Du hast doch oft genug das Gegentheil erfahren.“
Reinhold wandte sich vollends zu ihr und trat vom Balcon zurück.
„Ich weiß, daß Du lieben kannst,“ entgegnete er milder, „heiß und voll lieben. Aber Du kannst auch quälen mit dieser Liebe; das muß ich täglich empfinden.“
„Und dieser ‚Qual‘ möchtest Du entfliehen, wenigstens auf einige Zeit?“
Aus ihrer Stimme sprach ein herber Vorwurf. Almbach machte eine ungeduldige Bewegung.
„Ich suche Ruhe, Beatrice,“ sagte er, „und die finde ich nun einmal nicht in Deiner Nähe. Du kannst nur in fortwährender Gluth und Aufregung athmen; beides ist Dir Lebensbedingung, und Du reißest Deine ganze Umgebung mit Dir in den ewig lodernden Feuerkreis Deines Wesens. Ich – bin müde.“
„Der Gesellschaft, oder meiner?“ fragte Beatrice mit wieder aufblitzender Heftigkeit.
„Kannst Du es denn nicht lassen, in jedem Worte einen Stachel zu suchen?“ fuhr Reinhold auf. „Ich sehe, daß wir heute wieder einander nicht verstehen. Leb’ wohl!“
„Du gehst?“ rief die Italienerin halb erschreckt, halb drohend. „Und mit diesem Abschiede für eine wochenlange Trennung?“
Reinhold, der schon an der Thür war, besann sich und kehrte langsam um.
„Ja so, ich vergaß die Abreise. Leb’ wohl, Beatrice!“
Aber so leicht sollte ihm der Abschied nicht gemacht werden. Signora Biancona hatte es längst verlernt, dem Manne dauernd zu trotzen, der es nun einmal verstand, ihren sonst so launenhaften Willen dem seinigen zu beugen, und als er sich ihr wieder näherte, da war es vorbei mit jedem ferneren Widerstande. Ihre Stimme bebte, als sie leise fragte: „Und Du willst wirklich allein gehen, ohne mich?“
„Beatrice –“
„Allein, ohne mich?“ wiederholte sie leidenschaftlicher. Reinhold machte einen Versuch, ihr seine Hand zu entziehen, aber es blieb bei dem Versuche.
„Cesario erwartet mich auf das Bestimmteste,“ sagte er abwehrend, „und ich habe Dir schon einmal erklärt, daß Du mich nicht begleiten kannst –“
„Nach Mirando nicht,“ fiel Beatrice ein, „das weiß ich. Aber was hindert mich denn, den ursprünglichen Plan zu ändern und den ersten Sommeraufenthalt, anstatt im Gebirge, jetzt in S., der großen Villeggiatur aller Fremden, zu nehmen? Es liegt nahe genug bei Mirando, in einer halben Stunde trägt Dich das Boot zu mir herüber. Wenn ich Dir folgte – darf ich, Rinaldo?“
Er war unwiderstehlich, dieser Ton schmeichelnder Bitte, und noch unwiderstehlicher bat ihr Blick, Reinhold sah schweigend nieder auf die schöne Frau, deren Liebe, deren Besitz ihm einst als der höchste Preis des Glückes erschienen. Der Zauber übte noch immer seine alte Macht und übte sie gerade dann am stärksten, wenn er den Versuch machte, ihm zu entrinnen. In Worten ward die Gewährung freilich nicht gegeben, aber Beatrice sah es, als er sich zu ihr niederbeugte, daß sie diesmal gesiegt hatte. Als er sie eine halbe Stunde darauf wirklich verließ, war die Aenderung in ihrem Reiseplane eine beschlossene Sache, und der Abschied galt nicht einer Trennung von Wochen, sondern nur von Tagen.
Es dämmerte bereits, und der Mond stieg langsam empor, als Reinhold seine eigene Wohnung erreichte, die in einiger Entfernung, im freieren Theile der Stadt lag. Beim Eintritt in das Empfangszimmer fand er dort den Capitain, der seinem Diener soeben eine nachdrückliche Strafpredigt gehalten zu haben schien, denn Jonas stand vor ihm mit der Miene äußerster Zerknirschung, die sich in komischer Weise mit einem verhaltenen Ingrimm mischte, dem Worte zu leihen ihn wohl nur die Gegenwart seines Herrn abhielt.
„Was giebt es denn?“ fragte Reinhold etwas befremdet.
