Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman


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ein Kollege.

      Der Notarzt war jung und manchmal der Situation noch nicht gewachsen. Er war froh, wenn ihm die Verantwortung abgenommen wurde. Er hatte getan, was er konnte, war aber ein bißchen erschrocken, als Daniel zurückkam und sagte: »Worauf warten Sie denn noch? Los! Ich fahre hinterher!«

      *

      Lange hatten sich der Professor und Daniel nicht gesehen. War es nicht seltsam, daß sie erst kürzlich durch Raimund Attenberg aneinander erinnert wurden und nun jetzt gemeinsam die Fürsorge für eine schmale und doch so tatkräftige Frau zu übernehmen bereit waren?

      »Die Kosten, die zusätzlich entstehen, übernehmen wir«, sagte Daniel ruhig. »Tun Sie bitte, was Sie können.«

      »Können Sie so großzügig sein?« fragte der Professor mit einem Zwinkern.

      »Wir haben einen Fonds für solche Fälle. Manchmal haben nette alte Patienten etwas hinterlassen zur Verwendung für diejenigen, die es brauchen. Daher der Fonds. Frau Nowatzki hat zwei Kinder und steht allein. Sie hat den Unfall nicht verschuldet.«

      »Ich mache mich an die Arbeit«, sagte der Professor. »Vorbereitet ist alles schon.«

      »Und ich werde mich um die Kinder kümmern«, sagte Daniel.

      Ein toller Bursche, dachte der Professor anerkennend. Er gerät ganz nach seinem Vater. Wann bekomme ich in diesem nüchternen Haus schon mal so engen Kontakt zu meinen Patienten. Doch nur, wenn sie wochenlang hier liegen, und dann sind es meist hoffnungslose Fälle.

      Seine Mitarbeiter staunten nur so, wie er sich ins Zeug legte, um diese einfache kleine Frau vor dem Schlimmsten zu bewahren.

      *

      Daniel hatte Fee angerufen. Sie war erschüttert. Nicht alle Patienten ihres Mannes kannte sie persönlich, das wäre auch ein bißchen zuviel verlangt gewesen, aber Frau Nowatzki hatte ihnen damals beim Umzug geholfen und fleißig geputzt.

      »Bring die Kinder mit«, sagte sie zu Daniel.

      Meine Fee, dachte Daniel zärtlich, immer ist sie hilfsbereit, und oft war sie schon zu einer richtigen guten Fee für andere geworden.

      Die Nowatzkis wohnten in einer bescheidenen kleinen Wohnung im Souterrain eines großen Wohnblocks. Als Hausmeisterin versorgte Frau Nowatzki diesen. Sie verdiente dabei nicht schlecht, aber ihr Bestreben war es ja vor allem, ihren Kindern eine gute Ausbildung zuteil werden zu lassen.

      Ihr Mann hatte sie sitzenlassen. Er war mit einer Jüngeren durchgebrannt, viel hatte sie also an ihm nicht verloren, wie sie manchmal selber gesagt hatte. Jetzt ginge es ihnen besser als vorher, da er das meiste Geld für sich verbraucht hatte.

      Die zwölfjährige Ursel öffnete Dr. Norden die Tür. Ihre Augen bekamen einen ängstlichen Ausdruck. »Ist was mit Mutti?« war ihre erste Frage.

      »Ist Frank schon zu Hause?« fragte er.

      »Er muß gleich kommen«, erwiderte Ursel bebend. »Was ist denn, Herr Doktor? Warum kommen Sie?«

      »Die Mutti hatte einen Unfall, Ursel. Nun wein doch nicht, Kleines! Es wird alles für sie getan.«

      »Wie ist denn das passiert? Mutti ist immer so vorsichtig.«

      Da kam der vierzehnjährige Frank schon hereingestürmt. Kalkbleich war sein Gesicht.

      »Ich habe es schon gehört«, rief er in höchster Erregung. »Die Kerle bring ich um, ich bring sie um, wenn unsere Mutti stirbt!«

      Ja, nun galt es für Daniel erst einmal, diese beiden erregten und erschütterten Kinder zu beruhigen, aber einfach war das nicht.

      »Ich weiß, wer die Kerle waren, die Mutti gestoßen haben«, stieß Frank hervor. »Sie gehen mit uns in die Schule. Robert und Alfred, diese Raufbolde, Andy hat sie gesehen, er hat es mir gesagt! Wo ist Mutti, Herr Doktor?« schluchzte der hochgeschossene blonde Junge auf.

