hatte gleichgültig die Annäherung des jungen Officiers gesehen, als jedoch der Name Rhaneck genannt ward, stutzte er und eine sichtlich unangenehme Ueberraschung spiegelte sich auf seinem Gesicht. Er machte unwillkürlich eine Bewegung, wie um seine Schwester zurückzuhalten, im nächsten Augenblick jedoch schien er sich zu erinnern, daß die Aufforderung sich ohne directe Beleidigung nicht ablehnen ließ. Er ließ es geschehen, daß der junge Graf Lucie in die Reihen der Tanzenden führte, die sich im Nebensaal ordneten, aber sein Blick folgte mit einem Gemisch von Unmuth und Besorgniß den Beiden.
„Wollen Sie mir erlauben, Herr Günther, Ihre Bekanntschaft mit dem hochwürdigsten Abt unseres Stiftes zu vermitteln?“ tönte in diesem Augenblick die Stimme des Barons dicht neben ihm, und als Günther sich umwandte, sah er sich plötzlich dem Prälaten gegenüber.
Einen Moment lang maßen die beiden Männer schweigend einander; der scharfe Blick des Geistlichen drang forschend tief in die Züge seines Gegenüber, als wolle er sofort aus ihnen herauslesen, was eigentlich an dem Manne sei, aber er traf hier auf dieselbe eherne Stirn, auf dieselbe kalte, überlegene Ruhe, die sein eigenes Antlitz kennzeichneten, und dies Antlitz mußte vor jenen prüfenden Augen die gleiche Musterung bestehen. Der eine Blick genügte Beiden, Günther lächelte fast unmerklich, als er das erwartungsvolle Herandrängen der Gesellschaft bemerkte, er wußte jetzt, von wem diese räthselhafte Einladung eigentlich ausging, aber auch der Prälat hatte bereits Stellung genommen – er erwies dem Fremden die Ehre, ihn für einen Gegner anzuerkennen.
Der Baron athmete förmlich auf, als der Anstifter der ganzen fatalen Angelegenheit endlich Miene machte, persönlich in die Sache einzutreten, und damit den Alp wegzunehmen, der seit Günther’s Eintritt auf der ganzen Versammlung zu lasten schien. War diese übrigens schon durch den seltsamen Wunsch Seiner Hochwürden, der natürlich kein Geheimniß blieb, alarmirt worden, so wurde sie es noch mehr beim Anblick der sichtbaren Auszeichnung, deren sich der „Emporkömmling“ erfreute. Wenn der Baron artig gewesen war, so zeigte sich der Prälat geradezu verbindlich; er verstand es sonst meisterhaft, sich in seiner geistlichen Würde unnahbar zu machen, und damit eine unübersteigliche Schranke zwischen sich und jedem anderen Sterblichen aufzurichten; dem Protestanten gegenüber, der schwerlich geneigt war, diese Unnahbarkeit zu respectiren, fiel diese Schranke unmerklich, aber sofort, hier war es nur der vornehme Weltmann, der sich mit ebenso viel Tact als Artigkeit bemühte, den Fremden in’s Gespräch zu ziehen und ihm die Einführung in die Gesellschaft zu erleichtern.
Diese fing bereits an dem allmächtigen Einfluß des Abtes nachzugeben. Man brannte in der That vor Neugierde, diesen Günther persönlich kennen zu lernen, und half sich dabei genau so, wie der junge Graf Rhaneck. Man deckte sich für alle Fälle mit der Verantwortlichkeit des Prälaten, um ungescheut seinem Beispiel folgen zu können, man wurde gleichfalls artig, gleichfalls verbindlich, und es dauerte nicht lange, so war der Gutsherr von Dobra aus seiner anfänglichen Isolirtheit zu einer Art von Mittelpunkt geworden.
Inzwischen feierte Lucie im Tanzsaale einen ähnlichen Triumph, obgleich sie sich zur Zeit noch nicht viel darum kümmerte. Ihr war in der Freude am Tanzen alles Andere untergegangen, und mit vollster Seele gab sie sich dem ihr so neuen Vergnügen hin. Es war das erste Mal, daß das junge Mädchen überhaupt in eine größere Gesellschaft kam, daß sie aus der „Kinderstube“, in die der strenge Bruder sie verwiesen, in den Salon trat, und entzückt und geblendet blickte sie in die fremde glänzende Welt. Sie sah nur den Kerzenglanz, die bunte, festlich geschmückte Menge, hörte nur die rauschende Musik, alles Andere existirte nicht für sie. Der rosige Mousselin wogte leicht und luftig um die kleine Elfengestalt. Die Rosen in den Locken dufteten und zitterten, als sie so in den Armen des Grafen dahinschwebte. Das jugendliche Wesen war ganz aufgelöst in Freude und Tanzlust und hatte kaum eine Ahnung davon, wie bezaubernd lieblich es in dieser Erregung erschien.
