Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten


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rel="nofollow" href="#ulink_32f04f84-a232-58cf-af3f-58670a6df512">Inhaltsverzeichnis

      Es war eine wahnwitzige Fahrt in der Dunkelheit.

      Der Heizer warf unaufhörlich Kohle in den glühenden Feuerrachen der Lokomotive, und die gewaltigen, dicken Rauchsäulen ringelten sich wie ein ungeheurer Kometenschweif der dahineilenden Maschine nach.

      Es dauerte nicht lange, so konnte der Lokomotivführer melden, daß man bald an der Stelle angelangt war, wo Barra sein rätselvolles Attentat gegen den Eisenbahnzug verübt und die Goldsendung geraubt hatte.

      Krag befahl ihm, stehenzubleiben.

      »Halten Sie sich fest!« rief der Lokomotivführer. Er ließ den Zug mit voller Geschwindigkeit zu der kleinen Haltestelle sausen, um keinen Augenblick zu verlieren, und setzte dann den ganzen Bremsapparat in Gang.

      Mit einem heftigen Ruck machte die Lokomotive halt und blieb pustend und stöhnend auf den Schienen stehen.

      Asbjörn Krag und der andere Polizist sprangen ab.

      An der kleinen Haltestelle herrschte große Bewegung. Der Detektiv sah in der Dunkelheit Laternen hin und her schwingen.

      In der Nähe auf einem Seitengeleise stand der Waggon, den Ingenieur Barra von dem Zug abgekoppelt hatte.

      Krag lief hin. Ein paar Polizisten aus Moß und der Amtmann des Ortes waren schon in voller Tätigkeit und untersuchten den Wagen. Als Krag hinzukam, wurde er mit offenen Armen empfangen.

      »Da sind Sie endlich!« rief der Amtmann, offenbar sehr erfreut, daß die Verantwortlichkeit der wichtigen Untersuchung ihm nun abgenommen wurde.

      »Haben Sie etwas gefunden?« fragte Krag.

      »Absolut nichts.«

      »Und man hat nichts irgendwie Auffälliges an dem Wagen entdeckt?«

      »Nein, es ist ganz unverständlich, wie der Verbrecher ihn abkoppeln konnte.«

      »Aber der betäubte Wächter?«

      »Ist noch nicht zum Bewußtsein gekommen.«

      »Wo ist er denn?«

      »Im Stationsgebäude. Der Arzt hat ihn eben untersucht. Es ist nicht lebensgefährlich, meint er.«

      Krag nahm eine rasche Untersuchung des Waggons vor, aber auch er entdeckte nichts Besonderes, nur daß die Scheibe eines der Fenster in Stücke geschlagen war. Auch zeigte es sich, daß der Bremsapparat in höchstem Grade benützt worden war – vermutlich so stark, daß die Radspeichen Feuer gefangen hatten. Natürlich um den Wagen zum Stehen zu bringen, nachdem er glücklich von dem übrigen Zuge losgekoppelt und auf das Seitengeleise gekommen war, dachte Krag.

      Er eilte dann zu dem kleinen Warenschuppen, der als eine Art Stationsgebäude diente. Auf einigen Baumwollballen lag eine totenbleiche Gestalt. Der Bankdiener. Der Arzt bemühte sich um ihn.

      »Hat er etwas gesagt?« fragte Krag.

      »Ja, er hat allerhand gesprochen, aber ohne Zusammenhang,« erwiderte der Arzt. »So hat er mehrere Male einen kleinen, rotbärtigen Mann mit zwei furchtbaren Augen genannt.«

      Krag nickte.

      »Sonst hat er sich über nichts ausgelassen, woraus man auf das Vorgehen der Verbrecher schließen könnte?«

      »Nein, absolut nichts. Aber er hat mehrere Male einen Namen genannt.«

      »Was für einen Namen?«

      »Einen Frauennamen, Anna. Paßt auf die Anna auf, hat er gesagt. Vermutlich ist es der Name seiner Frau, denn ich sehe, daß der Mann verheiratet ist. Er hat wohl geglaubt, daß er sterben muß, der arme Kerl.«

      Krag überlegte einen Augenblick.

      »Wird er sich erholen?« fragte er.

