Continental. Er ist jetzt ein feiner Herr geworden. Tritt im Zobelpelz auf. Vorläufig handelt es sich darum, jeden seiner Schritte zu bewachen, und dann wollen wir ihm eine kleine Falle stellen. Darum müßt Ihr beide inzwischen auf das Hotel aufpassen.«
»Jawohl. Das soll geschehen.«
»Er pflegt bis gegen ein Uhr in seinem Zimmer zu bleiben. Jetzt ist er dort. Ihr müßt hingehen und den Eingang bewachen, aber ohne Aufsehen zu erregen. Ihr werdet dort schon von mir hören.«
Krag trank sein Glas aus und verließ rasch das Lokal. Kurz darauf hatten die beiden anderen gegenüber dem Continental bei der Straßenbahnhaltestelle vor dem Nationaltheater Posten gefaßt. Sie taten, als ob sie auf einen bestimmten Wagen warteten, der ewig nicht kam, aber drüben an den Fenstern des Hotelcafés hinter der Gardine hätten sie ein Paar scharfe Augen sehen können, die sie lange und aufmerksam beobachteten.
Punkt ein Uhr sahen endlich die beiden Spione den Rotbärtigen herausspazieren. Er war außerordentlich elegant angezogen, mit einem Anflug berechneter Stutzerhaftigkeit in Kleidung und Auftreten.
Er sah sich weder nach rechts noch nach links um, sondern ging ganz ruhig und bestimmt die Storthingsgasse hinunter. Die beiden folgten langsam und vorsichtig nach. Nur nicht aus den Augen verlieren, hatte Krag gesagt.
»Die Jagd geht prächtig,« rief der Doktor vergnügt. »Er hat uns nicht gesehen.«
Ein Stück unterhalb der Tordenskjoldgasse stand eine Droschke und wartete. Plötzlich sprang der Rotbärtige hinein. Der Kutscher knallte mit der Peitsche, und die Droschke rollte rasch fort.
Das Ganze ging mit solcher Schnelligkeit vor sich, daß die beiden Herren wie gelähmt stehenblieben.
Der junge Telegrapheningenieur fand zuerst die Sprache wieder.
»Na! Das ist ja eine nette Geschichte. Wo zum Teufel hat er den Wagen hergekriegt?«
»Vorausbestellt! Stand natürlich da und wartete auf ihn,« erwiderte der Doktor in hoffnungslosem Aerger. »Er wußte von uns und nahm darum keinen Wagen beim Standplatz, wo wir ihn leicht hätten verfolgen können. Jetzt ist es unmöglich.«
»Was sollen wir also tun?«
»Es mit Gemütsruhe nehmen und wieder vor dem Hotel warten. Wir sind eben doch nur Amateure, mein lieber Holst, und sehr leicht naszuführen.«
In recht herabgestimmter Laune begannen die beiden Herren das Hotel so unauffällig als möglich zu umkreisen. Eine gute Stunde verstrich. Da sahen sie plötzlich den Wagen des Rotbärtigen in voller Karriere vom Storthing herankommen. Sie erkannten ihn sofort an dem Kutscher, einem rechten alten Wagenlenkertypus, bärtig, krummrückig und wettergebräunt. Der Wagen fuhr vor dem Hotel vor, und Ingenieur Barra stieg aus. Portier und Pikkolos kamen herangestürzt, als guter Beweis, daß der Rotbärtige ein besonders geschätzter Hotelgast sein mußte.
Die beiden Spione sahen, wie Barra den Kutscher bezahlte und, von den beflissenen Dienern gefolgt, in das Hotel verschwand. Dann gingen sie ein Stück den Munkedamsweg hinunter. Aber bald wurden sie von dem Wagen eingeholt, den Barra benützt hatte.
Der Kutscher rief sie an: »Nanu? Wollen Sie nicht fahren? Steigen Sie nur ein!«
»Nein, danke, das wollen wir durchaus nicht,« rief der Doktor etwas ärgerlich.
»Warum nicht, Doktor? Es würde Ihnen gut tun! Ihnen beiden, meine Herren!«
Der Doktor fuhr zusammen. Das war ja Asbjörn Krags Stimme. Und wahrhaftig – da stand er ja in Gestalt des Kutschers und öffnete ihnen den Wagenschlag. Seine scharfen Augen funkelten spitzbübisch unter den aufgeklebten, weißbuschigen Brauen.
»Rasch einsteigen,« flüsterte der Detektiv. Im Nu waren der Doktor und der Ingenieur in dem Wagen und Asbjörn Krag, der die Zügel wie ein geübter Kutscher führte, knallte mit der Peitsche: »Hoppla!«
Vor einem kleinen Hotel am unteren Ende der Rathausgasse blieb der Wagen stehen. Der Doktor und der Telegrapheningenieur stiegen rasch aus und gingen in das Hotel, in dessen Salon sie sitzenblieben und Asbjörn Krags Kommen abwarteten. Nach kurzer Zeit erschien er auch, diesmal in seiner früheren Verkleidung als heimgekehrter Amerikaner.
