Patricia Vandenberg

Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman


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Bewusstsein wiedererlangt hatte. Schnell stellte sie das Glas auf dem Nachttisch ab. Ihre Hände zitterten, als sie in den Taschen der Jacke etwas suchte und schließlich auch fand.

      »Ein Glück!«, stöhnte sie erleichtert auf. Sie drückte eine der Pillen aus dem Blister und ließ die restlichen Tabletten in der Nachttischschublade verschwinden. Tatjana war so aufgeregt, dass sie das Klopfen überhörte. Mit zitternden Fingern klemmte sie die Tablette zwischen die Zähne und griff nach dem Glas, als sich die Tür öffnete und Mario Cornelius das Zimmer betrat. Er sah gerade noch, wie sie die Tablette im Mund verschwinden ließ und schnell einen Schluck trank.

      Im ersten Moment wollte er nachfragen, was sie da genommen hatte. Als er aber ihre Nervosität bemerkte, ließ er es lieber bleiben.

      »Da bist du ja!«, erklärte er stattdessen freundlich und trat an ihr Bett. »Ich hatte schon Angst, dass sie dich zur Unterstützung direkt in die Klinikbäckerei gebracht haben«, scherzte er munter. Die erhoffte Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

      Obwohl sie sich immer noch schlecht fühlte, lächelte Tatjana pflichtschuldig.

      »Im Augenblick wäre ich wohl eher eine Belastung. Aber wer weiß … vielleicht brauche ich ja demnächst einen Job. Dann weiß ich ja, wo ich mich bewerben kann.« Als sie an ihre Probleme mit Dorothee dachte, verschwand das Lächeln wieder aus ihrem Gesicht.

      Doch Mario war nicht gekommen, um mit der jungen Frau über ihre berufliche Zukunft zu sprechen. Sehr zu ihrem Missfallen zog er sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich.

      »Ich bin wirklich froh, dass dir nichts Schlimmes fehlt«, bemühte er sich um einen unverfänglichen Tonfall. »Wie fühlst du dich jetzt?«

      Tatjanas Sehbehinderung hatte ihre Sinne so sehr geschärft, dass ihr sein Unterton verriet, dass er sie durchschaut hatte. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg.

      »Ehrlich? Ich bin fertig mit den Nerven«, beschloss sie, in die Offensive zu gehen. »Ohne diese Johanniskrauttabletten könnte ich keine Nacht mehr schlafen, so sehr regt mich meine neue Chefin in der Bäckerei auf.« Für den Bruchteil einer Sekunde huschten ihre nervösen Blicke hinüber zur Schublade.

      Mario durchschaute diese Lüge und den verräterischen Blick sofort. Nur mit Mühe konnte der Kinderarzt ein Seufzen unterdrücken.

      »Tatjana, bist du dir sicher, dass du meinen Kollegen wirklich alles über dich erzählt hast?«, fragte er behutsam. »Vorerkrankungen, Medikamente … ich meine, außer diesem Johanniskraut … immerhin sind sie für deine Therapie verantwortlich«, appellierte er an ihre Vernunft.

      Tatjanas Augen wurden schmal.

      »Das klingt wie ein Verhör!«, erwiderte sie vorwurfsvoll.

      »Und du klingst nach schlechtem Gewissen«, entgegnete er erbarmungslos.

      Beleidigt schürzte die junge Bäckerin die Lippen und verschränkte abwehrend die Arme vor der schmalen Brust.

      »Wenn ich mich nicht irre, trägt jeder Patient selbst die Verantwortung für seine Gesundheit, oder?«

      In diesem Moment wünschte sich Mario seine Schwester Fee herbei. Mit ihren psychologischen Fähigkeiten hätte sie die richtigen Worte gefunden, um Tatjana positiv zu beeinflussen. Doch Fee war im Augenblick im OP beschäftigt ,und so war er auf sich selbst gestellt und musste in Sekundenschnelle eine Entscheidung treffen.

      »Sobald der Patient in eine Klinik eingeliefert wird, geht die Verantwortung auf die Ärzte über«, erwiderte Mario ernst. »Ich kann dir natürlich ein Formular bringen, dann kannst du uns die Verantwortung explizit abnehmen. Aber in Anbetracht der Lage würde ich dir das nicht empfehlen«, gab er ihr abschließend einen Rat.

      Tatjana lehnte sich im Bett zurück. Obwohl sie ihre Umgebung nicht klar erkennen konnte, wanderte ihr Blick nach draußen in den herrlichen Klinikgarten.

      Eine Weile sagte sie nichts mehr, und Mario Cornelius meinte schon, dass sie ihn vergessen hatte, als sie schließlich seufzte.

