Im Stifte sollte das feierliche Todtenamt für den jungen Grafen Rhaneck gehalten werden. Der Rang und Name des Verstorbenen und die Umstände seines Todes erhoben diese Feier zu einer außergewöhnlichen, die selbstverständlich all den kirchlichen Pomp und Glanz beanspruchte, den ihr düsterer Charakter nur gestattete. Der ganze Adel der Umgegend erschien, um den Eltern seine Theilnahme zu beweisen, aber auch die sämmtlichen Dorfschaften, welche unter der Herrschaft des Stiftes oder des Schlosses Rhaneck standen, hatten ihre Bewohner gesandt, es galt ja dem Neffen des Prälaten und dem Sohne des Majoratsherrn. Die Landleute drängten sich noch sämmtlich in dem Klosterhofe, um zu sehen, wie der Prälat an der Spitze seiner Geistlichkeit und begleitet von dem Adel und den Beamten der Umgegend sich in die Kirche begeben werde.
Die Gräfin Rhaneck hatte den ersten furchtbaren Schlag einigermaßen überwunden, aber ihr Zustand gestattete ihr noch immer nicht, einer so aufregenden Feier beizuwohnen, der Graf dagegen war erschienen und hatte sich bis zum Beginn derselben in die Gemächer seines Bruders zurückgezogen.
Seine Uniform trug heute die Abzeichen tiefer Trauer, und wer ihn so sah, wie er im Armsessel saß, den Kopf in die Hand gestützt, das Auge düster vor sich hinstarrend, der hätte in ihm kaum den noch immer schönen, lebenskräftigen Mann wiedererkannt, die wenigen Tage hatten ihm etwas Greisenhaftes gegeben. Der Prälat, der kalt, selbstbewußt und energisch wie immer neben ihm stand, erschien heute als der Jüngere von Beiden.
„Quäle Dich und mich doch nicht mit solchen Sorgen, Ottfried!“ sagte er nachdrücklich. „Die Beweise gegen diesen Günther sind nicht erschöpfend genug, um ihm ernstlich etwas anzuhaben. Wir können ruhig der Untersuchung zusehen, im schlimmsten Falle bleibt es uns immer noch, unseren Einfluß geltend zu machen, um das Aeußerste zu verhüten.“
Rhaneck’s Antlitz hellte sich nicht auf, trotz dieses Zuredens. „Du hast ihn schon einmal vergebens geltend gemacht, als es sich darum handelte, die Untersuchung überhaupt zu verhindern, es gelang Dir nicht.“
Der Prälat zog die Stirn in Falten. „Dieser neue Landrichter ist eine höchst unbequeme Persönlichkeit, die erste dieser Art, die man uns nach E. schickte; ich werde sorgen, daß er nicht allzulange dort bleibt. Aber ich wiederhole es Dir, diese Kette von Zufälligkeiten war genug, Günther zu verhaften, nicht ihn zu verurtheilen, dazu gehören andere Beweise, man wird ihn wegen Mangels derselben freisprechen müssen.“
„Und damit einen ewigen Makel auf seine Ehre werfen.“
„Willst Du es unternehmen, ihn davon zu reinigen, so thue es!“ sagte der Prälat scharf.
Der Graf machte heftig eine abwehrende Bewegung und wandte sich nach dem Fenster, seine Augen schweiften theilnahmlos über die Landschaft draußen, aber man sah es, seine Gedanken waren ganz wo anders. Der Prälat schwieg, doch ein leiser Ausdruck von Befriedigung lag in seinem Blick; ihm war es vielleicht nicht unlieb, daß die Untersuchung gerade diese Wendung genommen; wurde damit doch ein Feind unschädlich gemacht, der mit seinen Neuerungen und seiner Autorität die ganze Gegend bedrohte; was galt ihm die bedrohte Freiheit und Ehre dieses Mannes! Er war künftig machtlos dem Volke gegenüber, wenn ein solcher Flecken an seinem Namen haften blieb.
„Hast Du – hast Du die Maßregeln ausgeführt, von denen Du mir schriebst?“ fragte der Graf plötzlich. Die Frage kam bebend und leise von seinen Lippen und er wandte sich dabei nicht um, um dem Auge des Bruders begegnen zu müssen.
„Ich habe!“ erwiderte dieser ruhig. „Das Hochgebirge war seit drei Tagen abgeschnitten von uns, erst seit gestern sind die Wege wieder passirbar, ich habe das sofort benutzt, um einen Boten hinaufzusenden. Er bringt Benedict meinen Befehl, N. unverzüglich zu verlassen und nach dem Kloster abzureisen, das ich ihm bezeichnete. Der Bote muß ihn gestern noch erreicht haben, und jetzt ist er jedenfalls schon auf dem Wege nach seinem neuen Bestimmungsorte.“
„Und nach welchem Kloster hast Du ihn gesandt?“ Es klang durch die Frage wieder etwas von der früheren Angst hindurch.
