Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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nach ihrem Zimmer schritt.

      Franziska folgte ihr zwar, aber sie mußte bald genug einsehen, daß heute wirklich nichts mehr von dem jungen Mädchen zu erreichen war, sie gab endlich die nutzlosen Versuche auf.

      Von Schlaf war bei den beiden Frauen in dieser Nacht nicht viel die Rede. Lucie hatte sich angekleidet niedergelegt, aber ihre Gefährtin sah nur zu gut, daß sie das Auge auch nicht einen Moment lang schloß. Franziska selbst ließ sich erst gegen Morgen von einem leichten Schlummer überraschen, zu ihrem Schaden, denn als sie erwachte, war ihre junge Pflegebefohlene von ihrer Seite verschwunden und im ganzen Zimmer nicht zu entdecken.

      Erschreckt sprang die Erzieherin auf und eilte hinaus, aber dort traf sie bereits das ganze Haus in Aufruhr: die Nachricht von Günther’s Verhaftung, die gestern Abend noch verborgen geblieben, war heute in aller Frühe bereits durch den Briefboten aus E. nach Dobra gebracht worden und hatte dort leicht begreifliches Entsetzen erregt; Franziska hatte Mühe, sich in dem allgemeinen Durcheinander Luft zu einer Frage nach Lucie zu schaffen.

      „Fräulein Lucie ist schon vor einer Stunde abgereist!“ erklärte das Mädchen, welches sie Beide bediente, „sie läßt aber das Fräulein bitten, sich nicht zu ängstigen, sie würde vor Abend wieder zurück sein.“

      Franziska stand da wie vom Donner gerührt. „Abgereist! Wohin?“

      Das Mädchen zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht! Wahrscheinlich weiß es nur der alte Joseph, der das Fräulein führt; sie hat Niemandem ein Wort davon gesagt.“

      „Nun, das ist ja eine schöne Geschichte! Herr Günther vertraut sie ausdrücklich meinen Händen an, und jetzt geht sie mir heimlich auf und davon! Wo kann sie hin sein? Natürlich nur nach E. zum Bruder, um ihm mitzutheilen, was sie mir verschwieg. Und man wird sie nicht einmal zu ihm lassen! Konnte das thörichte Kind mich nicht mitnehmen? ich hätte mir den Weg in’s Gefängniß gebahnt, und wenn zwölf Landrichter und vierundzwanzig Gerichtsdiener davor Posto gefaßt hätten, um mir den Eingang zu wehren!“

      Franziska wurde in ihrem zum Glück nicht laut geführten Selbstgespräch unterbrochen, denn von allen Seiten stürmten jetzt Fragen, Erkundigungen, Bitten auf sie ein. Die Beamten kamen mit schreckensbleichen Gesichtern, die Dienerschaft lief verstört und rathlos durcheinander, der ganze Haushalt schien aus den Fugen gegangen, da galt es energisch einzugreifen und den sämmtlichen Untergebenen zu zeigen, daß wenigstens noch eine leitende Hand da war, die Ordnung in das so plötzlich entstandene Chaos zu bringen wußte.

      „Das Fräulein steht ihren Mann!“ sagte der unter Günther’s Leitung sehr tüchtige, aber nichts weniger als selbstständige Oberinspector, als er nach Verlauf einer Stunde von ihr zurück kam. „Die versteht sich auf’s Commandiren fast so gut, wie der Herr selber. Gott sei Dank, daß wir wenigstens noch Einen haben, der den Kopf nicht verliert. Wenn sie nicht wäre, ich glaube, es ginge jetzt in Dobra Alles drunter und drüber!“

       Inhaltsverzeichnis

      Im Hochgebirge hatten die Stürme während der letzten Tage wieder mit verheerender Gewalt gewüthet. Ausgetretene Bergwasser, entwurzelte Bäume, niederstürzendes Felsgeröll hatten die Wege unpassirbar gemacht und die höher gelegenen Bergorte, wie N., gänzlich von der Ebene abgeschnitten. Die Verbindung damit war fast ganz abgebrochen, denn die Gebirgsbewohner, die allenfalls noch zu Fuße hinauf- oder heruntergelangen konnten, scheuten sich, ohne Noth den gefährlichen und mühseligen Weg zu machen.

      Um so mehr wunderte sich der rüstig voransteigende Bauer, daß die junge Dame, welche ihm folgte, dies Wagniß unternehmen wollte. Sie war mit ihrem Wagen nur ungefähr bis zur Hälfte des Weges gekommen, da erwies sich die Weiterfahrt als unmöglich, aber vergebens bat sie der alte Kutscher mit Thränen in den Augen, zurückzubleiben, vergebens warnten die Dorfleute, sie hatte erklärt vorwärts zu müssen, nach N. hinauf zum Pfarrer Clemens, wie sie sagte, hatte einen der Männer durch das Anerbieten eines reichlichen Lohnes bewogen, ihren Führer zu machen, und setzte nun wirklich die Reise mit ihm zu Fuße fort.