      »Ich weiß doch auch nicht so genau, was los ist mit mir. Wahrscheinlich bin ich nur eifersüchtig auf Danny. Bei ihm läuft immer alles glatt, er hat eine tolle Familie und nach dem Studium auch ohne Dissertation gleich eine Stelle bekommen«, gab sie dem Gespräch eine überraschende Wende. »Und jetzt schreibt er an seiner Doktorarbeit, während ich um meine gesamte Ausbildung und sogar meinen Job bangen muss. Ist es da ein Wunder, dass ich so komische Sachen wie diese Allergie bekomme?«

      Im ersten Moment schien es, als ob sich der Kinderarzt mit dieser Bemerkung ablenken ließ.

      »So kannst du das doch auch nicht sagen«, widersprach er entschieden. »Schließlich bist du Teil seines Erfolgs, seines Lebens. Ihr beide seid ein Traumpaar. Ich verstehe gar nicht, warum ihr nicht längst geheiratet habt.«

      Als Tatjana das hörte, verschloss sich ihre Miene.

      »Wir wollen nur heiraten, wenn wir Kinder bekommen. Aber solange wir beide noch mitten in unseren Projekten stecken, steht das eh nicht zur Debatte.« Verzweifelt dachte sie darüber nach, wie sie Mario von diesem weiteren für sie brisanten Thema abbringen konnte. »Abgesehen von der Prüfung ist mein Gesellenstück noch ziemlich viel Arbeit«, erzählte sie in ihrer Not.

      Mario Cornelius sah sie fragend an.

      »Ich dachte, du musst nur eine besonders schöne Torte backen oder so was.«

      Tatjana lachte freudlos auf. Obwohl es dank Dorothee in den Sternen stand, ob sie ihre Ausbildung überhaupt abschließen konnte, antwortete sie: »Das war einmal. Heutzutage sind Gesellenstücke im Bäckerei- und Konditorhandwerk beispiellose Demonstrationen an Kreativität und Originalität. Da muss man sich echt was einfallen lassen.«

      »Das sollte dir doch nicht schwer fallen«, entfuhr es Mario spontan.

      Er hatte bereits mehrfach das Vergnügen gehabt, Tatjanas bunte und lustige Ideen kennenzulernen, und erinnerte sich gern an den Spaß, den sie miteinander gehabt hatten.

      Dieses Kompliment quittierte sie mit einem matten Lächeln.

      »Stimmt schon. Trotzdem ist es wahnsinnig schwierig, essbare Schmuckstücke aus Teig und anderen Massen herzustellen und sie so zu präparieren, dass sie einigermaßen haltbar sind und auch noch gut aussehen.« Die Tablette wirkt und allmählich fühlte sich Tatjana wieder besser. Sie drückte ein paar Knöpfe der Fernbedienung und ließ das Bett in eine aufrechtere Position fahren. »Schick! So was sollte ich mir für zu Hause auch anschaffen«, schmunzelte sie belustigt.

      Doch Mario ging nicht auf ihre Bemerkung ein. Bei ihrem Bericht war ihm etwas eingefallen.

      »Du stellst Schmuck aus Teig her?« Dieses kleine Wörtchen hatte ihn an seine Verabredung mit Carina erinnert. Das war genau die Art Mitbringsel, die er sich vorgestellt hatte. »Kann ich mir den mal ansehen?«

      »Klar, bei mir zu Hause. Du musst nur Danny fragen. Er hat einen Schlüssel.« Tatjana schmeichelte sein Interesse. »Aber ich will dich nicht enttäuschen: Es handelt sich ausnahmslos um Damenschmuck.« Sie legte den Kopf schief und musterte den Kinderarzt mit einem Anflug ihres gewohnten, spitzbübischen Lächelns. »Außer du verkleidest dich in deiner Freizeit gern als Frau. Das wäre natürlich was anderes.«

      Mario lachte auf und Tatjana wiegte sich in Sicherheit. Für einen Moment schien er sein Verhör vergessen zu haben.

      »O nein, auf keinen Fall will ich euch Damen Konkurrenz machen.«

      Diesmal stimmte sie in sein Lachen mit ein.

      »Das wäre in der Tat eine große Gefa …« Ein Hustenanfall unterbrach sie, und sie beugte sich vornüber.

      Auf so eine Chance hatte Mario nur gewartet und er reagierte blitzschnell. Während sich Tatjana mit geschlossenen Augen schüttelte, zog er die Nachttischschublade auf. Seine Neugier hatte Erfolg: Er entdeckte den Blister und steckte ihn schnell in die Tasche. Erst dann nahm er das halbvolle Glas Wasser und forderte Tatjana auf, etwas zu trinken.

      »Ich hab dich viel zu sehr angestrengt«, maßregelte