„Ottfried, die Angelegenheit liegt in meinen Händen,“ sagte der Prälat kalt, „laß sie mich auch allein zu Ende führen. Es handelt sich jetzt nur darum, Benedict fern zu halten, und zu verhindern, daß man ihn zu einem Zeugniß herruft, ich werde es verhindern – wegen des Weiteren frage mich nicht.“
Mit einem schweren Seufzer ließ sich der Graf wieder nieder. Sein Bruder hatte richtig gerechnet, er ließ den einst so leidenschaftlich vertheidigten Schützling widerstandlos in seinen Händen – der Schlag hatte zu hart getroffen.
Die Thür ward leise geöffnet und der Kammerdiener erschien in derselben.
„Ist es schon Zeit für die Kirche?“ fragte der Prälat sich umblickend.
„Noch nicht, Euer Gnaden, aber der Herr Pater Benedict wünscht –“
„Wer?“ fuhr der Prälat auf, während auch Rhaneck bei dem Namen emporzuckte.
„Herr Pater Benedict wünscht, sofort vorgelassen zu werden und –“ weiter kam der Meldende nicht, denn der Genannte stand bereits neben ihm auf der Schwelle und sagte fast gebietend:
„Lassen Sie es gut sein! Der Herr Prälat wird mich empfangen!“
Der Kammerdiener erschrak beinahe vor diesem Tone, er hatte so gar nichts mehr von der Art, mit der ein Mönch bei seinem Oberen eintritt. Pater Benedict that ja, als hätte er hier zu befehlen, und er drängte auch wirklich den Mann zurück in’s Vorzimmer, schloß die Thür und schritt rasch durch das Gemach auf den Prälaten zu.
Der Graf war bei seinem Erscheinen aufgesprungen und schaute ihn mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Angst und Schmerz an, aber der junge Priester sah das nicht, oder wollte es nicht sehen, er streifte fast den Arm Rhaneck’s, ohne auch nur mit einem Blicke von ihm Notiz zu nehmen.
Vor dem Abte blieb er stehen und verneigte sich, es war noch der übliche Klostergruß, aber es schien, als habe der Nacken des Mönches es auf einmal verlernt, sich zu beugen, so gezwungen war die Bewegung. Der Prälat schaute ihn streng an.
„Sie hier, Pater Benedict? Haben Sie meine Botschaft nicht erhalten?“
„Welche Botschaft?“
„Den Befehl, unverzüglich den Pfarrer Clemens zu verlassen und sich nach dem Kloster zu begeben, das ich Ihnen nannte, vor allen Dingen aber das Gebiet von E. nicht wieder zu betreten. Der Brief muß schon gestern Abend in Ihren Händen gewesen sein.“
„Gestern Abend war ich bereits in E.,“ sagte Benedict kalt.
„Und was führte Sie ohne Erlaubniß dorthin?“ frug Jener drohend.
„Die Verhaftung Bernhard Günther’s!“
Der Prälat ballte unwillkürlich die Hand. „Sie wissen –“
„Ich erfuhr, was man mir um jeden Preis verbergen wollte, weshalb ich heimlich entfernt werden sollte, und ich komme, um Sie jetzt zu fragen, Hochwürdigster: verlangen Sie noch mein Schweigen?“
Es kam zu keiner Erwiderung, denn der Graf, der bisher regungslos der Unterredung zugehört, trat jetzt dazwischen.
„Wenn mein Bruder Dein Schweigen forderte,“ sagte er gepreßt, „er hatte Recht, Bruno. Ich verlange es auch von Dir!“
Benedict hatte sich bei dem Klange der Stimme umgewandt, und der unglückverheißende Ausdruck trat wieder in sein Auge.
„Sie auch, Herr Graf? Also wirklich!“
„Laß es an dem einen Opfer genug sein!“ fuhr Rhaneck dumpf, aber fest fort. „Ich will kein zweites, Du sollst Dich nicht auch noch in’s Verderben stürzen!“
Einige Secunden lang stand der junge Priester da und sah ihn völlig verständnißlos an, dann auf einmal blitzte die Wahrheit in ihm auf.
„Ich mich in’s Verderben stürzen?“ brach er heftig aus. „Halten Sie etwa mich, mich für den Mörder Ihres Sohnes?“
„Du bist es nicht?“ schrie der Graf auf und