      Es war ein arger Weg, er zeigte überall noch die Verheerungen des Sturmes, der sich glücklicherweise während der Nacht gelegt hatte. Der Führer blickte sich oft genug besorgt um nach seiner schweigsamen Begleiterin, ob sie auch überhaupt zu folgen vermöge, woran er ernstlich zweifelte; freilich sie war jung und leichtfüßig, aber doch gar zu zart für solchen Gang und für solches Wetter, zudem waren ihre Schuhe so entsetzlich dünn und fein, jeder Tritt mußte sie ja schmerzen hier auf den scharfen Steinen, und der Regenmantel, der über die leichte Kleidung geworfen war, schützte sie auch nicht viel vor dem noch immer scharfen Bergwinde. Sie schien aber Beides nicht zu empfinden, sondern folgte unverdrossen, ohne Ausruhen und ohne Klage, als kenne sie weder Ermüdung noch Furcht.

      Ungefähr eine Stunde lang waren sie so vorwärts gegangen und erreichten jetzt eine freiere Höhe. Zur Seite des Weges stand ein roh geschnitztes Heiligenbild, das auch dem Sturme zum Opfer gefallen war, das hölzerne Schutzdach war zertrümmert, das Bild selbst lag zerschmettert am Boden, nur der Pfahl, der es getragen, stand noch zur Hälfte aufrecht, von dem moosigen Felsstück gehalten, an das er sich lehnte. Unten am Abhange, nur einige hundert Schritte entfernt, lag ein einsames, armseliges Gehöft, das halb verdeckt durch die Tannen gänzlich öde und ausgestorben schien.

      Auf der Höhe angelangt blieb das junge Mädchen plötzlich stehen und berührte den Arm ihres Begleiters.

      „Wir müssen ausruhen! – Ich kann nicht weiter!“

      Der Bauer sah sich um und erschrak, denn er gewahrte jetzt erst die tiefe tödtliche Erschöpfung in ihren Zügen und in ihrer ganzen Haltung, die Brust hob und senkte sich schwer von der ungewohnten Anstrengung, das Gesicht unter den braunen Locken war erschreckend bleich – sie hatte augenscheinlich ihre Kräfte auf’s Aeußerste angespannt, bis sie ihr versagten.

      Der gutmüthige Führer geleitete sie rasch zu dem moosbedeckten Felsstück und ließ sie niedersitzen, aber er schüttelte bedenklich den Kopf.

      „Das wird nimmermehr gut, Fräulein, Sie kommen nicht weiter! Wir wollen lieber umkehren, Sie halten’s nicht aus!“

      Sie machte eine heftig verneinende Bewegung. „Nein, nein, es geht vorüber! Ich bin nur müde, lasten Sie mich einige Minuten ausruhen! Haben wir noch weit bis N.?“

      „Zwei volle Stunden bis zur Wallfahrtskirche, und dann noch ein gutes Stück bis zum Dorfe hinauf, denn die ‚wilde Klamm‘ ist jetzt nicht zu passiren. Das Schlimmste vom ganzen Wege haben wir noch vor uns!“

      Das junge Mädchen schauerte leise zusammen, ob vor dem Wege oder vor dem Orte, den er nannte, sie gab keine Antwort. Der Bauer begriff trotzdem, daß von Umkehr nicht die Rede sei, er blieb also an ihrer Seite stehen und wartete geduldig auf den Wiederaufbruch.

      „Hab’ ich doch gemeint, wir Zwei seien die Einzigen unterwegs!“ begann er plötzlich wieder, „und da kommt Hochwürden der Herr Caplan grade vom Ecken-Hof herunter! Der scheut auch nicht Weg, nicht Wetter, er ist wahrhaftig heute von N. gekommen, weil im Ecken-Hof ein Krankes liegt!“

      Es war in der That der junge Caplan des Pfarrer Clemens, der aus dem Gehöfte hervorkam und gleichfalls die Höhe erstieg, er blickte flüchtig auf den Bauer, der ehrfurchtsvoll grüßend am Wege stand, und mit seiner breiten Gestalt völlig die des jungen Mädchens verdeckte.

      „Bist Du auch unterwegs, Ambros?“ fragte er im Vorübergehen.

      „Ja, Hochwürden, aber nicht allein! Ich verdiene mir ein Führerlohn bei der Dame da –“ er wich bei den letzten Worten seitwärts und gab den Anblick seiner Begleiterin frei, kam aber nicht weiter in seinen Auseinandersetzungen, denn was er sah, dünkte ihm doch etwas befremdlich.

      Der Caplan stand da – als habe einer der Berggeister, von denen die Sagen des Gebirges erzählen, ihn auf einmal berührt und in Stein verwandelt, nur das Auge flammte auf, groß und dunkel, und nur der Blick allein redete, aber er sagte genug. Sie war wohl mehr dämonisch als zärtlich, diese Gluth,