ihn!“ bat er tonlos, „und schone mich mit der Enthüllung. Ich stehe an der Grenze meiner Kraft.“
Erschüttert legte der Prälat die Hand auf seine Schulter. „Was in dieser unglückseligen Sache jetzt noch zu tragen ist, Ottfried, das will ich Dir abnehmen, verlaß Dich darauf. Und jetzt suche Dich zu fassen und geh zur Gräfin hinüber. Was auch zwischen Euch stand und Euch einander entfremdet hat jahrelang, heute ist Dein Platz an ihrer Seite, Du darfst sie nicht so ganz allein lassen.“
Halb willenlos folgte Rhaneck, er stand auf und ging zu seiner Gemahlin, wenige Minuten darauf kehrte auch der Prälat nach Hause zurück. –
Es war Abend geworden, auch im Stifte herrschte jene Unruhe, welche ein ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen pflegt. Der Abt stand dem Rhaneck’schen Hause zu nahe, als daß das Unglück desselben nicht auch in seiner Umgebung Aufregung und Theilnahme hätte wachrufen sollen. Schon gestern hatte man den Pfarrer Clemens, der die Nachricht brachte, umringt und mit Fragen bestürmt, er konnte freilich nicht allzuviel berichten und war auch nach wenigen Stunden in Begleitung des Grafen wieder nach N. zurückgekehrt. Heute aber traf Benedict ein, und nun galt es seiner Verschlossenheit alle die Details zu entreißen, die er am besten geben konnte.
Aber die Herren Paters irrten sämmtlich, wenn sie von dieser Seite auf irgend eine Mittheilung hofften. Der junge Priester hatte kaum den Fuß auf die Schwelle des Klosters gesetzt, als er auch schon den Prälaten zu sprechen verlangte, der sich noch in Rhaneck befand. Vergebens war alles Drängen und Forschen, stumm und finster wich er jeder Frage aus, erklärte, in den Gemächern des Abtes auf dessen Rückkehr warten zu wollen, und zog sich, ohne irgend Jemandem Rede zu stehen, auch wirklich dahin zurück. Gleich darauf fuhr der Prälat vor, auch seine erste Frage war nach Benedict, zu dem er sich sofort begab. Seine Gnaden hatten darauf, wie der Kammerdiener erzählte, Befehl gegeben, sie unter keiner Bedingung zu stören, eigenhändig hatte er die beiden Thüren des Vorgemachs abgeschlossen, das zum Arbeitszimmer führte, und befand sich nun bereits über eine Stunde dort allein mit dem jungen Mönche.
Die von der Decke niederhängende, reichvergoldete Lampe warf ihr volles Licht auf die Beiden. Das Gesicht des Prälaten war wieder „wie aus Eisen gegossen“, aber es lag eine fahle Blässe darauf. Dennoch beherrschte er Blick und Stimme mit der alten Energie; erschüttert konnte diese eherne Natur wohl werden; sie zu brechen, dazu gehörten noch andere Schläge, als die, welche sie bis jetzt getroffen.
Ihm gegenüber stand Benedict, auch sein Antlitz war todtenbleich, aber es hatte doch jetzt wieder einen Schein von Ruhe, und die Brust athmete freier, als sei die Felsenlast, welche sie bisher gedrückt, von ihr gesunken. Unbeweglich, die tiefen dunklen Augen auf seinen Abt gerichtet, wartete er auf dessen Spruch.
„Ihre Beichte ist vollständig, Pater Benedict, Sie gaben mehr, als ich verlangte! Jetzt gilt es, das Beichtgeheimniß zu wahren. Hat außer mir Niemand die Wahrheit erfahren oder eine Andeutung darüber empfangen? Auch Pfarrer Clemens nicht?“
„Niemand!“
„Sie thaten Recht, sich mir allein anzuvertrauen. Was auch geschehen ist, die Ehre des Klosters muß gewahrt werden, um jeden Preis. Sie werden auch fernerhin schweigen gegen Jeden.“
Der junge Priester wich mit dem Ausdruck des Entsetzens zurück. „Schweigen? Ich soll die Last, die ich eben von mir gewälzt, wieder aufnehmen und mit mir herumtragen mein Lebenlang? Niemals!“
„Sie werden thun, was die Nothwendigkeit gebietet!“ sagte der Prälat unbewegt. „Mein Neffe“ – hier wurde ihm doch die Stimme treulos, sie bebte hörbar und die Hand, die er auf die Lehne des Sessels stützte, zitterte krampfhaft – „mein Neffe ist nun einmal das Opfer geworden, und keine Reue und Buße hebt ihn wieder aus seinem Grabe ober giebt ihn seinen Eltern zurück. Jetzt gilt es nur noch unser Stift zu retten vor der Schande, daß die weltliche Gerechtigkeit hier eindringt und den Schuldigen aus den geweihten Mauern reißt, um ihn den Gerichten zu überantworten. Solch ein Schauspiel ist in jetziger Zeit gleichbedeutend mit unserer Vernichtung; ich werde den Orden vor diesem Schlage zu schützen wissen, sobald ich nur Ihres Schweigens gewiß bin.“
„Hochwürdigster!“ Benedict richtete sich leidenschaftlich auf, „wenn Sie es vermögen, das auf Ihr Gewissen zu nehmen, ich kann es nicht. Fordern Sie von mir, was menschlich ist, aber nicht diese ewige Lüge!“
„Ich fordere von Ihnen, was jeder Obere von einem Mönche heischen darf, unbedingten Gehorsam. Finden Sie sich mit Ihrem Gewissen ab, wie Sie können, wir haben hier höhere Rücksichten zu nehmen. Als Ihr Abt befehle ich Ihnen zu schweigen, Sie werden gehorchen, Benedict!“
„Ich werde nicht! Treiben Sie mich nicht auf’s Aeußerste, es giebt eine Grenze auch für meine Gelübde!“
Der Prälat blickte ihn finster und drohend an, aber die dunkelglühenden Augen des jungen Priesters wichen den seinigen auch nicht um eines Haares Breite; und auch auf dessen Stirn stand die Falte, die sich so tief in die seinige grub, der schreckensvolle Zug, der den Beiden eine Aehnlichkeit gab, als fließe das gleiche Blut in ihren Adern. Der stolze Abt fühlte, daß er hier einem Gleichartigen gegenüberstand, den er mit dem bloßen Gebot seines Willens niemals beugte.
