Erfolg. Der junge Graf hatte sich noch nie so unempfindlich gezeigt wie gerade heute. Er entledigte sich so schnell wie möglich der Etiquettenpflichten, und es glückte ihm wirklich, im Laufe des Abends noch mehrere Male jenes reizende kleine Wesen in die Reihen zu führen, das, zur großen Indignation der übrigen Damen, ihn gänzlich bezaubert zu haben schien.
Günther, der nur erschienen war, um sich zu vergewissern, daß seine Schwester nicht etwa an der Seite ihres Tänzers blieb, kehrte, als er sie anderweitig versagt wußte und nachdem er sie einer der älteren Damen mit einigen Worten empfohlen, wieder zu der übrigen Gesellschaft zurück, wo er bald auf’s Neue von dem Prälaten in ein eingehendes Gespräch verwickelt und dabei festgehalten wurde. Drinnen im Tanzsaal war schon seit einiger Zeit eine größere Pause eingetreten, als es ihm endlich gelang, sich loszumachen und nach Lucie zu sehen. Sie war nicht im Saale, und auch auf der Terrasse, von woher ihm das Lachen und Plaudern der anderen Paare entgegenscholl, die dort promenirten, konnte er sie nicht entdecken. Unruhig darüber, wollte er seine Nachforschungen eben weiter ausdehnen, als die Gesuchte plötzlich eintrat, allerdings auch von der Terrasse her, und zwar am Arme des Grafen Ottfried, der seit dem letzten Tanze nicht von ihrer Seite gewichen war.
Das Antlitz des jungen Mädchens zeigte nichts mehr von jener augenblicklichen Befangenheit und Zerstreutheit, das war längst vorüber; jetzt strahlte dort unverkennbar ein kindischer Triumph, und es glühte dunkel auf unter dem Auge des Bruders, der sie und den Grafen mit einem scharfen Blick musterte. Er trat rasch auf sie zu.
„Wo warst Du?“ fragte er kurz, „ich habe Dich überall gesucht!“
„Ach, Herr Günther,“ Ottfried konnte auch gegen Bürgerliche verbindlich sein, wenn sie schöne Schwestern besaßen, „das dürfen Sie der jungen Dame nicht zum Vorwurf machen. Ich führte sie ein wenig auf die Terrasse hinaus und war eben so glücklich, auch die Zusage des nächsten Tanzes von ihr zu erhalten.“
„Das bedauere ich, Herr Graf.“ Günther zog ruhig den Arm seiner Schwester aus dem des Grafen und legte ihn in den seinigen. „Lucie tanzt heute zum ersten Male und ich wünsche nicht, daß sie es übertreibt. Sie ist erhitzt und ermüdet, und wird für diesmal aufhören, wir fahren ohnedies bald.“
„Aber, mein Herr!“ Die Stimme Ottfried’s nahm einige Schärfe an. „Das Fräulein hat bereits über den Tanz disponirt und ich habe doch wohl das Recht –“
„Gewiß, Herr Graf! Aber Sie werden dies Recht sicher nicht in Anspruch nehmen, da Sie hören, daß ich von dem allzuvielen Tanzen nachtheilige Folgen für meine Schwester befürchte. Sie gestatten wohl, daß ich sie mit mir nehme.“
Die Entgegnung klang sehr höflich, aber sie schnitt alle und jede Einwendung von vornherein ab. Ottfried biß sich auf die Lippen und trat zurück, vorher jedoch wechselte er noch einen Blick offenbaren Einverständnisses mit Lucie. Diese war im ersten Moment ganz starr vor Staunen und Schrecken über diesen unerwarteten Eingriff des Bruders, und schien sehr geneigt, sich dagegen aufzulehnen, aber ein Blick auf sein Gesicht ließ sie davon abstehen. Wenn Bernhard so aussah, war keine Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten, man that dann am besten, ihm unbedingt zu gehorchen, das junge Mädchen fügte sich, aber es standen Thränen in ihren Augen, als der rücksichtslose Bruder sie so ohne allen Grund von dem ersehnten Vergnügen und von der Seite des liebenswürdigen Tänzers fortriß. Sie konnte nicht begreifen, weshalb er dem Grafen in einer so schroffen, fast beleidigenden Weise entgegentrat, er war heute überhaupt in einer abscheulichen Laune, und während drinnen die verlockenden Tanzweisen auf’s Neue erklangen, führte er sie wirklich fort, mitten unter die alten Damen und Herren, die an den Spieltischen saßen oder in steifer Unterhaltung begriffen waren, und stellte sich wie zur Wache neben ihrem Sessel auf – ein Glück wenigstens, daß jener unheimliche Pater Benedict nicht mehr im Saale zu erblicken war! Hätten diese dunklen Augen sie nun auch noch gequält und gepeinigt, sie wäre sicher in Thränen ausgebrochen.
