„Nun, wie findest Du Dich in unsere Bergeseinsamkeit nach Deinem Residenzleben?“ fragte er halb scherzend.
Auf dem Gesichte Ottfried’s stand deutlich geschrieben, daß ihm Eins so langweilig erschien wie das Andere; indessen dem Oheim gegenüber wagte er doch nicht, seine ganze Blasirtheit zur Schau zu tragen.
„Nun, es ist immerhin eine Abwechslung! Allerdings haben mich die Berge nicht sehr freundlich empfangen bei dem ersten Besuch, den ich ihnen gestern abstatten wollte. Ich ritt über die untere Brücke, von wo der Paß hinein in’s Gebirge führt, da scheut mein Pferd plötzlich, ohne irgend eine äußere Veranlassung, und ist nicht zu bewegen, auch nur einen Schritt vorwärts zu thun. Als ich das Thier schließlich zwingen will, bäumt es und stürzt mit mir, so daß ich von Glück sagen kann, unverletzt davongekommen zu sein. Der alte Florian, der hinter mir ritt, und der den Kopf immer voll Aberglauben und Spukgeschichten hat, behauptet steif und fest, Almansor habe irgend etwas Entsetzliches gesehen, und prophezeit mir alles mögliche Unheil. Nun, ich muß gestehen, glückverkündend war das Omen gerade nicht.“
Er sagte das lachend und spöttisch, aber der Graf, der die Erzählung seines Sohnes mit angehört hatte, runzelte leicht die Stirn.
„An der ganzen Sache wird wohl nur Dein wildes Reiten schuld sein. Du solltest Deine Gesundheit besser in Acht nehmen, Du weißt doch, wie sehr Du sie zu schonen hast.“
Sein Auge glitt dabei flüchtig über die matten Züge des Sohnes, aber in dem Blick lag keine Spur von jener angstvollen Zärtlichkeit, mit der er noch vor kurzem die Blässe eines anderen Gesichtes geprüft, und auch der Ton hatte mehr von Vorwurf als von Besorgniß.
„Noch eins!“ fuhr er rascher fort, „ich wollte Dir bei Gelegenheit des heutigen Festes den Pater Benedict zuführen. Du erinnerst Dich doch noch seiner?“
„Pater Benedict? Nein!“ sagte Ottfried gleichgültig.
„Du mußt Dich doch des Knaben Bruno entsinnen,“ nahm jetzt der Prälat das Wort. „Er kam, so viel ich weiß, öfter in Euer Haus, als er noch das Seminar in der Residenz besuchte.“
Ottfried sah aus, als halte er es für eine starke Zumuthung, seinen Kopf mit dergleichen Nichtigkeiten anzustrengen, indessen die Worte des Oheims schienen doch eine Erinnerung in ihm wachzurufen.
„Ah so, der junge Mensch, den Papa erziehen und ausbilden ließ! Richtig, der scheue störrische Bube, der nie zum Reden oder Spielen zu bringen war! Papa überhäufte ihn mit Wohlthaten, aber er zeigte sich nie besonders dankbar dafür, er mußte immer erst halb gezwungen werden, in’s Palais zu kommen. Ein unerträglicher Bursche!“
Der leise Hohn schwebte wieder um die Lippen des Prälaten, als er schweigend den Bruder ansah, über dessen Stirn aufs neue der schnell verschwindende rothe Schein lief.
„Ich habe nie begreifen können, wie Papa mir einen solchen Spielgefährten zumuthen konnte!“ fuhr der junge Graf fort, den Kopf hochmüthig zurückwerfend. „Er war ja wohl der Sohn irgend eines Bedienten, von einem unserer Güter.“
Rhaneck hatte stumm die Lippen zusammengepreßt, bei den letzten Worten aber zuckte er zornig auf.
„Was Pater Benedict gewesen ist, kommt für Dich jetzt nicht mehr in Betracht. Gegenwärtig ist er Priester, gehört er demselben Stande an, wie Dein Oheim, und Du wirst auch ihm die Achtung und Ehrfurcht zollen, die diesem Stande gebührt; ich verlange das ganz entschieden von Dir.“
Die Zurechtweisung, obwohl mit gedämpfter Stimme gesprochen, klang schneidend scharf, aber freilich die Rhanecks waren streng katholisch, waren es von jeher gewesen, und der Prälat sorgte schon dafür, daß diese Sitte erhalten blieb. Ein Priester nahm dem sonst so ahnenstolzen Geschlecht gegenüber allerdings eine unantastbare Stellung ein, und auch Ottfried war in unbedingter Ehrfurcht vor dem Priestergewande und vor den äußeren Ceremonien der Religion erzogen, so wenig er auch sonst davon in sich tragen mochte. Die heftige Parteinahme des Vaters befremdete ihn deshalb nicht besonders, auch schien dieser seine Erregung bereits zu bereuen, denn seine Stimme war um vieles milder geworden, als er nach einer augenblicklichen Pause hinzusetzte:
„Benedict hat den Erwartungen, die ich bei seiner Ausbildung hegte, in jeder Hinsicht entsprochen. Ich wünsche, daß Du für die Zeit unseres Hierseins ihn zu Deinem Beichtiger erwählst und möglichst bei ihm die Messe hörst, und ich will hoffen, daß sich dadurch ein freundlicheres Verhältniß zwischen Euch anbahnt, als es in Eurer Kinderzeit der Fall war.“
Ottfried schwieg, die äußeren Formen der Ehrerbietung und Rücksicht wurden im Rhaneck’schen Hause streng aufrecht erhalten, aber die Formen waren hier eben auch alles, sie mußten das Herz ersetzen, das nun einmal in allen Beziehungen dieser Familie zu einander zu fehlen schien. Der junge Graf widersprach mit keiner Sylbe dem so bestimmt kundgegebenen Wunsche des Vaters, wenn sein Gesicht auch deutlich verrieth, wie mißfällig ihm derselbe war.