„Eine Inquisitionssitzung,“ entgegnete Hugo ärgerlich. „Seit Jahren schon mühe ich mich vergebens ab mit diesem verstockten Sünder und unverbesserlichen Weiberfeind, aber da hilft weder Lehre noch Beispiel. – Jonas, Du gehst jetzt augenblicklich hinauf zur Padrona, bittest um Verzeihung und versprichst künftig manierlicher zu sein. Marsch, hinaus!“
„Ich werde ihn schließlich noch nach der Ellida zurückschicken müssen,“ fuhr er zu seinem Bruder gewandt fort, nachdem Jonas das Zimmer verlassen hatte. „Da ist die Schiffskatze das einzige weibliche Wesen, das er um sich hat, und mit dem wird er hoffentlich noch auskommen.“
Reinhold warf sich in einen Sessel. „Ich wollte, ich hätte Deinen unverwüstlichen Humor, Deine glückliche Gabe, das Leben leicht wie ein Spiel zu nehmen. Ich habe das nie vermocht.“
„Nein, der Grundton Deines Wesens war immer elegisch,“ meinte der Capitain. „Ich glaube, Du hast mich nie recht als ebenbürtig betrachtet, weil ich nicht so ideal-romantisch alle Höhen erfliegen und alle Tiefen durchdringen konnte und mochte, wie Ihr Künstlernaturen. Wir Seeleute sind nun einmal auf die Oberfläche angewiesen, und wenn auch hin und wieder der Sturm die Tiefe aufwühlt, uns macht das nichts; wir bleiben eben oben.“
„Ganz recht,“ sagte Reinhold düster. „Bleibe Du auf Deiner hellen sonnigen Oberfläche! Glaube mir, Hugo, es ist nur Schlamm in der Tiefe da unten, wo man nach Schätzen suchte, und es weht ein Eishauch auf den Höhen da oben, wo man nur goldenes Sonnenlicht geträumt – ich habe Beides durchgekostet.“
Hugo blickte forschend auf seinen Bruder, der in dem Sessel mehr lag als saß, das Haupt wie todtmüde zurückgelehnt, während die düstern Augen weit hinaus schweiften über die Gärten der Umgebung und zuletzt an dem noch matt erhellten Horizonte haften blieben, wo soeben das letzte Tageslicht verschwand.
„Höre Reinhold, Du gefällst mir ganz und gar nicht,“ brach er auf einmal los. „Ich komme nach Jahren, um meinen Bruder wiederzusehen, dessen Name alle Welt erfüllt, dem das Schicksal alles gegeben, was es einem Menschen nur geben kann; ich finde Dich auf der Höhe des Ruhmes und Glückes – und da glaubte ich Dich anders zu finden.“
„Und wie denn?“ fragte Reinhold, ohne den Kopf zu heben oder das Auge von dem dämmernden Abendhimmel abzuwenden.
„Ich weiß nicht,“ sagte der Capitän ernst, „aber das weiß ich, daß ich schon nach vierzehn Tagen dieses Leben nicht mehr aushalte, das Du jahrelang geführt hast. Dieses ruhelose Stürmen von Genuß zu Genuß ohne irgend eine Befriedigung, dieses fortwährende Schwanken zwischen wilder Aufregung und tödtlicher Ermattung sagt meiner Natur nicht zu. Du solltest der Deinigen Zügel anlegen.“
Reinhold machte eine halb ungeduldige Bewegung. „Thorheit! Ich bin längst daran gewöhnt, und dann – das verstehst Du nicht, Hugo.“
„Möglich! Wenigstens bedarf ich noch keiner Betäubung.“ Reinhold fuhr auf; ein Blick flammenden Zornes traf den Bruder, der es versuchte, ihm so tief in’s Innere zu sehen, und der ganz unbeirrt fortfuhr:
„Denn nur Betäubung ist es, nach der Du Tag für Tag ringst, die Du überall suchst, ohne sie je zu finden. Gieb dieses Leben auf – ich bitte Dich, Du richtest Dich damit geistig und körperlich zu Grunde; Du mußt ja schließlich unterliegen.“
„Seit wann ist der lebensfrohe Capitain der Ellida denn zum Moralprediger geworden?“ spottete Reinhold mit dem herbsten Ausdrucke, der ihm zu Gebote stand. „Wer hätte vor Zeiten gedacht, daß Du mir in dieser Weise den Text lesen würdest! Aber gieb Dir keine Mühe mit meiner Bekehrung, Hugo! Ich habe die frommen Jugendideen ein für alle Mal abgeschworen.“
Der Capitain schwieg. Das war wieder der Ton verletzenden Hohnes, mit dem sich Reinhold unnahbar zu machen wußte, sobald ähnliche Gegenstände berührt wurden; dieser Ton, der jeden Einfluß unmöglich machte, in jede Jugenderinnerung wie ein Mißlaut hineinklang und das einst so warme Verhältniß der Brüder fremd und erkältend berührte. Hugo versuchte auch heute nicht, das zu ändern; er wußte, daß es vergebens sein würde. Sich abwendend, ergriff er ein auf dem Tische liegendes Buch und begann darin zu blättern.
„Ich habe ja noch kein einziges Wort von Dir über meine Werke gehört,“ begann Reinhold nach einem minutenlangen Stillschweigen von Neuem. „Du