sich. „Allerdings muß es sein. Du wirst nicht umhin können, ihr in meiner Begleitung oft und viel zu nahen. Sie ist schon, und mit Recht, befremdet darüber, daß es nicht bereits geschehen ist. Was hast Du denn, Hugo? Du scheinst ja dieser Vorstellung förmlich ausweichen zu wollen, und doch kennst Du Beatrice nicht einmal.“
„Doch,“ entgegnete der Capitain kurz. „Ich habe sie bereits in H. im Concerte und auf der Bühne gesehen.“
„Aber niemals gesprochen. Eigenthümlich, daß man Dich beinahe zu Dem zwingen muß, was jeder Andere als einen Vorzug betrachten würde! Du bist doch sonst stets der Erste, wenn es die Bekanntschaft einer schönen Frau gilt.“
Hugo erwiderte nichts, aber er folgte ihm ohne ferneren Einwand. Signora Biancona war, wie gewöhnlich, von einem Kreise von Herren umgeben und in lebhaftester Unterhaltung begriffen, aber sie brach diese sofort ab, als die Beiden erschienen. Reinhold stellte ihr seinen Bruder vor. Beatrice wandte sich mit ihrer ganzen Liebenswürdigkeit an den Letzteren.
„Wissen Sie, Signor Capitano, daß ich Ihnen bereits gezürnt habe, ohne Sie zu kennen?“ begann sie. „Rinaldo war nicht zu halten, als er die Nachricht von Ihrer Ankunft empfing. Er ließ mich höchst ungalanter Weise in M. zurück, um Ihnen entgegen zu eilen. Ich mußte die Rückreise hierher allein antreten.“
Hugo verbeugte sich artig, aber doch fremder, als er es sonst wohl vor einer Dame that, und er schien es auch nicht zu bemerken, daß die schöne Hand Beatricens sich dem Bruder Rinaldo’s vertraulich entgegenstreckte, wenigstens widerstand er vollständig der Versuchung des Handkusses, der wohl erwartet wurde.
„Ich bin sehr unglücklich, Signora, Ihren Unwillen erregt zu haben. Wer aber so ausschließlich wie Sie über Reinhold’s Nähe und Gegenwart verfügt, sollte doch Großmuth genug besitzen, ihn einmal auch für kurze Zeit dem Bruder abzutreten.“
Er sah sich nach Reinhold um, aber dieser wurde bereits wieder in Anspruch genommen.
„Ich füge mich ja auch,“ sagte Beatrice, noch immer mit bezaubernder Freundlichkeit, „oder vielmehr, ich füge mich noch jetzt, denn seit der Zeit Ihres Hierseins habe ich Rinaldo wenig genug gesehen. Es wird wohl kein anderes Auskunftsmittel übrig bleiben, als daß ich Sie bitte, ihn zu begleiten, wenn er bei mir erscheint.“
Hugo machte eine etwas gemessene Bewegung des Dankes. „Sie sind sehr gütig, Signora. Ich ergreife gewiß mit Freuden die Gelegenheit, die so hochgefeierte – Muse meines Bruders näher kennen zu lernen.“
Signora Biancona lächelte. „Hat er mich Ihnen so genannt? Freilich, der Name ist unserem Freundeskreise nicht fremd. Rinaldo gab ihn mir einst, damals, als ich seine ersten Schritte auf der Künstlerbahn leitete. Eine etwas romantische Bezeichnung, zumal für deutsche Anschauungen, nicht wahr, Signor? Sie kennen dergleichen schwerlich in Ihrem Norden.“
„Bisweilen doch,“ sagte der Capitain ruhig, „nur mit einem unbedeutenden Unterschiede. Bei uns pflegen die Musen Ideale zu sein, die in unerreichbarer Höhe schweben. Hier sind es – schöne Frauen. Ein ganz unleugbarer Vortheil für den Künstler.“
Die Worte klangen wie ein Compliment und hielten genau den scherzenden Ton fest, den Beatrice selbst angeschlagen; dennoch streifte sie mit einem raschen, forschenden Blicke das Antlitz des Sprechenden; vielleicht sah sie den aufblitzenden Spott darin; denn sie erwiderte mit einiger Schärfe:
„Ich meinestheils bekenne, gar keine Sympathie für den Norden zu besitzen. Nur gezwungen habe ich einige Zeit dort verlebt, und ich athmete erst wieder auf, als der Himmel Italiens sich über mir wölbte. Wir Südländer vermögen es nun einmal nicht, uns in die eisig pedantischen Regeln zu zwängen, die dort die Gesellschaft einengen, in die Fesseln, die man auch den Künstlern auferlegen möchte.“
Hugo lehnte sich mit vollendeter Gleichgültigkeit an die Marmorbalustrade. „Mein Gott, das ist doch von keiner Bedeutung. Man sprengt sie einfach und ist dann frei wie der Vogel in der Luft. Reinhold hat das ja hinreichend bewiesen, und jetzt hat er die Heimath und ihre pedantischen Regeln ein- für allemal abgeschworen, was doch wohl ausschließlich Ihr Verdienst ist, Signora.“
Beatrice gebrauchte heftig den Fächer, obgleich gerade in diesem Augenblicke der Abendwind erfrischend kühl herüberwehte.
