– Er kehrte also auch nach N. zurück! –
Benedict hatte in der That den Felspfad eingeschlagen, den vor ihm auch Ottfried gegangen war. Er freilich kam auf diesem Wege schneller vorwärts, als die verwöhnten und unsicheren Füße des jungen Grafen es vermochten, schon nach wenigen Minuten lag die Wallfahrtskirche hinter ihm.
– – Die hohen Gebirgshäupter haben sich längst wieder in ihr Nebelgewand gehüllt, nur bisweilen schimmern die weißen Schneegipfel hindurch, um sich gleich darauf wieder zu verschleiern. Aus den Schluchten heben sich die Wolken empor, und ziehen hin und her, und lagern sich auf den Pfad des Wanderers, als wollten sie ihn zurückscheuchen. …
Ueber der „wilden Klamm“ zieht es sich drohend zusammen, und das düstere Sturmgewölk, das langsam am Horizonte emporsteigt, hüllt die schon dämmernde Schlucht in noch tiefere Schatten. Als wolle der ganze Himmel herabstürzen in jenen Schlund, so schwer und düster hängt es über jenen Klippen, und unten in der Tiefe kocht und zischt das Gewässer und rauscht triumphirend auf – das ersehnte Opfer ist ihm ja nun endlich geworden! Zerbrochen hängen die Trümmer des Geländers herab von der Brücke und die Wellen schäumen hinweg über ein jugendliches Haupt, das blutig, zerschmettert im Sturze, in ihrem kalten Schooße sein Grab gefunden!
12
Die Nachricht von dem jähen und schrecklichen Tode des jungen Grafen Rhaneck machte ungeheueres Aufsehen in der ganzen Umgegend. Der einzige Sohn! der Majoratserbe! der letzte Sproß des alten berühmten Geschlechts, auf dem die ganze Hoffnung der Familie ruhte! Was dem Hause Rhaneck nur irgendwie nahe stand, wurde mitbetroffen von dem furchtbaren Geschick, das so unerwartet die beiden Eltern heimgesucht hatte. Die Gräfin, so unbedeutend und unempfindlich für alles Tiefere sie auch sonst sein mochte, hier war sie nur Mutter, und der Verlust des einzigen Kindes raubte ihr fast die Besinnung, der Graf war unmittelbar nach Empfang der Unglücksbotschaft in’s Gebirge zurückgereist und die Verstörung, die im ganzen Schlosse herrschte, steigerte sich womöglich noch am folgenden Tage, wo er mit der Leiche seines Sohnes wieder eintraf. Selbst die Dienerschaft, obgleich sie sonst gerade nicht mit besonderer Liebe an dem jungen Herrn hing, dessen hochmüthiges, verletzendes Wesen sie so oft hatte empfinden müssen, trug mit an dem Schmerze der Herrschaft. Der jähe Tod hatte all die Fehler des Lebenden verwischt und ausgelöscht, man vernahm nur Stimmen des Entsetzens und des Mitleids.
„Ich hab’s ja gesagt!“ jammerte Florian, der alte Reitknecht. „Ich hab’s gewußt, daß es ein Unglück geben würde, schon damals, als wir im Frühjahr hierherkamen und der junge Herr den ersten Ritt in die Berge machte, bei dem der Almansor ihn abwarf. Almansor scheut sonst nie und gehorcht auf’s Wort, aber auf der Brücke stand er mit einem Male wie festgemauert und zitterte am ganzen Leibe, während der Schweiß ihm nur so niederfloß, und kein Sporn und keine Peitsche brachte ihn auch nur einen Schritt vorwärts. Solch ein Thier sieht und weiß oft mehr als Unsereiner! Er scheute immer nur vor der Schlucht drüben, als wenn er den Herrn damals gesehen hätte, so wie sie ihn heute brachten!“
„Der Gräfin wird die Geschichte noch das Leben kosten!“ meinte einer der Lakaien. „Die Aerzte und Kammerfrauen wissen nicht mehr, was sie anfangen sollen, sie fällt von einer Ohnmacht in die andere.“
Der gleichfalls schon bejahrte Kammerdiener des Grafen schüttelte ernst den Kopf! „Ich will denn doch lieber die Krämpfe und Ohnmachten der Gnädigen mit ansehen, als das Gesicht unseres Grafen, wie der Pfarrer von N., der die Nachricht brachte, aus seiner Thür trat. Und vollends heute, als er aus dem Gebirge zurückkam – Jesus Maria! Wie sah der Herr aus! Als hätte er einen Blick in die leibhaftige Hölle gethan. Ich wagte nicht, ihm nahe zu kommen.“
„Bei unserem Prälaten ist die Sache auch tiefer gegangen, als wir’s alle für möglich hielten,“ mischte sich jetzt ein Diener des Abtes ein, der seinen Herrn nach Rhaneck begleitet hatte, und nun des Befehls zur Abfahrt harrte. „Der Hochwürdigste hat sonst ein Gesicht wie aus Eisen gegossen. Man sollte meinen, es könnte sich überhaupt nichts darin rühren, und es rührte sich auch wirklich nichts, selbst als der Pfarrer Clemens zu ihm kam – er saß grade mit den übrigen Herren Paters bei Tische – und gleich beim Eintritt meldete, er brächte eine Unglücksbotschaft. Aber als es nun hieß ‚Graf Ottfried‘, da fuhr er doch vom Stuhle auf, weiß wie die Wand, und schrie dem Pfarrer zu: ‚Sie lügen! Das ist nicht möglich! Das kann nicht sein!‘ Heiliger Benedict! In meinem ganzen Leben vergesse ich den Ton nicht.“
Während die Dienerschaft so ihrer Theilnahme Luft machte, herrschte in den oberen Räumen des Schlosses eine unheimliche Stille. Die Gräfin war in ihren Gemächern, von all der äußeren Hülfe umgeben, die ihr Zustand nothwendig machte, der Graf befand sich in seinem Wohnzimmer allein mit dem Bruder, der sofort an seine Seite geeilt war.
