Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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Grund und Boden ist!“

      „Mein Fräulein,“ sagte der Landrichter sehr höflich, aber sehr bestimmt, „ich begreife, daß Sie in der Aufregung und dem Schreck des Augenblickes Ihre Worte nicht allzu genau wägen. Das Gesetz muß seinen Lauf haben, und ich habe für alle Fälle zwei meiner Leute draußen, ich hoffe nicht in den Fall zu kommen, sie herbeirufen zu müssen.“

      Franziska zuckte zornig die Achseln. „Es ist ihr Glück, wenn sie nicht in den Fall kommen, versichere ich Ihnen. Herr Günther wirft sie alle beide zum Fenster hinaus, wenn es ihm sonst beliebt, und Sie, Herr Landrichter,“ sie blickte sehr verächtlich auf den kleinen schwächlichen Beamten, „Sie nehme ich nöthigenfalls auf mich!“

      Der also Bedrohte wich zurück und warf einen Blick auf die Thür. Er kannte das sehr entschiedene Wesen der Dame schon von früheren Begegnungen her, und zweifelte nicht, daß sie im Stande sei, ihre Drohung im Nothfall auch auszuführen. Er hatte bei anderen Verhaftungen schon genug Scenen des Schreckens und Entsetzens von Seiten der Angehörigen erlebt, aber solch eine rücksichtslose Empörung gegen die gesetzliche Gewalt war ihm denn doch nicht vorgekommen. Zum Glück kam ihm Günther zu Hülfe.

      „Ruhig, ich bitte Sie!“ sagte er gelassen, aber fast befehlend, indem er die Hand auf den Arm seiner energischen Vertheidigerin legte. „Ich wiederhole Ihnen, es ist ein Irrthum, der sich aufklären muß. Der Thäter muß über kurz oder lang gefunden werden, ich nehme Ihren ganzen Amtseifer dafür in Anspruch, mein Herr, denn geschieht es nicht, so würde mit dem Verdachte auch ein Flecken auf meiner Ehre haften bleiben, der nie auszulöschen wäre, selbst wenn man sich gezwungen sieht, mich freizusprechen.“

      Es lag doch eine tiefe Blässe auf dem Gesicht des Mannes bei diesen Worten, sie verrieth, wie furchtbar er trotz alledem erregt war. Dem Beamten imponirte diese Haltung doch.

      „Von unserer Seite wird selbstverständlich Alles geschehen, was im Bereiche der Möglichkeit liegt,“ entgegnete er, „und nun –“

      „Sie werden mir doch erlauben, von meiner Schwester und meiner Hausgenossin Abschied zu nehmen?“ unterbrach ihn Bernhard.

      Der Landrichter verneigte sich zustimmend und zog sich bis an die Thür zurück, aber ohne seinen Gefangenen aus den Augen zu lassen; dieser wandte sich um.

      „Komm zu mir, Lucie!“

      Lucie stand noch immer auf der Schwelle des Nebenzimmers. Es war in der That eine furchtbare Veränderung mit ihr vorgegangen und es schien nicht blos die letzte Viertelstunde zu sein, die diese Veränderung hervorgebracht. Das liebliche, einst so rosige Antlitz war bleich wie der Tod, die Lippen krampfhaft geschlossen, als müßten sie gewaltsam eine innere Qual verbergen, die sonst so weichen Züge schmerzvoll gespannt, und in den blauen Augen stand nichts mehr von Kinderglück und Kinderfrohsinn zu lesen. Franziska hatte Recht, es lag eine leichenhafte Starrheit in diesem Blick und dem ganzen Wesen des jungen Mädchens.

      Erst der Ruf des Bruders schien sie wieder zu sich zu bringen, sie flog auf ihn zu und legte den Kopf an seine Schulter, aber die Thränen, die sonst immer so leicht und reichlich flossen, kamen diesmal nicht, das Auge blieb trocken, wie es die ganze Zeit über gewesen.

      Bernhard beugte sich beruhigend zu ihr nieder. „Aengstige Dich nicht, Lucie! Ich hoffe bald zu Euch zurückzukehren, bis dahin bleibst Du in der Obhut von Fräulein Reich, ich kann Dich keinen besseren Händen anvertrauen. Lebe wohl.“

      Lucie hob das Auge zu ihm empor, aber es war ein Blick so grenzenloser Angst, so hoffnungsloser Verzweiflung, daß seine Stirn sich plötzlich umdüsterte.

      „Kind!“ fragte er vorwurfsvoll. „Hältst Du Deinen Bruder für einen Mörder?“

      Das junge Mädchen zuckte zusammen bei diesem Worte, in der nächsten Secunde aber schlang sie leidenschaftlich beide Arme um seinen Hals.