      »In der Klinik. Sie wird vom besten Unfallchirurgen betreut, den wir haben. Dafür habe ich gesorgt. Ihr kommt jetzt mit zu uns, meine Frau möchte es und wenn ihr euch beruhigt habt, werden wir miteinander reden.«

      »Aber der Herr Brettschneider wird nicht mit sich reden lassen, wenn Mutti hier nicht arbeiten kann«, weinte Ursel. »Und dann sitzen wir auf der Straße!«

      »Mit Herrn Brettschneider wird auch zu reden sein«, sagte Daniel, »ich kenne ihn. Überlaßt das nur mir. Denkt jetzt daran, daß eure Mutti wieder bei euch sein wird.«

      Er hoffte es von ganzem Herzen, mehr konnte er im Augenblick ja leider nicht tun.

      Frank und Ursel waren verstummt, als sie hinten in seinem Wagen saßen. Wie Marionetten waren sie ihm gefolgt.

      Von Fee und Lenni wurden sie mütterlich empfangen, aber essen wollten sie absolut nicht.

      Eine Zeit war Frank ganz still, dann aber brach es wieder aus ihm heraus.

      »Umbringen tu’ ich sie, wenn Mutti nicht wieder gesund wird!«

      »Das sagt man nicht, Frank«, flüsterte Ursel. »Mutti mag das nicht.«

      Dr. Norden mußte in die Praxis, bevor der erlösende Anruf aus der Klinik kam, daß Frau Nowatzki außer Lebensgefahr war.

      Nun weinten die Kinder vor Erleichterung, und natürlich wollten sie ihre Mutti auch gleich besuchen, aber Fee erklärte ihnen, daß sie sich doch noch bis morgen gedulden müßten.

      Außer Lebensgefahr bedeutete noch immer nicht, daß das Bein gerettet war. Das wußte nur sie, und sie sagte es Daniel auch nicht am Telefon, weil es die beiden Kinder möglicherweise hätten hören können.

      Sie saßen nun bei Lenni in der Küche und aßen, und Fee war froh, daß sich die Lebensgeister der Kinder wieder regten.

      Doch bald kam der nächste Schrecken. Die beiden Buben Robert Haberl und Alfred Gröber waren verschwunden. Sie hatten sich nicht nach Hause getraut. Die Nordens erfuhren es von Kommissar Röck, bei dem alle Fäden zusammenliefen, wenn Kinder verschwanden. Ihm waren auch die bisherigen Untersuchungsergebnisse über den Unfallhergang vorgelegt worden.

      In diesem Fall stand es einwandfrei fest, daß es sich weder um eine Entführung, noch um ein Verbrechen, sondern einfach um eine Flucht aus Angst vor Bestrafung handelte. Gleichwohl waren die betroffenen Eltern nicht weniger besorgt, als es Raimund und Gisela Attenberg gewesen waren, wenn sich ihre ersten Reaktionen auch ganz anders äußerten.

      Bei den Haberls war man der Meinung, daß sich Frau Nowatzki nicht hätte einmischen dürfen. Die Gröbers waren ganz anderer Meinung, denn sie hatten genug Kummer mit ihrem ungebärdigen Sohn und verschlossen die Augen davor nicht.

      Außerdem kannten sie Herrn Brettschneider und darum auch Frau Nowatzki.

      Aber wollten die einen ihren Sohn noch in Schutz nehmen, die anderen sich bemühen, der Verunglückten zu helfen, Sorgen machten sie sich selbstverständlich um ihre Söhne, mochten es auch noch solche Schlingel sein, als die sie überall bekannt waren. Und zu den Sorgen kamen auch noch die Vorwürfe der Nachbarn, die schon oft Anlaß zu Beschwerden gehabt hatten.

      Für Kommissar Röck war ein solcher Fall nichts Besonderes, sondern etwas Alltägliches, denn jeden Tag verschwanden Kinder, gingen Suchmeldungen ein, und machmal blieb alles Bemühen, sie aufzufinden, vergeblich.

      Eine so schnelle und glückliche Lösung wie im Fall Denise Attenberg ergab sich selten.

      Menschen, die sich nicht kannten, Schicksale, die nichts miteinander gemein hatten, bei Kommissar Röck liefen die Fäden zusammen, und ihm entging es ähnlich wie Dr. Norden. Man war vor bösen Überraschungen nie sicher.

      Aber in jenem wie auch in diesem Fall erfuhren ein paar Menschen unvergleichliche Hilfsbereitschaft, wie sie sie vorher niemals erfahren und woran sie auch nicht geglaubt hatten.

      Im Wohnblock, den Frau Nowatzki betreute, wurde für sie und die Kinder gesammelt. Jetzt sah man in ihr plötzlich nicht mehr nur die Frau, die Treppen putzte und an die alle Ärgernisse herangetragen