Schluck Wein und ging hinüber ins Wohnzimmer, das direkt an die offene Küche und den Essbereich angrenzte. Dort setzte er sich auf die Couch und schlug die Beine übereinander. Während er darauf wartete, dass sich Bitsi zu ihm gesellte, betrachtete er die Küche. Unwillkürlich erschien ein Bild vor seinen Augen. Ein Bild von Tatjana, wie sie mit vor Konzentration hochroten Wangen in der Küche stand und eines ihrer Kunstwerke schuf.
»Danny?« Bitsis ein wenig ungeduldige Stimme riss ihn aus seinen Träumereien.
»Entschuldige, ich war gerade in Gedanken.«
»Das hab ich gemerkt.« Mit Schwung ließ sie sich neben ihn aufs Sofa fallen und rückte bedenklich nah an ihn heran. Dabei lachte sie aufreizend. »Was ist los mit dir? Früher warst du viel entspannter«, sagte sie ihm auf den Kopf zu und sah ihn forschend an.
»Die Zeiten ändern sich eben«, gab Danny zu bedenken. »Vielleicht mehr, als wir auf den ersten Blick selbst erkennen können.«
»Ach was!«, winkte Brigitte Beer unbekümmert ab. »Wahrscheinlich arbeitest du nur zu viel.«
»Kann schon sein. Du hast ja gehört, dass ich vor Kurzem angefangen habe, meine Doktorarbeit zu schreiben.« Befremdet betrachtete er Bitsis Hand, die wie selbstverständlich an seinem Arm hinauf wanderte und in seinem Nacken liegen blieb.
»Deshalb solltest du vielleicht doch noch mal über mein Angebot nachdenken und dir helfen lassen«, raunte sie ihm ins Ohr.
»Das kann ich nicht annehmen«, versuchte er, sich möglichst elegant aus der Affäre zu ziehen, ohne Bitsi zu verletzen. Schließlich war sie so hilfsbereit gewesen und hatte sich trotz der angespannten Lage bereit erklärt, die Praxis zu streichen. Da wollte er sie nicht vor den Kopf stoßen.
»Ich biete es dir doch an«, gab sie unbekümmert zurück. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, hob sie ihr Glas und trank einen Schluck Wein.
»Das mag schon sein. Trotzdem werde ich dieses Angebot nicht annehmen.«
»Aber warum denn nicht?« Bitsi sah ihn mit großen Augen an, und kurzerhand rückte Danny von ihr ab.
»Ganz einfach. Weil Tatjana und ich uns vorgenommen haben, es selbst zu tun.« Mit diesen Worten stand er auf und ging in die Küche, um ein paar Knabbereien zu holen. Dabei verwickelte er Bitsi in ein allgemeines Gespräch über die vergangenen zehn Jahre, auf das sich die Malerin arglos einließ.
Als sie die Wohnung des jungen Arztes eine Stunde später verließ, war der Abend zwar nicht so verlaufen, wie sie sich das erhofft hatte. Trotzdem sah sie in seiner Gastfreundschaft ein eindeutiges Zeichen seines Interesses und nahm sich vor, das Feuer zu schüren, solange es brannte. Um ein Haar wäre sie zu spät gekommen. Aber solange diese Tatjana noch nicht bei Danny Norden eingezogen war, war noch alles offen. Zumindest war es das, was sich Brigitte Beer einbildete.
*
»In der Südsee gibt es eine Insel, auf der sich’s als Frau perfekt leben lässt!« Laut und deutlich klang Tatjanas Stimme am nächsten Morgen an Dannys Ohr. Mit geschlossenen Augen lag er im Bett und lauschte auf ihre gut gelaunten Worte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Da war sie endlich wieder, die frech-fröhliche Art, die er in letzter Zeit so schmerzlich vermisst hatte. »Stell dir vor: Dort tun die Männer das, was die Frauen wollen. Wenn wir dort leben würden, müsstest du dich ausschließlich um mein Essen kümmern. Dann würde ich die Croissants nicht selbst backen und dir auch noch ans Bett servieren. Sieht so aus, als ob hier was gewaltig schief läuft!« Helles Lachen drang an Dannys Ohr. Er hatte die Augen noch immer geschlossen und wickelte sich vorsichtshalber noch fester in seine Bettdecke ein. Schließlich kannte er Tatjana gut genug, um von ihrer sadistischen Ader zu wissen. Wie oft hatte sie ihm schon die Decke weggezogen und ihn frierend zusehen lassen, wie sie genüsslich ein Croissant nach dem anderen verspeiste, ohne ihm auch nur ein Bröselchen abzugeben.
»Ich verspreche, dass ich die nächsten fünf Mal Brötchen hole, wenn du deine Croissants mit mir teilst«, spielte er ihr vergnügtes Spiel verschlafen mit. »Sechs Mal, wenn ich auch noch einen Schluck Kaffee bekomme«, bot er an und hob schnuppernd die Nase.