»Wir sind ganz Bewunderung!« rief der Doktor. »Wie haben Sie das nur zustande gebracht?«
»Ach, ganz einfach,« erklärte Krag. »Ich habe mir die Equipierung und den Wagen meines Freundes Elias ausgeborgt. Sowie es dem Portier des Hotels bei meiner Spionage klar geworden war, daß er es mit Asbjörn Krag zu tun hatte, stand er mir natürlich augenblicklich ganz zu Diensten. Jeden Tag gegen ein Uhr pflegte er für Barra um einen Wagen zu telephonieren, aber die Haltestelle des Wagens variierte, je nachdem, ob der Rotbärtige die Umgegend des Hotels sicher fand oder nicht. Als ich heute bei Elias die Telephonbotschaft bekam, mit meinem Wagen in der Tordenskjoldgasse zu sein, könnt' Ihr Euch denken, daß ich mich pünktlich einfand.«
»Ausgezeichnet,« nickte der Doktor. »Und was haben Sie nun – mit Verlaub – Neues entdeckt?«
»Ja,« begann Krag nachdenklich, »ich bin dem Ziel näher gekommen, aber ich habe noch ein gutes Stück bis hin. Einige Fäden habe ich schon in die Hand bekommen. Zuerst fuhren wir zum Bahnhof, wo Barra sich etwa eine Viertelstunde aufhielt. Wonach er hier schnüffelte, weiß ich noch nicht recht, aber natürlich hängt es mit seinen Plänen zusammen. So daß es sich bestätigt, daß es sich um etwas mit den Eisenbahnzügen handelt. Vom Bahnhof schickte er ein Telegramm ab, dessen Inhalt ich später telephonisch in Erfahrung gebracht habe. Das Telegramm war an einen Herrn Braekke, poste restante, Fredrikshald, adressiert und lautete: ›Haltet das Automobil für morgen klar. Barra.‹ – Das kann entweder ein wirkliches Automobil bedeuten, oder es ist eine verabredete Form für eine andere wichtige Mitteilung, ich bin eher geneigt, das erstere anzunehmen – Telegraph, Eisenbahn, Automobil, Dampfschiff vielleicht, das paßt alles zusammen.
»Dann fuhren wir«, erzählte der Detektiv weiter, »zum Hauptpostamt, wo Barra einige Briefe abholte. Wieder im Wagen, ich wollte eben fahren, stoppte er mich und sagte, er habe noch ein Telegramm zu besorgen. Er hielt sich etwa zwanzig Minuten auf dem Telegraphenamt auf, also das muß eine längere Botschaft gewesen sein. Dann fuhren wir direkt ins Hotel, und das übrige wißt Ihr.«
»Was soll jetzt geschehen?« fragte der Doktor.
»Zuerst gehe ich auf das Telegraphenamt.«
»Um Barras Telegramm aufzuhalten?«
»Im Gegenteil. Das soll nur abgesandt werden. Aber ich will nur den Inhalt erfahren. Bleiben Sie inzwischen nur hier sitzen, ich werde vielleicht sehr bald Ihre Hilfe brauchen, meine Herren.«
Krag ging. Im Telegraphenamt war man zuerst ungeneigt, ihm das betreffende Telegramm zu referieren, aber als Krag seine Arrestorder für Barra vorwies und mitteilte, daß es von äußerster Wichtigkeit sowohl für die Voruntersuchung, wie für den späteren Verlauf der Angelegenheit sei, daß der Inhalt des Telegramms sofort zur Kenntnis der Behörde gelange, wurde ihm die Kopie vorgelegt.
Krag, der ein langes Telegramm von besonderem Inhalt erwartet hatte, war nicht wenig erstaunt, zu sehen, daß die Depesche nur ein einziges Wort enthielt.
»Donnerstag« – stand da und war mit der Unterschrift Barra nach Fredrikshavn, Dänemark, adressiert.
»Sind außerdem keine anderen Telegramme von Herrn Barra aufgegeben worden?« fragte der Detektiv. – Die Antwort lautete verneinend.
»Ist etwa ein Bote aus dem Hotel Continental mit einem vielleicht nicht unterschriebenen Telegramm dagewesen, seitdem Barra da war?« fragte er weiter.
»Absolut nicht,« wurde ihm erwidert.
»Das ist doch sonderbar! Er hat sich doch gute zwanzig Minuten hier aufgehalten. Ist das niemandem aufgefallen?« fragte der Detektiv.
Der Beamte, der Barras Telegramm expediert hatte, trat nun vor:
»Doch,« sagte er, »mir ist der Mann aufgefallen, da es gerade ziemlich leer in der Halle war. Er