Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman


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wo bleibt das Baby?« fragte Denise. »Hat es Großeltern?«

      »Nein.« Jedenfalls keine, die es nehmen würden, dachte er dabei.

      »Das ist sehr schlimm«, sagte Denise. »Wir müssen ihr da helfen, Papi. Ja, das müssen wir. So ein kleines Baby darf nicht in ein Heim kommen.«

      »Was denkst du jetzt wieder?« fragte er.

      »Was meinst du denn, worüber wir in der Schule reden? Natürlich auch über Waisenkinder.«

      »Leslies Baby hat aber eine Mutter. Es ist kein Waisenkind.«

      »Aber es hat keinen Vater, weil er gestorben ist. Ich denke darüber nach, Papi.«

      »Du denkst zuviel, mein kleines Mädchen.«

      »Man kann nicht zuviel denken. Wir müssen für das Baby sorgen. Erzählst du mir noch von deinem Freund?«

      »Was willst du hören?« fragte Raimund betroffen.

      »Zu uns kommen viele Leute. Es sind alles Freunde«, sagte Denise leise. »Der Vater von Leslies Baby war doch nicht hier, oder?«

      »Er war mal hier, mal dort. Das hat sein Beruf mit sich gebracht. Du kannst das nicht verstehen, Denni.«

      »Das sagt ihr immer, Papi. Und wenn ich es doch verstehe, wenn es mir erklärt wird?«

      »Wir haben zusammen auf der Schulbank gesessen«, erwiderte er. »Später ging jeder seinen Weg, aber wir mochten uns und trafen uns hin und wieder. Jack war hier, bei uns, als du noch ganz klein warst.«

      »Öfter?« fragte Denise nachdenklich.

      »Ja, öfter.«

      »Und Leslie auch?«

      »Da kannte er Leslie noch nicht.«

      »Wann hat er sie kennengelernt?«

      »Vor zwei Jahren. Da war er in Amerika.«

      »Und warum hat Jack Leslie dann nicht gleich geheiratet, Papi?«

      »Man muß sich schließlich erst kennenlernen, und außerdem war er sehr viel unterwegs. Sie konnten sich nicht so oft sehen.«

      »Aber sie haben sich sehr lieb gehabt«, meinte Denise sinnend. »Sonst würde Leslie kein Baby bekommen.«

      Raimund Attenberg konnte sich noch lange und ernsthaft mit seiner Tochter unterhalten, über so manches, worüber bestimmt nicht gesprochen worden wäre, wäre der gestrige Tag nicht gewesen. Und Gisela hatte noch ein paar gute Ratschläge von Fee Norden dankbar angenommen, weil sie meinte, daß sich alles viel problematischer gestalten würde nach Denises Rückkehr. Doch diese Befürchtung erwies sich als überflüssig, denn die kleine Denise hatte nicht vergessen, was Dr. Norden und seine Frau ihr erklärt hatten. Aussprechen sollte man sich, wenn es Zweifel gab, und so sagten sie sich alles, verwundert aber auch, warum es nicht schon früher so gewesen war. Über Leslie und ihr Baby wurde auch viel gesprochen.

      Gisela rief dann in der Klinik an, bekam aber den Bescheid, daß gerade Visite sei und keine Gespräche in die Krankenzimmer gelegt würden. Aber sie erfuhr wenigstens, daß das Baby sich noch Zeit ließ.

      »Morgen werden wir sie besuchen«, schlug Denise vor.

      »Ja, ich werde sie besuchen«, sagte Gisela, »aber Kinder dürfen leider nicht mit in die Klinik.«

      »Warum nicht?«

      »Wegen der Infektionsgefahr«, erklärte Gisela.

      »Aber ich bin doch kein kleines Kind mehr«, sagte Denise. »Es ist schon komisch, einmal wird man schon groß und vernünftig genannt und dann ist man wieder ein kleines Kind und darf nicht mit in die Klinik. Warum nicht?«

      »Das sind halt Vorschriften, um die kommt man nicht herum«, sagte Raimund, »aber schließlich würdest du deinen Papi doch wohl nicht allein lassen wollen?«

      Das war allerdings ein Argument von Wichtigkeit. Natürlich konnte sie den Papi nicht allein lassen. Und außerdem würde Dr. Norden auch herkommen, um nach ihnen zu sehen.

