Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman


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Attenberg.«

      Noch diese freundliche Ermahnung, dann entschwand sie.

      Gisela wiederholte den Rat, und ihr Mann legte sich neben sie.

      »Dr. Norden wird sich um unser Kind kümmern«, flüsterte sie. »Machen wir uns jetzt keine Vorwürfe, Raimund. Es wird sich alles aufklären. Wir müssen offen mit Denni sprechen.«

      »Ich bin total durcheinander, Liebes. In meinem Kopf geht es rund. Ich weiß nicht mal mehr, wie es zu dem Unfall kam.«

      »Wollen wir dankbar sein, daß er so abging«, sagte Gisela. »Man wird dir hoffentlich mildernde Umstände zubilligen.«

      »Ich war nicht allein schuld«, sagte. »Der Kombi fuhr über die Kreuzung, als schon rot war.«

      »Also kannst du doch schon wieder ziemlich klar denken, aber der Unfall selbst ist jetzt nicht mehr so wichtig. Wichtig allein ist, daß ich euch behalten darf.«

      Er küßte sie zärtlich, schon müde und sehr erschöpft. »Was unserer Kleinen nur eingefallen ist«, murmelte er. »Aber wir werden ihr keine Vorwürfe machen, Gisi.«

      »Ich denke gar nicht daran. Ich habe mir selbst genug Vorwürfe gemacht.«

      »Dann muß ich mir noch mehr machen«, murmelte er. Und dann fielen ihm die Augen zu. Später konnte Dr. Norden dann feststellen, daß er sich unglaublich tapfer gehalten hatte, doch jetzt war er mit Denise beschäftigt, die sich erst einmal richtig ausgeweint hatte.

      Sie war jetzt das kleine Mädchen, das er als Fünfjährige zum ersten Mal behandelt hatte, als sie eine recht schlimme Mandelentzündung hatte. Sie hatte Angst zu ersticken, weil sie nicht schlucken konnte und kaum noch Luft bekam.

      Jetzt drohte sie an ihren inneren Ängsten zu ersticken. Die Beklemmungen waren so stark, daß ihr schmaler Kinderkörper völlig verkrampft war.

      Sehr viele Menschen waren sich nicht darüber klar, daß Rücken- und auch Bandscheibenschmerzen eine psychische Ursache haben konnte, wie auch Allergien, Migräne und so manches andere.

      Einem Kind konnte man das schwer begreiflich machen. Denise hatte ein schlechtes Gewissen, und nun fürchtete sie nicht nur Strafe, sondern auch noch, krank zu werden, denn ihr tat einfach alles weh.

      Lenni hatte ihr einen Tee zubereitet, eine Wärmflasche unter den Rücken gelegt und die schmerzenden Füße mit einer Salbe massiert.

      Fee war mit Danny hinausgegangen, obgleich der Kleine noch so gern bei dem großen Mädchen bleiben wollte.

      Aber jetzt war es wichtig, daß Denise ihr Herz ausschüttete, und das brauchte seine Zeit. Immerhin erfuhr Dr. Norden alles, was er wissen wollte, und dann sank das erschöpfte Kind in tiefen Schlummer.

      *

      Auch Raimund Attenberg schlief, und Gisela, nun ihr Kind in Sicherheit wissend, grübelte nach, was sie alles falsch gemacht haben könnte, weil Denise zu den Nordens mehr Vertrauen hatte als zu ihr.

      Dieser Tag war ein Wendepunkt in ihrem Leben als Frau und Mutter. Niemals war sie Belastungen ausgesetzt gewesen. Sorglos war ihre Kindheit in einem Elternhaus verlaufen, in dem alles glatt ging. Eltern und Geschwister erfreuten sich auch jetzt bester Gesundheit, es hatte nie einen Mangel gegeben. Die ältere Schwester und der jüngere Bruder hatten passende Partner gefunden und führten glückliche Ehen, wie sie auch.