5
Graf Rhaneck hatte sich den ganzen Abend hindurch in keiner sehr angenehmen Stimmung befunden. Schon unmuthig über die Opposition, die sein Bruder ihm mit diesem Günther machte, eine Opposition, deren Gründe er weder anzuerkennen, noch zu würdigen geneigt war, verstimmte es ihn auf’s Aeußerste, als er sehen mußte, wie die ganze Gesellschaft allmählich dem Beispiel des Prälaten folgte und der Eindringling mit jeder Minute mehr an Terrain gewann. Nun nahm sich auch noch Ottfried die unverzeihliche Freiheit, Lucie Günther zum Tanz zu führen! Er vergaß über ein Paar schöner Augen vollständig, was er seinem Range und seiner Stellung schuldig war, und der Graf nahm sich vor, ihn ernstlich daran zu erinnern. Geärgert durch all diese Vorkommnisse und auf’s Höchste gelangweilt von den ewigen Jagd- und Pferdegeschichten der übrigen Herren, über deren Niveau seine Natur sich denn doch erhob, riß er sich endlich davon los und trat nach einem Gange durch den Saal auf die Terrasse, die jetzt beim Wiederbeginn des Tanzes vollkommen leer und öde war.
In tiefe und, wie es schien, nicht gerade erfreuliche Gedanken versenkt schritt Rhaneck die Stufen hinunter, als er plötzlich auf einer der seitwärts stehenden Bänke eine Gestalt gewahrte, die wie todtmüde dort hingeworfen, die Stirn gegen den kalten Stein gepreßt, regungslos in dieser Stellung verharrte. Der Graf stutzte einen Augenblick, dann trat er rasch näher und legte dem Einsamen die Hand auf die Schulter.
„Bruno!“
Der Gerufene fuhr auf und sprang empor; es war zu dunkel, als daß der Graf die Blässe und die sichtbare Verstörtheit seiner Züge hätte bemerken können, dennoch klang eine unverhehlte Besorgniß aus seinem Tone.
„Was machst Du hier allein in der Nacht und Einsamkeit? Weshalb bist Du nicht drinnen im Saale?“
„Ich kann nicht!“ stieß Benedict gepreßt hervor, „es ist mir zu schwül drinnen!“
Der Graf schüttelte den Kopf. „Ich weiß, Du liebst diese weltlichen Feste nicht und weißt es meinem Bruder schwerlich Dank, daß er gerade Dich zur Begleitung auserwählte, aber Dich ihnen so hartnäckig zu entziehen, das ist unrecht, das grenzt ja nahezu an Haß.“
„Ich hasse sie auch!“ sagte Benedict dumpf.
Sie standen am Fuße der Terrasse, durch die geöffneten Fensterthüren quoll der Kerzenglanz und der rauschende Jubel der Musik, man sah die einzelnen Paare im Tanze vorüberschweben, der Blick des jungen Mönchs heftete sich starr auf jene erleuchteten Fenster, und es lag in der That etwas von der eben ausgesprochenen Empfindung darin, gleichwohl schien er das Auge nicht losreißen zu können.
„Du gehst zu weit!“ sagte der Graf begütigend. „Du siehst doch, daß Dein Abt und Deine Mitbrüder diese Feste weder verdammen, noch sich ihnen ganz entziehen. Dein Orden giebt uns die Redner unserer Kirchen, die Erzieher unserer Knaben, Ihr könnt und dürft nicht so ganz mit der Welt brechen, wie ein Karthäusermönch es thun mag.“
Benedict gab keine Antwort, er stützte sich auf die Steinbank und sah finster zu Boden.
„Und jetzt komm in den Saal zurück,“ drängte Rhaneck, „es ist ja unheimlich hier in dieser Einsamkeit!“
„O, nicht immer! Man sieht und hört auf dieser einsamen Terrasse oft mehr, als drinnen im Ballsaal.“
Es lag eine unendliche Bitterkeit in den Worten, aber der Graf lächelte unwillkürlich.
„Dein strenges Richterohr hat wohl irgend ein harmloses Liebesgeflüster aufgefangen? Ich fürchte, es spielen mehr solcher kleinen Romane da drinnen unter dem jungen Volk. Es kann nicht ein Jeder die Weltentsagung üben, zu der Du Dich bekennst.“
„Zumal Graf Ottfried nicht!“ sagte Benedict schneidend.
Die Stirn des Grafen umwölkte sich leicht. „Also Ottfried war es, den Du belauschtest? Ja, ich weiß, er ist leichtsinnig, leichtsinniger sogar, als ich ihm mit aller billigen Rücksicht auf seine Stellung und seine Verbindungen in der Residenz zugestehen kann. Ein Sohn meines Hauses sollte doch einen andern Ehrgeiz haben, und eine andere Lebensaufgabe kennen, als nur die, der