      »Unbedingt. Aber er hat eine leichte Gehirnerschütterung von einem heftigen Schlag auf den Kopf.«

      »Ich sehe aber keine Wunde.«

      »Nein, der Schlag ist mit einer Guttaperchakeule oder etwas Aehnlichem zugefügt, wie sie die internationalen Verbrecher oft benützen.«

       Verhältnismäßig viele Menschen hatten sich jetzt vor dem kleinen Gebäude angesammelt, denn das Gerücht von der dramatischen Ankunft des berühmten Entdeckers hatte sich rasch verbreitet.

      Krag trat auf die Treppe hinaus und rief:

      »Ist jemand da, der das Automobil des Verbrechers gesehen hat?«

      Ein unruhiges Summen ging durch die Versammelten.

      Schließlich ertönte eine Stimme:

      »Ja, zwei haben es gesehen.«

      Krag bat die beiden Herren hereinzukommen, und einen Augenblick darauf stand er einem jungen Knecht und einem alten Bauern gegenüber.

      Sie hatten beide das Automobil mit ungeheurer Geschwindigkeit den Weg hinuntersausen sehen, der weiter landeinwärts führt.

      »Also nicht zur See?« fragte Krag.

      »Nein,« erwiderten die Bauern. »In die entgegengesetzte Richtung. Landeinwärts ist das Automobil gefahren. Es ist groß und rot.«

      Asbjörn Krag sagte sich sofort, daß Barra mit dem Automobil landeinwärts gefahren war, um die Leute irrezuführen. Das war ein ganz kluger Zug, aber er nützte doch nichts, da Krag von der Ankunft des Fredrikshavner Bootes unterrichtet war.

      »Vielleicht hat der Verbrecher die Beute in einer Berghöhle verborgen,« sagte der Amtmann. »Es gibt viele solche Höhlen in dieser Gegend.«

      Krag konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

       »Ein großes, modernes und obendrein brennrotes Automobil läßt sich nicht so leicht verbergen,« sagte er.

      »Nein,« meinte der Amtmann, »wenn das Automobil seine Schuldigkeit getan hat, brauchen die Verbrecher es doch nicht mehr. Was ist da leichter, als den unerwünschten, roten Zeugen in einen der tiefen Waldseen zu stürzen, die reihenweise hier den Weg entlang liegen.«

      Krag konnte sich der Logik des Amtmannes nicht verschließen. Natürlich, das Automobil konnte nicht an Bord des Schiffes gebracht werden, das war beseitigt worden. Was galt auch ein Automobil für zwei- bis dreihundert Kronen im Vergleich zu den Werten, um die es sich hier handelte?

      Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

      Der betäubte Wächter mußte doch irgend etwas gesehen haben. Was war das für ein Name, den er unaufhörlich wiederholte? Ein Frauenname »Anna«. Wenn es so wäre ...

      Der Detektiv begriff, daß vorläufig an der kleinen Haltestelle nichts mehr zu tun war. Er hatte genau zwanzig Minuten zu seinen Untersuchungen gebraucht.

      Rasch winkte er seinem Begleiter, und sie sprangen beide über die Schienen auf die Lokomotive.

      »Los!« rief Krag dem Lokomotivführer zu, indem er auf dem pustenden Stahlriesen Platz nahm.

      Ein paar Sekunden darauf hatte die Lokomotive das kleine Stationsgebäude und all die erstaunten Neugierigen weit hinter sich gelassen. Krag hatte sich nicht einmal Zeit genommen, sich von dem Amtmann und dem Polizisten zu verabschieden, bevor er fortstürzte. Die mußten wohl eine merkwürdige Vorstellung von der Art haben, wie der berühmte Detektiv eine Untersuchung führte.

      Unterwegs dachte Asbjörn Krag näher über die Sache nach.

      Ingenieur Barra hatte gegen zwei Stunden Vorsprung. Der Rotbärtige schwebte vermutlich in der Meinung, daß Krag das Geheimnis des Fredrikshavner Bootes nicht kannte. Er mußte ja wissen, daß er augenblicklich auf das energischste verfolgt werden würde, und daß es ihm nichts nützen konnte, die Spuren des Automobils zu verwischen. Aber immerhin hatte Barra ganz fein und begabt gerechnet. Er hatte sich alles zunutze gemacht. Den Schrecken der Bevölkerung, das Terrain, das Meer, die Dunkelheit und die hartgefrorenen Wege. Solange die Finsternis brütete, war es mit großen Schwierigkeiten