Auch der Prälat schien von dem furchtbaren Ereigniß härter getroffen, als man es bei seinem stählernen Charakter hätte voraussetzen sollen, er raffte offenbar all seine Kraft und Energie zusammen, um eine Fassung zu erkünsteln, die er in Wirklichkeit nicht besaß, aber er hielt sich wenigstens noch aufrecht, während der Graf wie gebrochen in seinem Armsessel lag.
„Ermanne Dich, Ottfried! Du darfst Dich von dem Schlage nicht so ganz niederwerfen lassen, Du mußt Besinnung behalten!“
Rhaneck ließ die Hand sinken, mit welcher er das Gesicht verdeckte.
„Warum ließ ich mich auch überreden, ihn allein zurückzulassen! Er wollte durchaus noch bleiben, und doch widerstrebte er anfangs der ganzen Fahrt in’s Gebirge. Ich mußte schließlich befehlen und zwang ihn dazu – zwang ihn zu seinem Verderben!“
Der Prälat machte eine ungeduldige Bewegung. „Du quälst Dich mit selbstgeschaffenen Schreckbildern! Konntest Du ahnen, was bevorstand? Nur was wir wollten, fällt auf uns mit der Last seiner Verantwortung, nicht was der tückische Zufall aus unseren Plänen und Absichten macht.“
Es war eine eigenthümliche Heftigkeit in diesen Worten, fast als wolle der Sprechende damit eine Last von der eignen Seele wälzen. Der Graf sprang plötzlich auf.
„Laß mich! Den Verlust meines Kindes würde ich ertragen, aber – Du ahnst nicht, was es ist, das mich bei diesem Unglück dem Wahnsinn nahe bringt!“
Der Prälat sah ihn befremdet an, er verstand die Worte nicht, aber er begriff die Nothwendigkeit, den Bruder von solchen Gedanken abzulenken.
„Hast Du Benedict gesprochen?“ fragte er. „Wie ich höre, war er ja der Erste, der den Gestürzten entdeckte und die Bewohner von N. zur Hülfe aufrief.“
Es vergingen einige Secunden, ohne daß der Graf antwortete; endlich wandte er ihm das Antlitz wieder zu, in dem die tiefste Seelenqual zuckte.
„Ich sah ihn nur einige Minuten – er war todtenbleich, verstört, und wich mir scheu aus, wie ein Verbrecher – vergebens wartete ich in Todesangst auf einen Blick, auf ein Wort der Theilnahme aus seinem Munde, er blieb stumm und hob das Auge nicht vom Boden. Warum konnte es dem meinen nicht begegnen?“
„Du träumst!“ fiel ihm der Prälat erblassend in’s Wort. „Was konnte Benedict mit Deinem Sohne haben? Sie kannten sich ja kaum!“
„Sie haßten sich!“ sagte Rhaneck dumpf, „schon seit Monden. Schon einmal habe ich Ottfried die geladene Büchse und Bruno das Messer aus der Hand gerissen. Dort freilich brauchte es keine Waffe zwischen ihnen, Bruno ist der Stärkere – o mein Gott!“
Er hielt inne, überwältigt von der Vorstellung, auch der Bruder war bleich geworden, als habe sich plötzlich ein Abgrund vor ihm aufgethan.
„Unmöglich! Das wäre noch entsetzlicher!“
„Noch entsetzlicher? Als was?“
„Nichts, nichts!“ Dem Prälaten wollte die Stimme doch nicht mehr gehorchen, wenn er auch die Züge noch beherrschte. „Ich muß Licht in die Sache bringen! Benedict trifft heute wieder im Stifte ein, ich finde ihn vermuthlich schon bei meiner Rückkehr. Mir,