„Wie meinen Sie das, Signor?“ fragte sie rasch.
„Ich? O, ich meine gar nichts, ausgenommen etwa, daß es doch ein erhebendes Gefühl sein muß, so das ganze Schicksal eines Menschen – oder auch einer Familie – in Händen zu halten, wenn man Jemanden seinen ‚Fesseln‘ entreißt. Man muß in einem solchen Falle durchaus etwas von einer irdischen Vorsehung in sich spüren. Nicht, Signora?“
Beatrice war leicht zusammengezuckt bei den Worten, ob vor Ueberraschung oder Zorn, das ließ sich schwer entscheiden. Ihre Augen begegneten den seinigen; aber diesmal maßen sie einander, wie zwei Gegner sich messen. Der Blick der Italienerin sprühte; doch der Capitain hielt ihn so fest und ruhig aus, daß sie wohl fühlte, es sei kein allzu leichtes Spiel diesen klaren braunen Augen gegenüber, die ihr so keck die Spitze zu bieten wagten.
„Ich glaube, Rinaldo hat allen Grund, dieser Vorsehung dankbar zu sein,“ entgegnete sie stolz. „Er wäre vielleicht untergegangen in Verhältnissen und Umgebungen, die seiner unwürdig waren, hätte sie seinen Genius nicht wach gerufen und ihm die Bahn zur Größe gewiesen.“
„Vielleicht,“ sagte Hugo kühl. „Man behauptet zwar, ein wahrer Genius gehe nie zu Grunde, und je schwerer er sich durchringen müsse, desto mehr stähle sich seine Kraft; indessen das ist jedenfalls auch eine von den nordisch-pedantischen Anschauungen. Der Erfolg hat für Ihre Ansicht entschieden, Signora, und der Erfolg ist ja ein Gott, dem sich Alles beugt.“
Er verneigte sich und trat zurück. Er hatte das Alles im leichtesten Conversationstone, scheinbar ganz absichtslos hingeworfen, aber Signora Biancona mußte doch wohl die Bitterkeit empfunden haben, die in den Worten des Capitains lag; denn sie preßte die Lippen zusammen wie in tiefster innerster Gereiztheit, und der Fächer gerieth in eine fast stürmische Bewegung.
Hugo hatte inzwischen seinen Bruder aufgesucht, den er im Gespräche mit dem Marchese Tortoni traf; die Beiden standen ein wenig abseits von der übrigen Gesellschaft.
„Nein, nein, Cesario!“ sagte Reinhold soeben abwehrend. „Ich bin ja vor Kurzem erst aus M. zurückgekehrt und kann unmöglich daran denken, jetzt schon wieder die Stadt zu verlassen. Vielleicht später –“
„Aber die Oper ist ja verschoben worden,“ fiel der junge Marchese im Tone der Bitte ein, „und die Hitze beginnt sich schon fühlbar zu machen. Sie wählen sicher in einigen Wochen irgend eine Villeggiatura. – Kommen Sie mir zu Hülfe, Signor Capitano!“ wandte er sich an den eben herantretenden Hugo. „Sie beabsichtigen gewiß auch, unsern Süden kennen zu lernen, und dazu bietet sich nirgends besser Gelegenheit, als in meinem Mirando.“
„Kennst Du den Marchese bereits?“ fragte Reinhold. „Da bedarf es also keiner Vorstellung mehr.“
„Durchaus nicht,“ versicherte Hugo übermüthig. „Ich habe mich bereits persönlich bei den Herren eingeführt, gerade als sie über Dich zu Gericht saßen, und ich machte mir dabei als unbekannter Zuhörer das harmlose Vergnügen, sie durch eingestreute Bemerkungen zu Angriffen gegen Dich zu reizen. Leider gelang das nur bei einem Einzigen, Marchese Tortoni dagegen nahm leidenschaftlich Deine Partei, ich mußte seine volle Ungnade fühlen, weil ich mir erlaubte an Deinem Talente zu zweifeln.“
Reinhold schüttelte den Kopf. „Hat er Ihnen auch schon wieder einen seiner Streiche gespielt, Cesario? Nimm Dich in Acht, Hugo, mit Deinen Neckereien! Wir stehen hier auf italienischem Boden; da pflegt man dergleichen nicht so harmlos aufzunehmen, wie in unserer Heimath.“
„Nun, in diesem Falle bedurfte es nur des Namens, um uns zu versöhnen,“ sagte der Marchese lächelnd. „Aber damit verlieren wir ja ganz den Faden des Gesprächs,“ fuhr er ungeduldig fort. „Ich habe noch immer keine Antwort auf meine Bitte. Ich rechne bestimmt auf Ihren Besuch, Rinaldo, selbstverständlich auch auf den Ihrigen, Signor.“
„Ich