den mindesten Werth darauf zu legen schien; von der Hauptwand aber blickte das lebensgroße Bild Beatrice Biancona’s herab, von berühmter Künstlerhand in genialster Auffassung und wahrhaft sprechender Aehnlichkeit gemalt. Sie trug das idealische Costüm einer ihrer Hauptrollen in den Opern Rinaldo’s, mit deren hinreißender Darstellung sie diese Werke erst zur vollen Höhe ihrer Berühmtheit emporgehoben hatte, mit der sie selbst erst zu einer Künstlerin ersten Ranges hinaufgestiegen war. Es war dem Maler gelungen, den ganzen berückenden Zauber, den glühenden Reiz des Originals in diesem Portrait zu verkörpern. Die schöne Gestalt schien sich in unnachahmlich graciöser Stellung halb dem Flügel zuzuwenden, und die dunklen Augen blickten mit täuschender Lebenswahrheit herab auf den Mann, den sie nun so lange schon in unlösbaren Banden hielten, als wollten sie ihn selbst hier, im Heiligthume seines Wirkens und Schaffens, nicht allein lassen.
Reinhold saß am Flügel und phantasirte. Das Gemach war nicht erhellt, nur das voll hereinströmende Mondlicht schwebte über dem Meere von Tönen, das hier aufbrauste, als ob der Sturm in seinen Wogen wühle, sie bald anschwellend zu Bergeshöhe, bald wieder eine Abgrundtiefe entschleiernd. Jetzt quollen die Melodien empor, leidenschaftlich, glühend, berauschend, und dann auf einmal zuckte es jäh dazwischen, wie schneidende Dissonanzen, wie grelle Mißlaute. Das waren die Töne, mit denen Rinaldo schon seit Jahren im Reiche der Musik herrschte, mit denen er die Menge zur Bewunderung fortriß, vielleicht weil sie jenem dämonischen Elemente eine Sprache liehen, das in der Brust eines Jeden schlummert, und dessen sich wohl schon Jeder einmal, halb mit Grauen und halb mit süßem Schauer, bewußt geworden ist. Es lag in diesen Melodien auch etwas von dem wilden Stürmen von Genuß zu Genuß, von dem jähen Wechsel zwischen fieberischer Aufregung und tödtlicher Ermattung, von dem Ringen nach Betäubung, die, ewig gesucht, nie gefunden wurde, und doch klang immer und immer wieder etwas Mächtiges, Ewiges hindurch, das nichts gemein hatte mit jenem Elemente, das mit ihm kämpfte, sich darüber erhob, um schließlich doch wieder darin unterzugehen. –
Aus den Gärten stiegen die Orangendüfte empor und flutheten herein durch die weit geöffneten Balconthüren und wehten berauschend hin durch das Gemach. Klar, voll unendlicher Schönheit und unendlichen Friedens lag der Mondesglanz über der ewigen Stadt, und im bläulichen Nebeldufte verschwand die dämmernde Ferne. Träumerisch rauschte die Fontaine dort unten inmitten der Blüthenbäume, und das Licht, das in den fallenden Tropfen glänzte, erhellte jetzt auch in vollster Klarheit die ganze Reihe der Gemächer mit ihren Kunst- und Marmorschätzen; es beleuchtete das Bild in dem reich vergoldeten Rahmen, so daß die dämonisch schöne Gestalt da oben zu leben schien, und fiel auf das Antlitz des Mannes, dessen Stirn inmitten all dieser Schönheit und all dieses Friedens so schwer umdüstert blieb.
Freilich, es lagen Jahre zwischen jenen langen nordischen Winternächten, in denen der junge Künstler seine ersten Compositionen schuf, und dieser duftigen Mondnacht des Südens, in welcher der hochgefeierte Rinaldo das Hauptthema seiner Oper in unendlichen Variationen wiederholte, und wohl noch vieles Andere, was schwerer wog, als die Jahre allein. Und doch versank das Alles in dieser Stunde. Leise kam die Erinnerung gezogen und ließ längstvergangene Tage wieder aufleben, längstvergessene Bilder wieder hervortreten, das kleine Gartenhaus mit seinen alterthümlichen Möbeln und der dürftigen Weinranke über dem Fenster, das armselige Stückchen Gartenland mit den wenigen Bäumen und Gesträuchen und den hohen gefängnißartigen Mauern ringsum, das enge, düstere Haus mit dem so tief gehaßten Geschäftszimmer. Matte farblose Bilder – und doch wollten sie nicht weichen, denn über ihnen schwebten lächelnd ein paar große tiefblaue Kinderaugen, die dem Vater nur dort geleuchtet hatten, und die er hier, in dieser Umgebung voll Poesie und Schönheit, vergebens suchte. Er hatte sie so oft gesehen in dem Antlitze seines Kindes, und dann auch einmal noch – anderswo. Die Erinnerung daran war freilich halb verweht, fast vergessen, hatten sie sich ihm doch nur auf einen Augenblick gezeigt, um sich dann wieder zu verschleiern, wie sie es jahrelang gethan, aber diese Augen waren es doch, die ihm allein vorschwebten, als sich jetzt aus dem Wogen und Wallen der Töne eine zauberisch süße Melodie emporrang. Es sprach ein unendliches Sehnen daraus, ein Weh, das die Lippen nicht aussprechen wollten, und es schlug die Brücke hinüber zu der fernen, fernen Vergangenheit. Jetzt hatte der Genius die Fesseln gesprengt, die ihn damals drückten und einengten; jetzt stand er oben auf der einst erträumten Höhe. Was Leben und Glück, was Ruhm und Liebe nur zu geben vermochten, das war ihm zu Theil geworden, und jetzt – wie ein Sturm brauste es wieder empor aus den Tasten, wild, leidenschaftlich, bacchantisch, und daraus hervor klagte immer wieder jene Melodie mit ihrem ergreifenden Weh, mit ihrem ruhelosen, nie gestillten Sehnen.