      *

      In Dr. Nordens Sprechstunde ging alles wieder seinen Gang. Nichts erinnerte an die Aufregungen des vergangenen Tages. Die Patienten kamen und gingen, niemand brauchte über Gebühr zu warten, und kein Notruf holte Dr. Norden aus seiner Praxis weg.

      Loni Enderle war es direkt ein bißchen unheimlich, daß nach dem gestrigen turbulenten Tag ein so ruhiger folgte. Aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben, denn gerade hatte der letzte Patient die Praxis verlassen, als ein Anruf kam, der die zu früh gelobte Ruhe des Tages schnell zerstörte.

      Loni rann es eisig den Rücken herunter, als sie die Nachricht weitergab.

      »Vorn an der Endhaltestelle ist eine Frau unter die Bahn geraten«, stieß sie hervor.

      »Da kann der Notarzt doch besser helfen«, sagte Daniel. »Er hat alles in seinem Wagen.«

      »Aber sie verlangt nach Ihnen«, sagte Loni leise.

      Daniel wurde blaß. »Der Name?«

      »Ist noch nicht bekannt.«

      Er nahm seinen Koffer und verschwand eilig. Gut, man war Arzt. Man hatte sich diesen Beruf erwählt und war auf alles gefaßt, was ein Tag mit sich bringen konnte. Aber es war schon ein abscheuliches Gefühl, zu einer Verletzten gerufen zu werden, die ausdrücklich nach ihm verlangte, deren Namen er aber nicht wußte.

      Ein saublödes Gefühl ist das, sagte er laut vor sich hin, um die innere Unruhe zu dämpfen. Neugierige hatten sich an der Unfallstelle versammelt. Es gab kein Durchkommen. Daniel wurde sogar angepöbelt von ein paar jungen Burschen, als er sagte, daß er Arzt sei. Es wären schon welche da, wurde ihm erwidert. In ihm kochte heißer Zorn. Gut, mochten schon Ärzte da sein, aber es war doch immer wieder dasselbe. Die Sensationsgier war so manchen Leuten wichtiger als ein Menschenleben. Wie oft wurden die Rettungsmannschaften durch solche behindert, und wie oft hörte man auch die Worte: »Sind doch selber schuld, wenn sie so blöd über die Straße rennen.«

      Was dahinterstecken konnte, ob eine Angst, ein Unwohlsein, Geistesabwesenheit durch einen Kummer hervorgerufen, danach fragte niemand.

      Irgend jemand kam Dr. Norden zu Hilfe. Ein großer, breitschultriger Mann, der die jungen Burschen wegboxte. »Das ist Dr. Norden«, brummte er, und Daniel erkannte in ihm einen der Möbelpacker, die ihren Umzug gemacht hatten.

      »Danke«, sagte er.

      »Diese jungen Deppen«, sagte der Mann, an dessen Namen sich Daniel jetzt wahrhaftig nicht erinnern konnte. »Es ist die Frau Nowatzki. Wollte einen Streit schlichten, und da haben diese Burschen sie direkt vor die Bahn gestoßen.«

      O Gott, dachte Daniel, Frau Nowatzki, die selbst mühsam zwei Kinder durchs Leben bringen mußte.

      Man hatte sie schon auf die Trage gelegt und diese in den Ambulanzwagen geschoben.

      »Norden«, sagte Daniel kurz, als der Notarzt aufblickte.

      »Gut, daß Sie kommen, von uns hält die gute Frau anscheinend nicht viel«, sagte der Notarzt.

      »Dr. Norden«, flüsterte die Verletzte, »werden Sie es den Kindern sagen? Es wird schon nicht schlimm werden. Ich habe gar keine Schmerzen. Diese dummen Buben, ich wollte sie doch bewahren, daß ihnen etwas passiert.«

      Sie selbst, eine besorgte Mutter, mußte nun dafür büßen, daß ein paar Unbesonnene Streit angefangen hatten. Erschüttert waren alle, die um sie herumstanden und nun die Worte hörten. »Mit Absicht haben sie es nicht getan.«

      »Wie schwer sind die Verletzungen?« fragte Dr. Norden heiser.

      »Möglicherweise ist das linke Bein nicht mehr zu retten«, erwiderte der Notarzt.

      »Bringen Sie Frau Nowatzki zu Prof. Leibrecht«, sagte Daniel ruhig.

      Er eilte schon zur Telefonzelle. »Wenn er’s sagt«, meinte ein Sanitäter