„Und soll es vielleicht das Ende dieser Gelübde sein,“ fragte er, dicht an ihn herantretend, „daß Du mit Deinem unseligen Geheimniß zugleich das ganze Kloster preisgiebst und in’s Verderben reißest? Du hassest es, ich weiß es längst, und doch verdankst Du ihm Alles, was Du geworden. Es hob den Knaben empor aus dem Staube der Armuth und Niedrigkeit und machte ihn zum Herrn über seines Gleichen, es öffnete dem Jüngling die Schätze des Wissens, die ihm sonst verschlossen geblieben wären, und bot dem Manne eine geehrte sichere Heimath. Willst Du es zum Danke dafür entehren? Willst Du Deine geistige Mutter beschimpfen und sie dem Hohne ihrer Feinde preisgeben? Achte wenigstens, was Du nicht mehr lieben kannst, was allein die Kraft in Dir erzog und nährte, die Du jetzt in offener Empörung gegen uns wendest. Ich sage Dir, Knabe, Du wirst den Leu nicht erschüttern, an dem schon Stärkere als Du ihre Macht erprobten, und der durch Jahrhunderte allen Stürmen widerstanden hat, Du ladest nur den Fluch der Undankbarkeit auf Dich selber – laß Deine Hand davon!“
Benedict stand stumm mit heftig arbeitender Brust vor ihm, der Prälat hatte es verstanden, die rechte Seite zu berühren, er sah den trotzigen Widerstand erlahmen und zögerte nicht, seinen beginnenden Sieg weiter zu verfolgen.
„Mein Bruder ahnt, was geschehen ist!“ sagte er, die Stimme senkend. „In seinem und meinem Namen erkläre ich Dir, daß wir auf die Sühne für das Blut Ottfried’s verzichten. Außer uns aber hat Niemand auf der Welt ein Recht, sie zu fordern; wenn wir die That begraben wollen, so ist sie begraben für alle Zeit.“
Benedict senkte das Haupt. „Wenn auch Graf Rhaneck mein Schweigen fordert – sei es!“ entgegnete er dumpf.
Der Prälat wandte sich rasch zum Tische und legte die Hand auf das dort befindliche silberne Crucifix. „Du gelobst es mir?“
Der junge Priester trat finster zurück. „Nein! Nur keinen neuen Schwur, ich habe genug an dem einen, der mich willenlos in Eure Hände gab. Ich werde schweigen, so lange ich kann, aber sorgen Sie dafür, daß man mich nicht zum Zeugniß aufruft, denn beim ewigen Gott, geschieht es, so stehe ich für nichts mehr ein!“
„Ich werde es zu verhindern wissen! Gehen Sie jetzt, Pater Benedict, und kehren Sie morgen mit dem Frühesten nach N. zurück. Dort bleiben Sie vorläufig, bis ich weiter über Sie bestimme. Noch Eins! Wenn es Ihr Gewissen beruhigt, ich werde Ihnen die Absolution nicht verweigern.“
Ein Ausdruck tiefster Verachtung zuckte durch das Antlitz Benedict’s. „Wenn ich überhaupt noch an die Wirkung derselben glaubte – daß sie mir in dieser Stunde geboten wird, genügte, um mir den letzten Rest von Achtung davor zu nehmen. Ich bedarf ihrer nicht!“
Der Prälat kreuzte die Arme und blickte ihn fest an. „Sie glauben nicht mehr an die Lehren unserer Kirche, Sie sinnen auf Abfall! Verantworten Sie sich nicht,“ fuhr er mit vernichtender Ruhe fort, als der junge Priester ihn heftig unterbrechen wollte, „ich weiß, wohin der Weg führt, den Sie eingeschlagen haben, auch wenn Sie es selbst noch nicht