Patricia Vandenberg

Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman


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es knapp werden könnte«, erwiderte Danny, während er die Jacke an die Garderobe hängte und gegen einen blütenweißen Arztkittel tauschte.

      »Schon. Trotzdem haben wir Hunger. Nicht wahr, Wendy?« Janine schickte ihrer Freundin und Kollegin einen verschwörerisch Blick. »Ich hab extra nicht gefrühstückt, weil du uns eine große Tüte mit Tatjanas Leckereien versprochen hast.«

      »O Mist!«, entfuhr es Danny, und er schnitt eine Grimasse. »Tut mir leid, die hab ich in der Aufregung in der Bäckerei liegen gelassen. Dafür habe ich was anderes mitgebracht«, erinnerte er sich an den Umschlag mit den Fotos, die Tatjana ihm am Abend zuvor in die Tasche gesteckt hatte. Er atmete eine paar Mal tief durch, und es dauerte nicht lange, bis diese altbewährte Maßnahme den gewünschten Erfolg zeigte: Sein aufgeregt schlagendes Herz beruhigte sich, und es gelang ihm ein – wenn auch schiefes – Lächeln, als er das Kuvert auf den Tresen legte. »Sieht ganz danach aus, als ob ihr beiden Hübschen eine unfreiwillige Diät einlegen müsst. Nicht, dass ihr es nötig hättet …«

      »Na ja!« Wendy stand am Schrank mit den Patientenakten und blickte kritisch auf ihre rundliche Leibesmitte. »Ein paar Kilo weniger könnten nicht schaden.«

      »Ach was! Sie sind genau richtig, wie Sie sind«, lobte Danny, der froh über den unbeschwerten Plauderton war, der wie fast immer unter den Mitarbeitern der Praxis Dr. Norden herrschte. »Außerdem ist es gut, wenn man nicht so klapperdürr ist. Dann hat man im Krankheitsfall immer noch ein paar Reserven.«

      »Wenn das wirklich so ist: Womit sollen wir die Reserven dann heute auffüllen?«, fragte Wendy gewitzt, und dankbar stimmte Danny in das fröhliche Lachen der langjährigen Assistentin ein.

      Nach der schlechten Stimmung, die seit Wochen zwischen ihm und Tatjana herrschte, waren ihre Scherze Balsam auf seiner wunden Seele. Doch ehe ihm eine Antwort eingefallen war, mischte sich Janine in das Gespräch ein.

      »Verraten Sie uns wenigstens, was Sie heute aufgehalten hat?«, erkundigte sie sich neugierig. Sie brachte das Kuvert in Sicherheit und registrierte aus den Augenwinkeln, dass Dr. Norden senior auf den Tresen zukam.

      »Das wüsste ich auch gern«, bemerkte der Chef lächelnd, ehe er sich an Wendy wandte. »Frau Bernauer wartet in Behandlungszimmer drei auf ihre Infusion.« Die Patientin war wie immer kurz vor Beginn der Sprechstunde gekommen, um danach gleich zur Arbeit zu fahren.

      Erfahren, wie die Assistentin war, wusste sie genau, was von ihr erwartet wurde. Mit einem gekonnten Hüftschwung versetzte sie der großen Schublade einen sanften Stoß. Lautlos glitt sie ins Schloss.

      »Wird sofort erledigt, Chef«, versprach sie. »Janine wird mich auf dem Laufenden halten.« Wendy zwinkerte ihrer Freundin zu und machte sich auf den Weg, um Sarah Bernauer mit den notwendigen Medikamenten zu versorgen.

      Danny sah ihr kurz nach, ehe er sich wieder auf seine Mitarbeiter konzentrierte.

      »Also, was hat dich aufgehalten?«, wandte er sich an seinen Sohn.

      »Tatjana wurde vorhin mit einer Art Allergieschock in die Klinik gebracht.« In knappen Worten berichtete Danny von dem Vorfall in der Bäckerei. Er wusste, dass die Zeit drängte. Bald würde die Sprechstunde seine ganze Aufmerksamkeit fordern und kaum mehr Gelegenheit für ein ruhiges Gespräch lassen. Deshalb fasste er sich kurz. »Jetzt, da wir wissen, mit welchem Feind wir es zu tun haben, ist alles halb so wild«, schloss er seinen Bericht mit einer optimistischen Prognose.

      Dr. Norden senior hatte anfangs besorgt zugehört, ließ sich aber von Danny nur zu gern beruhigen.

      »Ich wusste gar nicht, dass Tatjana Allergikerin ist«, bemerkte er allerdings verwundert, als sein Sohn am Ende angelangt war.

      Danny schnitt eine Grimasse, die alles andere als fröhlich wirkte.

      »Stell dir vor. Das war mir bis vorhin auch nicht bekannt.«

      Daniel bemerkte den bissigen Unterton, sagte aber nichts dazu.

      »Wie geht es ihr?«, erkundigte er sich stattdessen.