Der Prälat hatte inzwischen durch einen Wink den jungen Priester an seine Seite gerufen und Rhaneck führte ihn seinem Sohne zu, aber zu dem „freundlicheren Verhältniß“, das sich zwischen den Beiden anbahnen sollte, zeigte sich wenig Aussicht. Ottfried, der so eben empfangenen Zurechtweisung eingedenk, zwang sich zur Artigkeit, Benedict blieb kalt und gemessen, es war, als fühlten die jungen Männer instinctmäßig, daß eine weite Kluft zwischen ihnen lag, die wohl nie ausgefüllt werden konnte.
Da gab sich von neuem eine allgemeine Bewegung im Saale kund, ein allgemeines Flüstern und sich Umwenden, alle Blicke waren plötzlich nach der Thür gerichtet, durch die jetzt endlich der längst erwartete neue Gutsherr von Dobra eintrat und, seine Schwester am Arme, sich dem Wirthe näherte, der in der Nähe des Einganges stand.
Der Baron war in der That in einiger Verlegenheit dem Mann gegenüber, der sich so stolz von der ganzen Nachbarschaft abgesondert, und dem gegenüber er gleichwohl, durch höheren Einfluß gedrängt, den ersten Schritt zur Annäherung gethan. Er zog sich indessen noch ziemlich gut aus der Sache, die Bewillkommnung war, wenn auch etwas gezwungen, doch artig, übrigens kürzte er sie so viel als möglich ab und beeilte sich, „Herrn Günther auf Dobra“ seiner Gemahlin vorzustellen. Die Baronin machte es in ähnlicher Weise, sie that, was als Frau vom Hause ihre Schuldigkeit war, aber auch nicht mehr, und so kam es, daß Günther sich, sobald die erste Begrüßung vorüber war, fast gänzlich isolirt neben dem Sessel seiner Schwester fand; die Gesellschaft verharrte vorläufig noch in vollster Ablehnung des fremden, ihr aufgedrungenen Elementes.
Es war kein leichter Stand dieser stummen Opposition des ganzen Kreises und all den neugierigen, mißgünstigen und hämischen Blicken gegenüber, die von allen Seiten des Saales her sich auf diesen einen Mittelpunkt richteten; aber Günther ertrug Eins wie das Andere mit bewunderungswürdiger Gelassenheit. Das war nicht die Haltung eines Mannes, der eine unverdiente Ehre empfängt oder eine unverdiente Kränkung erleidet, Beides schien gleich wirkungslos an dieser gleichgültigen Ruhe abzugleiten, mit der er seinerseits die Gesellschaft musterte, und in dem Blick, der langsam aber forschend darüber hinschweifte, lag nur die eine Frage, die wahrscheinlich allein ihn zur Annahme der Einladung veranlaßt hatte: „Was wollt Ihr eigentlich von mir?“
Jugend und Schönheit haben es überall leicht, selbst dem angestammten Vorurtheile gegenüber, Lucie entwaffnete schon durch ihr bloßes Erscheinen selbst die hartnäckigsten Gegner. Die Herren hatten es bald genug herausgefunden, daß alle übrigen Damen weit hinter dieser lieblichen Erscheinung zurückblieben, und die jüngeren unter ihnen zeigten bereits bedenkliche Neigung, den aristokratischen Principien untreu zu werden. Noch hielt die Furcht vor dem Zorne der respectiven Väter und Mütter die Ueberläufer in Schranken, aber wider alles Erwarten war es diesmal der junge Graf Rhaneck, der das Zeichen zur Fahnenflucht gab.
„Das Mädchen ist reizend!“ rief er mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, „ich werde mir einen Tanz sichern!“
„Aber Rhaneck,“ mahnte einer seiner Nachbarn, „bedenke doch, eine Mademoiselle Günther, die Schwester dieses –“
„Ah bah! Sie sind Gäste des Barons, sind auf Wunsch meines Oheims eingeladen! Er mag die Verantwortung dafür tragen!“
Damit