Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten


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Das ist schon mein Freund,« nickte Krag dem Eisenbahnbeamten zu. »Wo ist er denn jetzt?«

      »Unterwegs nach Christiania. Er ist vor einigen Stunden abgefahren.«

      Der Telegrapheningenieur sah verblüfft Krag an, der ruhig antwortete:

      »Kann's mir schon denken! Extrazug, natürlich.«

       Der Billetteur bejahte die Frage und fügte hinzu, daß das den Reisenden zweihundert Kronen gekostet hatte, die paar Stunden auf den Zug nicht warten zu müssen. Der mußte wohl steinreich sein. Und mit diesen verständnisvollen Worten ging der Billetteur wieder in sein Zimmer.

      Der Telegrapheningenieur sah die Sache offenbar hoffnungslos an und fragte, was sie in aller Welt jetzt tun sollten.

      »Nichts anderes, als auf den Siebenuhrdreißigzug warten,« erwiderte Krag.

      »Also ist er uns entwischt?«

      »Dieses Mal!«

      »Er ist doch ein gefährlicher Herr, dieser Barra.«

      »Anscheinend. Er ist jedenfalls nicht der Mann, den man ungestraft unterschätzen darf, was wir leider anfangs getan haben.«

      Hierauf gingen die beiden Herren in das beste Hotel der Stadt und nahmen dort ihr Abendbrot. Krag aß mit vortrefflichem Appetit, aber hatte nur einsilbige Antworten auf die vielen Reden des Ingenieurs.

      »Sie sind schlechter Laune,« rief Holst endlich, halb ärgerlich über Krags mürrisches Wesen. »Es kommt ja auch nicht jeden Tag vor, daß der erste Detektiv des Landes an der Nase herumgeführt wird.«

      »Durchaus nicht,« erwiderte Krag lebhaft. »Ich bin nichts weniger als ärgerlich. Im Gegenteil, sehr vergnügt.«

      »Weil Ingenieur Barra uns aus den Händen geschlüpft ist?«

       »Das hätte er ja doch früher oder später getan.«

      »Worüber sind Sie also froh?«

      »Ich bin sehr zufrieden mit der Sache, im ganzen genommen. Sie ist eigentümlich und verwickelt. Und mein Gegner ist zweifellos außerordentlich klug. Bemerken Sie, daß bis jetzt noch kein eigentliches Verbrechen begangen ist, bis darauf, daß Ingenieur Barra ein paar Telegramme aufgeschnappt hat. Uebrigens ist auch das noch keineswegs bewiesen. Deshalb brauchte ein solcher Mann unseren Besuch wahrscheinlich nicht zu fürchten. Allerdings hat er uns selbst eine Mitteilung gesandt, daß wir auf der richtigen Spur sind. Das klingt wie der blutigste Hohn und zeigt, wie gering er im Grunde diese Telegrammdiebstähle einschätzt. Ich glaube, der Mann hat andere und weit größere Pläne. Er hatte furchtbare Eile, sich jetzt nicht zu verspäten, zuerst nach Christiania zu kommen, und es wird mich freuen, ihn dort zu treffen. Die Art, wie er es bisher verstanden hat, die drei großen Hilfsquellen unserer Zeit, Dampfschiff, Eisenbahn und Telegraph zu benützen, zeigt mir den höchsten Grad kaltblütiger Intelligenz. Er hat sich natürlich ausgerechnet, daß wir uns auch einen Extradampfer nehmen würden, aber so verteufelt gut hat er gerechnet, daß in dem Augenblick, in dem wir zu dieser Station kommen, sein Extrazug auf den Eisenbahnperron in Christiania dampft. Es ist uns so auch unmöglich gemacht, die Polizei zu verständigen, die ihn sonst mit einem Händedruck bewillkommnet haben würde.«

       Mit einer vielsagenden Gebärde deutete Krag an, wie ein Paar Handschellen angelegt werden.

      »Aber warum in aller Welt macht er doch diese Streiche?« rief Holst ganz naiv.

      Krag lächelte überlegen.

      »Lieber Freund! Das kann ich Ihnen wirklich noch nicht sagen. Aber Sie können überzeugt sein, wo der Einsatz so groß ist, kann es sich nicht um Bagatellen handeln. Noch kenne ich seine Pläne nicht, aber hoffe, ihnen in nächster Zukunft auf den Grund zu kommen.«

      Endlich war es sieben Uhr dreißig, und der Schnellzug kam unter das Perrondach gesaust.

      Krag und Holst verschafften sich beide Schlafplätze. Obgleich der Zug verhältnismäßig kurze Zeit unterwegs war, wollten sie doch die Gelegenheit benützen, nach den Anstrengungen des Tages und der vorhergehenden Nacht stärkenden Schlummer zu finden.