Ihr Tänzer hatte und so mehr Augen dafür. Der junge Graf, gewohnt, überall nur der Coquetterie und Berechnung zu begegnen, deren Ziel meistentheils seine Hand war, schien seltsam angezogen von diesem Kinde, das sich noch so ganz kindlich und unbefangen gab, gar nicht daran dachte, sein Entzücken an dem Feste zu verhehlen, und sicher mit dem jüngsten Sohne irgend eines unbedeutenden Landedelmannes ebenso gern tanzte wie mit dem Erben von Rhaneck. Es war einmal etwas Neues, Ungewöhnliches, dem seine gleichgültige Blasirtheit allmählich zu weichen begann. Die schlaffen Züge Ottfried’s gewannen Leben, in seine matten Augen kehrte das Feuer zurück, während er sich in Artigkeiten und Aufmerksamkeiten aller Art erschöpfte und nicht ohne Erfolg. Der Graf hatte nicht umsonst die hohe Schule in den Salons der Residenz durchgemacht und sich dort in den Ruf der Unwiderstehlichkeit gebracht, um diesen Ruf einem sechszehnjährigen Mädchen gegenüber nicht mit Glück zu behaupten; er konnte glänzen mit seiner Unterhaltungsgabe, wenn er wollte, und heute wollte er es entschieden. Immer kühner und kühner drangen seine Schmeicheleien in Luciens Ohr. Noch lachte sie unbefangen dazu; aber ihr Köpfchen begann bereits zu wirbeln; allerlei romantische Pensionsideen flatterten darin auf. Der gewandte, in allen Künsten der Eroberung erfahrene Weltmann war auf dem besten Wege, das junge unerfahrene Herz in seine gefährlichen Netze zu ziehen.
Da auf einmal zuckte das junge Mädchen leise zusammen und hielt mitten im Tanze inne. Der Graf bemerkte es.
„Wünschen Sie aufzuhören, mein Fräulein?“ fragte er artig. Lucie schüttelte leise das Haupt und tanzte weiter; aber das, was sie vorhin wie ein jäher Stich durchfahren, schmerzte noch, als Ottfried, nachdem er nochmals den Saal mit ihr umkreist hatte, jetzt von selber innehielt. Sie war wieder den „Gespensteraugen“ begegnet, die sie schon einmal so sehr erschreckt hatten, und wendete jetzt langsam und scheu ihren Blick dem Orte zu, wo sie leuchteten.
Der Graf fing diesen Blick auf, dessen Ausdruck nicht mißzuverstehen war. „Pater Benedict scheint Ihnen Furcht einzuflößen, mein Fräulein,“ sagte er spöttisch. „Ich muß bekennen, daß auch mich in seiner Nähe ein gewisses Unbehagen beschleicht, trotzdem er der erklärte Günstling meines Vaters und Oheims ist. Der Fanatiker haßt Alles, was Freude und Jugendlust heißt! Sieht er nicht aus, als wollte er das ganze Tanzgewühl und vor Allem uns Beide bis in die fernsten Tiefen der Verdammniß schmettern?“
Lucie hätte bei jeder andern Gelegenheit mitgelacht und mitgespottet, in diesem Augenblicke aber vermochte sie es nicht. Die hohe finstere Gestalt, welche dort an der Thür lehnte, einsam inmitten der bunten hin- und herfluthenden Menge, von der Keiner Lust bezeigte, sich dem düstern einsilbigen Gaste zu nahen, übte einen beängstigenden Einfluß auf sie aus. Das Antlitz des jungen Mönches hatte freilich nicht mehr jenen kalt verächtlichen Ausdruck, mit dem er beim Beginn des Festes das profane Gewühl um sich her betrachtete. War es Einbildung? Aber es schien Lucien, als suchten jene düster brennenden Blicke einzig sie und ihren Tänzer in diesem Gewühl, als folgten sie ihnen durch alle Verschlingungen des Tanzes, und als Ottfried jetzt auf’s Neue den Arm um sie legte und ihre langen braunen Locken dabei seine Schulter berührten, da flammten die unheimlichen Augen plötzlich auf, nur einen Moment lang; aber das junge Mädchen schmiegte sich, wie Schutz suchend, fester an den Arm des Grafen – er hatte Recht, der Fanatiker dort hätte sie Beide am liebsten zerschmettert mit diesem Blick!
Ottfried mißverstand natürlich diese Bewegung und er mißverstand auch völlig die Befangenheit, die sich seiner Tänzerin auf einmal bemächtigte und ihrem eben noch so frohen Lachen, ihren bisher so neckischen Antworten etwas eigenthümlich Gezwungenes gab. Er hielt für seinen Triumph, was doch nur jene räthselhafte Angst war, die Lucie hier in dem hellen menschenvollen Saale mit derselben Gewalt überkam, wie einst mitten in der Einsamkeit des Waldes. Ihr Vergnügen am Tanze war gestört; sie war unruhig, zerstreut und athmete erst auf, als nach Beendigung des Walzers der Gegenstand ihrer Furcht verschwand und statt dessen die Gestalt ihres Bruders sich in der Nähe zeigte.
Ottfried führte sie zu einem Sitz, und das junge Mädchen hatte kaum dort Platz genommen, als mehrere Herren, durch das Beispiel des Grafen ihren aristokratischen Zweifeln entrissen, ebenfalls hereintraten, um sich um die nachfolgenden Tänze zu bewerben. Es schien, als hätte ihnen Ottfried gern den Vorzug streitig gemacht; aber der Sohn des Grafen Rhaneck hatte gesellschaftliche Verpflichtungen gegen verschiedene vornehme Damen, denen er nachkommen mußte, wollte er nicht den Zorn des Vaters auf sich laden, der jedenfalls schon die Freiheit, die er sich genommen,