Doch statt des aromatischen Duftes streifte nur ein frischer Lufthauch durch das Schlafzimmer. Verwirrt öffnete Danny die Augen und sah sich um. Seine Enttäuschung war riesengroß, als er bemerkte, dass er allein im Bett lag. Das Gespräch mit Tatjana war nur ein wunderschöner Traum gewesen, und die Sehnsucht nach diesen glücklichen Tagen schmerzte wie eine offene Wunde. Mit bleischwerem Herzen kämpfte er sich aus dem Bett und stellte sich unter die Dusche. Nach einer einsamen Tasse Kaffee in seiner verwaisten Küche machte er sich auf den Weg in die Klinik.
Selbst zu dieser frühen Stunde herrschte dort bereits rege Betriebsamkeit. Als er vor Tatjanas Tür stand, zögerte er. Es war das erste Treffen nach der folgenschweren Lüge, und Danny fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut.
»Guten Morgen!«, begrüßte er seine Freundin zurückhaltend. Wie Tatjana dort saß und ihn überrascht ansah, wirkte sie fremd und unnahbar. Selbst ein Begrüßungskuss schien nicht angebracht zu sein, und so verzichtete er darauf. »Wie geht es dir?« Die Verlegenheit ließ seine Stimme rau klingen.
Tatjana saß am Tisch am Fenster, ein Tablett mit ihrem Frühstück vor sich, und lächelte ihren Freund ungewöhnlich verlegen an. Das machte sie für Danny noch fremder.
»Ganz gut. Die Infusion hat gut angeschlagen, und ich kann heute wieder heim gehen. Aber willst du dich nicht setzen?«, forderte sie ihn freundlich auf.
Unschlüssig stand Danny im Zimmer und haderte mit sich. Dann gab er sich einen Ruck und kam näher. Er setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls.
»Das sind ja gute Neuigkeiten.« Mehr sagte er nicht. All die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren wie weggeblasen, und sein Kopf war leer wie ein frisch gekehrter Saal.
Tatjana schluckte schwer an dem Kloß in ihrem Hals.
»Hast du schon gefrühstückt?«, fragte sie, um überhaupt etwas zu sagen, und deutete auf die beiden Brötchen auf ihrem Teller.
»Danke, ich hab keinen Hunger. Und Kaffee hab ich schon getrunken.«
»Sehr gut.« Tatjana nickte. »Du weißt ja, wie ungern ich mein Essen teile«, versuchte sie zu scherzen.
Danny tat ihr den Gefallen und lachte pflichtschuldig. Sie stimmte kurz mit ein. Aber es war kein fröhliches Lachen, und schließlich gab sie es auf, witzig zu sein.
»Wie geht es dir?« Umständlich bestrich sie ihr Brötchen mit dem selbst gemachten Frischkäse aus der Klinikküche. Doch statt hinein zu beißen, schob sie es nur von einer Seite des Tellers auf die andere. »Hast du gut geschlafen?«
»Gut und ja!«, beantwortete Danny die beiden Fragen in einem Satz, und endlich war es um Tatjanas Selbstbeherrschung geschehen.
Das Messer fiel ihr aus der Hand und landete klirrend auf dem Teller. Doch sie achtete nicht darauf, sondern starrte ihren Freund verzweifelt an.
»Bitte sprich mit mir!«, flehte sie Danny an. »Ich weiß, was ich mit meinem Schweigen angerichtet habe, und es tut mir unendlich leid.«
»Weißt du das wirklich?«, entfuhr es ihm und ein bitterer Zug spielte um seine Lippen.
»Ja!«, erwiderte Tatjana ohne Zögern und mit fester Stimme. Sie nahm all ihren Mut zusammen und legte die Hand auf seinen Arm. Dabei sah sie ihm in die Augen. Dieser Blick war es, der schließlich die Schleusen öffnete.
»Dir ist also bewusst, dass du mit deinem Schweigen auch über mein Leben entschieden und mich nicht gefragt hast?«, fragte Danny so schroff, dass sie zusammenzuckte. »Ist dir auch klar, dass du mich bevormundet hast? Als wäre mein Leben dein Besitz«, brach alle Verzweiflung aus ihm heraus. In diesem Moment konnte er nicht mehr sitzen bleiben. Er sprang auf und begann, rastlos im Zimmer auf und ab zu gehen. »Dabei hatten wir beschlossen, alles gemeinsam durchzustehen. Erinnerst du dich?« Er blieb stehen, und sein funkelnder Blick traf Tatjana mit voller Wucht. Doch sie wich ihm nicht aus, sondern stellte sich ihm tapfer. »Wir werden keine Kinder haben. All meine Träume,