      Die Augen des Telegrapheningenieurs fielen bald zu, und gleich darauf schlief auch der Polizeibeamte ein. Und sie erwachten erst, als der Zug mit einem heftigen Ruck in Christiania stehenblieb.

      IV.

       Der Lichtlöscher

       Inhaltsverzeichnis

      Sowie Asbjörn Krag auf den Perron gesprungen war, suchte er den Stationsvorstand auf und erkundigte sich nach Ingenieur Barras Extrazug. Der war auf eine Seitenlinie gefahren. Der Kondukteur, der mitgewesen war, hielt sich jedoch noch auf der Station auf. Krag ließ ihn sich kommen und begann ihn auszufragen, aber er erfuhr so gut wie nichts.

      »Der kleine Mann mit dem roten Bart«, erzählte der Kondukteur, »saß die ganze Zeit ganz still auf seinem Platz. Ich fing ein Gespräch mit ihm an, aber er schaute mich nur abweisend an, ohne zu antworten. Da gab ich es auf, und als wir herkamen, nahm er sich Droschke Nummer 56, das habe ich aus Neugierde beobachtet, und fuhr fort. Erwartet hat ihn niemand.«

      Asbjörn Krag ging auf den Standplatz hinaus, wo er so glücklich war, sogleich auf Droschke Nummer 56 zu stoßen. Der Kutscher kannte den Polizisten und teilte ihm alles mit, was er wußte. Er hatte den kleinen, rotbärtigen Mann zu einem von ihm angegebenen Hotel gefahren, wo der Herr dann abgestiegen war.

      Krag glaubte nicht sehr daran, daß dies wirklich der Fall war, aber ersuchte den Kutscher doch, hinzufahren. Dort wurde seine Ahnung bekräftigt. Weder der Hotelier noch der Diener hatten einen Mann von Barras Aussehen gehört oder gesehen. Der Portier erinnerte sich wohl, zu dem betreffenden Zeitpunkt einen Wagen halten gehört zu haben, aber in das Hotel war kein Gast gekommen, und der Wagen war dann rasch weitergefahren.

      Asbjörn Krag begab sich nun in das Polizeibureau, wo er in aller Eile dem Chef des Sicherheitsbureaus Rapport ablegte. Dann rief er alle anwesenden Detektive zusammen und gab ihnen den Auftrag, jedes Hotel in der Stadt durchsuchen zu lassen, um Ingenieur Barras Logis zu finden. Eine genaue Beschreibung seiner Person wurde verfaßt, hektographiert und an sämtliche Polizeifunktionäre verteilt, Beamte und Sicherheitswachleute. Von diesem Augenblick an würden ein halbes Tausend Paar Augen, über ganz Christiania verteilt, nach dem mystischen Ingenieur spähen.

      Als Krag dies erledigt hatte, fand er vorläufig nichts anderes für sich zu tun, als ruhig den Gang der Ereignisse abzuwarten. Barra würde schon von sich hören lassen.

      Am nächsten Tag wurde die Jagd nach Barra fortgesetzt. Ganz Christiania wurde kreuz und quer durchstreift, alle kleinen, rotbärtigen Männer angestarrt! Ein paar wurden sogar auf das Polizeibureau gebracht, mußten aber als achtungswerte Bürger der Stadt wieder losgelassen werden. Die Detektive kehrten von ihren Runden in Hotels, Cafes und Logierhäusern zurück, ohne etwas über den Ingenieur mitteilen zu können. Und die Sicherheitswachleute kamen allmählich von ihrem Patrouillendienst in den Straßen der Stadt wieder. Niemand hatte den mystischen Mann gesehen. Auch in keiner anderen Weise merkte man seine Anwesenheit in der Stadt. Er war wie in den Erdboden versunken. Der ganze Tag verging.

      Gegen neun Uhr abends finden wir Asbjörn Krag in seinem Privatkontor im Polizeibureau. Er durchblättert die hoffnungslos nichtssagenden Rapporte seiner Untergebenen. Selbst hatte er auch überall herumgeschnüffelt, aber mit ebensowenig Glück wie die andern.

      Plötzlich, wie er so über die Rapporte gebeugt dasitzt, erlischt das elektrische Licht. Der Detektiv glaubt im ersten Augenblick, daß es ein Fehler an der Lampe ist, er schraubt den Glühkörper ab und setzt einen neuen ein. Vergebens! Er brennt nicht. Zugleich hört er draußen auf dem Korridor ein Hin- und Herlaufen. Einer der Diener kommt herein und ruft: Das Licht ist in der ganzen Station ausgegangen.

      Asbjörn Krag tritt ans Fenster und sieht hinaus. Dort unten liegt der Yongmarkt in fast vollständiger Finsternis. Auch die großen funkelnden Bogenlampen sind erloschen. Nur einzelne Lichter aus den Fenstern