      „Nein, mein Bernhard! Dich nicht!“

      Es war ein herzzereißender Ausdruck in diesem Tone, der Bruder verstand ihn nicht, er sah darin nur die Angst um ihn selber; aber Franziska ahnte mit dem Instinct der Frau, der geängstigten Frau, die jetzt für ein fremdes Leben zitterte, die wahre Bedeutung. Sie wollte auffahren, wollte eine heftige Frage an Lucie richten, zwang sich aber mit einem Blick auf den Beamten zum Schweigen.

      Günther ließ mit anscheinender Ruhe seine Schwester aus den Armen und wandte sich zu ihr, aber jetzt senkte er die Stimme so, daß nur sie allein ihn verstehen konnte.

      „Ich muß nun auch Ihnen Lebewohl sagen, hoffentlich nicht auf lange. Es war sehr thöricht und nutzlos, daß Sie es wagten, sich dem Beamten zu widersetzen, sehr! Aber es geschah um meinetwillen – ich danke Ihnen, Franziska!“

      Es war das erste Mal, daß er den Namen wieder aussprach seit jener Unterredung zwischen ihnen, unwillkürlich senkte Franziska das Auge. Das energische trotzige Fräulein, das eben noch bereit war, es mit allen Gerichten der Welt aufzunehmen, zitterte leise, als seine Hand die ihrige faßte, noch ein fester verständnißvoller Druck, dann ließ er sie wieder sinken.

      „Und jetzt keine Abschiedsscenen weiter! Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Landrichter!“ –

      Die beiden Frauen blieben allein zurück. Franziska eilte an’s Fenster und sah Günther mit seinen Begleitern einsteigen, Lucie verharrte unbeweglich auf ihrem Platze, sie regte sich nicht. Erst als der Wagen den Hof verlassen hatte und sein Rollen ferner und ferner verhallte, wandte sich die Erstere wieder um, ein paar große Thränen standen in ihren Augen, aber es war jetzt keine Zeit zum Weinen. Sie näherte sich rasch dem jungen Mädchen, zog sie an sich und blickte ihr fest in’s Gesicht.

      „Und nun stehen Sie mir einmal Rede, Lucie! Vorhin in Gegenwart des Richters konnte ich Sie nicht fragen, es hätte den albernen Verdacht vielleicht bestärken können, jetzt aber sind wir allein und jetzt frage ich Sie, was meinten Sie mit Ihrem angstvollen ‚Dich nicht, Bernhard‘? Daß Sie ihn nicht für den Mörder halten konnten, weiß ich, Sie aber wissen mehr, Sie meinten irgend einen Anderen, ich hörte es an Ihrem Tone!“

      Mit einer heftigen Bewegung machte sich Lucie frei, aber sie schwieg, die Lippen preßten sich nur fester zusammen und das Antlitz nahm wieder jenen Ausdruck an, dem man es ansah, daß sich ihm weder mit Güte noch mit Gewalt etwas abzwingen ließ. Franziska wartete vergebens auf einen Laut aus ihrem Munde.

      „Kind, jetzt fange ich wirklich an, mich vor Ihnen zu fürchten!“ sagte sie ernst, „denn menschlich und natürlich ist dies Wesen nicht. Sie hören, daß man Ihren Bruder der That beschuldigt und ihn deswegen verhaftet, Sie wissen, daß seine Ehre, sein Leben auf dem Spiele steht, und schweigen, während ein Wort von Ihnen vielleicht Licht in die Sache bringen und ihn frei machen kann! Lucie, um Gotteswillen, was können Sie denn noch zu schonen oder zu verschweigen haben nach dieser letzten Viertelstunde?“

      Es erfolgte auch jetzt keine Antwort, aber die letzte Mahnung schien doch tiefer gegangen zu sein. „Bernhard’s Leben?“ fragte Lucie leise mit halb erstickter Stimme, „Sie glauben, daß sein Leben in Gefahr ist?“

      „Ich meine, daß die Gerichte gegen einen Mann von seiner Stellung nicht so vorgehen würden, wenn sie nicht dringende Verdachtsgründe hätten,“ Franziska war jetzt plötzlich ganz auf Seiten des vorhin so geschmähten Gerichtes, „und wenn sie verhaften, können sie auch verurtheilen. Bei einer Anklage auf Mord handelt es sich immer um Leben und Tod.“

      Das junge Mädchen bebte wieder zusammen, wie vorhin bei dem Worte des Bruders. „Bernhard wird nicht verurtheilt werden!“ sagte sie tonlos, aber fest.

      Franziska fuhr vom Stuhle auf. „Nicht? Und das wissen Sie mit solcher Bestimmtheit? Also können Sie ihn retten, Lucie, in’s Himmels Namen, sagen Sie mir nur das eine Wort, können Sie es?“

      „Ich –“ hoffe es, wollte sie antworten, aber das Wort erstarb ihr auf den Lippen, hoffen konnte sie diese Rettung nicht. „Ich – will es versuchen!“

      „Gott sei Dank!“ rief Franziska aufathmend. „Endlich ist das Eis gebrochen! Und nun vertrauen Sie sich mir an, Kind, was haben Sie vor?“

      „Morgen!