgen schon andere, die so tun, als gäbe es mich gar nicht! Warum in Dreiteufelsnamen ignorieren mich plötzlich alle?«
*
»Kommst du, meine Liebe?«
Erschrocken fuhr Maja auf. Tante Claudia stand nahe vor ihr, ausgehbereit – mit einem nagelneuen Gehstock. »Den hat mir der Orthopäde in der Klinik verordnet«, erklärte sie auf Majas fragenden Blick. »Aber ich soll ihn nur so lange