9
„Ich fürchte, unser Signor Capitano hält es nicht lange aus in Mirando. Es ist gefährlich, daß er hier fortwährend seine See vor Augen hat; er blickt mit einer solchen Sehnsucht darauf hin, als wolle er uns je eher je lieber davonsegeln.“
Mit diesen Worten wandte sich Marchese Tortoni an seinen Gast, der während der letzten Viertelstunde fast gar keinen Antheil am Gespräche genommen hatte und den der junge Wirth soeben auf einem verstohlenen Gähnen ertappte.
„Nicht doch!“ verteidigte sich Hugo. „Ich fühle mich nur so grenzenlos unbedeutend und unwissend bei all’ diesen idealen Kunstgesprächen, bin so tief durchdrungen von dem Gefühle dieser meiner Unwissenheit, daß ich mir soeben in aller Eile das ganze Commando während eines Sturmes wiederholte, um mir die tröstliche Ueberzeugung zu verschaffen, daß ich doch auch noch irgend etwas verstehe.“
„Ausrede!“ rief der Marchese. „Sie vermissen das weibliche Element hier, das Sie so sehr verehren und das Sie nun einmal nicht entbehren zu können scheinen. Leider kann mein Mirando Ihnen diesen Reiz noch nicht bieten. Sie wissen, ich bin unvermählt und habe mich bisher noch nicht entschließen können, meine Freiheit zu opfern.“
„Noch nicht entschließen können, Ihre Freiheit zu opfern,“ parodirte Hugo, „mein Gott, das klingt ja ganz entsetzlich. Wenn Sie wirklich die höchste Stufenleiter irdischen Glückes noch nicht erstiegen haben, wie die eigentliche Lesart lautet –“
Glauben Sie ihm nicht, Cesario!“ fiel Reinhold ein. „Mein Bruder ist mit all’ seiner Ritterlichkeit und Galanterie doch im Grunde eine Eisnatur, die so leicht nichts erwärmt. Er tändelt mit Allen – Empfindung hat er für Keine; der jedesmalige Roman, den er Liebe, gelegentlich auch wohl Leidenschaft zu nennen beliebt, dauert gerade so lange, wie er am Lande ist, und verweht mit der ersten frischen Brise, die seine ‚Ellida‘ wieder heraustreibt in’s Meer. In seinem Herzen hat sich noch nie etwas geregt.“
„Abscheuliche Charakteristik!“ rief Hugo, seine Cigarre fortwerfend. „Ich protestire feierlichst.“
„Willst Du etwa behaupten, sie sei ungerecht?“
Der Capitain lachte und wandte sich an Tortoni. „Ich versichere Ihnen, Signor Marchese, daß ich auch unverbrüchlich treu sein kann – meiner schönen blauen Wellenbraut da draußen“ – er wies nach dem Meere hinüber –, „der habe ich mich nun einmal angelobt mit Herz und Hand. Sie allein versteht es, mich immer wieder von Neuem zu fesseln und festzuhalten, und wenn sie mir auch hin und wieder erlaubt, in ein Paar schöne Augen zu blicken, eine ernstliche Untreue duldet sie nicht.“
„Bis Du einmal doch in ein Paar Augen blickst, die Dich lehren, daß Du auch nicht gefeit bist gegen das allgemeine Loos der Sterblichen,“ sagte Reinhold, halb scherzend, halb mit einer Bitterkeit, die nur dem Bruder allein verständlich war. „Es giebt solche Augen.“
„O ja, es giebt solche Augen,“ wiederholte Hugo mit einem beinahe träumerischen Ausdrucke in das Meer hinausblickend.
„Wie, Signor, der Ton klang ja äußerst bedenklich,“ neckte der Marchese. „Sind Sie vielleicht doch schon den bewußten Augen begegnet?“
„Ich?“ der Capitain hatte den augenblicklichen Ernst schon wieder abgeschüttelt und war ganz wieder der alte Uebermuth. „Thorheit! Ich hoffe noch ziemlich lange dem ‚allgemeinen Loose der Sterblichen‘ zu trotzen. Sie hören es ja.“
„Schade,