      »Den Umständen entsprechend gut. Mario war zufällig da. Er hat versprochen, auf sie aufzupassen.« Danny griff in das Glas mit den zuckerfreien Bonbons, das für die großen und kleinen Patienten auf dem Tresen bereit stand, und steckte eines davon in den Mund. Dann nahm er die erste Patientenkarte vom Stapel. »Ich fahre mittags wieder in die Klinik, wenn das in Ordnung für dich ist.«

      Daniel Norden nickte seinem Sohn aufmunternd zu.

      »Natürlich musst du in die Klinik fahren. Und bitte bestell Tatjana ganz liebe Grüße. Ich schau heute Abend bei ihr vorbei.« Eine Bitte hatte er allerdings an seinen Sohn. »Du hast doch nichts dagegen, wenn Frau Beer sich in deiner Abwesenheit deine Räume ansieht? Bevor sie am Wochenende anfangen kann, muss siedie Wände genau vermessen, damit sie weiß, wie viel Farbe sie kaufen muss.«

      Danny, der schon auf dem Sprung in sein Sprechzimmer gewesen war, drehte sich noch einmal um. Der Name seiner Jugendfreundin erinnerte ihn an etwas.

      »Natürlich nicht. Aber apropos Bitsi! Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen, wie du ausgerechnet auf Brigitte Beer gekommen bist. Immerhin gibt es eine ganze Menge Maler in München.«

      Überrascht runzelte Dr. Norden die Stirn.

      »Ach, ihr kennt euch?«

      »Klar, wir sind bis zur zehnten in eine Klasse gegangen.« Wann immer Danny an seine Jugendfreundin dachte, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.

      Angesichts des Ärgers mit Tatjana erschienen ihm die guten alten Zeiten im Augenblick noch glücklicher und unbeschwerter als je zuvor.

      Auch Daniel lächelte.

      »Jetzt weiß ich, warum mir der Name so bekannt vorkam! Ehrlich gesagt war das der einzige Grund, warum ich mich für ihren Betrieb entschieden habe«, gestand er. »Aber um so schöner, dass ihr euch kennt. So ein Wiedersehen nach vielen Jahren kann wirklich spannend sein«, fuhr er arglos fort. »Ich habe neulich selbst erst einen ehemaligen Lehrer vom Gymnasium wiedergetroffen. Zufällig standen wir im Supermarkt hintereinander an der Kasse.« Wenn Daniel Norden an dieses unvermutete Wiedersehen mit Jakob Rieger dachte, wurde ihm warm ums Herz. »Gott, was haben wir gelacht!« Einen Moment lang gönnte er sich die Erinnerung an dieses Treffen, ehe er in die Wirklichkeit zurückkehrte. »Aber das erzähle ich ein andermal. Jetzt ruft erst mal die Arbeit! Ich bin wirklich froh, dass Tatjana nichts Ernstes fehlt. Und in der Behnisch-Klinik ist sie in den besten Händen. Dort kann sie sich mal ein bisschen ausruhen. Das schadet ihr bestimmt nicht.« Auch ihm war ihr schlechtes Aussehen in letzter Zeit aufgefallen. Er klopfte seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter.

      Danny hatte einen unwilligen Kommentar auf den Lippen. Da in diesem Moment aber ein Patient in die Praxis trat, verzichtete er wohlweislich darauf und machte sich auch auf den Weg in sein Sprechzimmer. Gegen seelischen Kummer war Arbeit immer noch die beste Medizin, und er hoffte, dass die Wirkung nicht lange auf sich warten lassen würde.

      *

      »Haben Sie noch einen Wunsch?«, erkundigte sich Lernschwester Carina fürsorglich bei Tatjana, nachdem sie das Bett in ein Einzelzimmer der Behnisch-Klinik gebracht hatte. »Etwas zu trinken vielleicht?« Sie sah auf die Uhr. »Oder eine Kleinigkeit zu essen? Bis zur nächsten Mahlzeit dauert es zwar noch ein paar Stunden. Aber wenn Sie Hunger haben, kann ich Ihnen eine Kleinigkeit aus der Klinikküche besorgen.«

      »Nein, vielen Dank!«, lehnte Tatjana diesen Vorschlag ohne Zögern ab. »Aber ein Glas Wasser wäre nett. Und wenn Sie mir bitte meine Jacke geben könnten …«

      »Selbstverständlich.« Schwester Carina nahm eine kleine Wasserflasche von einem Beistelltisch und schenkte ein Glas ein, um den Wunsch ihrer Patientin zu erfüllen. Auf dem Rückweg griff sie nach der leichten Sommerjacke, die Danny Norden über das Fußteil des Bettes gelegt hatte. »Hier, bitte!« Sie reichte Tatjana beides. »Falls was sein sollte, müssen Sie nur den Knopf hier drücken. Dann kommt sofort eine Kollegin.«

      »Danke!« Tatjana rang sich ein ungeduldiges Lächeln ab. Sie konnte es kaum erwarten, allein gelassen zu werden.

      Endlich