      Mit Raimund war sie seit einem Dutzend Jahren verheiratet, und sie hatte das Leben in noch großzügigerem Stil weiterführen können, das sie aus ihrem Elternhaus gewohnt war. Die Geburt ihres einzigen Kindes hatte keine Komplikationen mit sich gebracht, aber sie war sich mit ihrem Mann von vornherein einig, daß sie nur ein Kind haben wollten, gleich, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.

      Der Gedanke an diese Absprache versetzte ihr jetzt einen schmerzhaften Stich. Wie konnte man das so überhaupt planen?

      Wäre es nicht tröstlich gewesen in diesen schweren Stunden, noch ein Kind um sich zu haben?

      Andererseits, auch das sagte sie sich, hatte man um zwei oder mehr Kinder weniger Angst als um eines?Das Gleichmaß ihres Lebens war erstmalig erschüttert worden, und Gisela fragte sich, ob sie nicht zu oberflächlich dahingelebt hatte, zu überzeugt, daß es gar nie anders sein konnte.

      Gewiß nicht oberflächlich in dem Sinne, daß ihr alles gleichgültig gewesen wäre. Sie hatte viel Liebe empfangen und viel Liebe gegeben, aber sie hatte nie daran gedacht, wie es sein könnte, wenn ihr Kind oder ihr Mann nicht da wären. Und nun hatte sie an einem einzigen Tag um beide bangen müssen.

      War sie nicht auch anderen gegenüber manchmal sehr ungerecht gewesen? Zum Beispiel bei Gretel Jelinak, die oft wegen ihrer Kinder eine Party absagte.

      Warum schaffen sie sich nur so viele Kinder an, hatte sie gesagt, und daran erinnerte sie sich.

      »Sie sind halt anders eingestellt als wir«, hatte Raimund erwidert, »aber manchmal denke ich, daß es ganz nett wäre, wenn Denise Geschwister hätte. Wir werden älter und bleiben vielleicht auch lieber daheim, und leisten könnten wir uns doch mehrere Kinder.«

      Auch das ging Gisela durch den Sinn, und sie blickte um sich. Sie hatten doch Denni nie vernachlässigt, sie waren nie allein weggefahren und hatten das Kind nur alleingelassen, wenn jemand bei ihr war, dem sie vertrauten.

      Denise hatte zwei Großelternpaare, an denen sie mit gleicher Liebe hing, und es gab auch in der Familie keine Eifersucht: Was konnte denn ein Kind in solchen Verhältnissen bewegen, wegzulaufen?

      Leslie? Daran glaubte Gisela einfach nicht, und doch mußte sie sich dann überzeugen lassen, daß ihre Hemmungen, Denise die Wahrheit über Leslies Schicksal zu erzählen, so erschreckende Konflikte in der kindlichen Seele erzeugt hatten. Dr. Norden kam ohne Denise. Gisela konnte es nicht begreifen.

      »Sie schläft, Frau Attenberg, und morgen sieht alles schon ganz anders aus«, sagte Dr. Norden tröstend. »Es ist besser, wir unterhalten uns jetzt darüber, warum das geschehen konnte, und außerdem ist es auch für Denise besser, wenn sie nicht gleich erfährt, was ihrem Papi passiert ist. Dann macht sie sich doppelte Vorwürfe.«

      »Ich mache mir sehr viele Vorwürfe, Herr Doktor«, sagte Gisela gequält. »Was habe ich falsch gemacht?«

      »Darüber wollen wir sprechen. Es gibt keinen Zweifel, daß Sie einen Fehler machten, indem Sie Denise nüchterne Tatsachen verschwiegen. Kinder haben meist mehr Phantasie als Erwachsene. Wenn man ihnen etwas nicht erzählt, denken sie besonders viel darüber nach. Hinzu kommen dann kleine Begebenheiten, die Erwachsenen bedeutungslos erscheinen und für ein eifersüchtiges Kind große Bedeutung bekommen. Denise hatte einfach Angst, daß sich ihre Eltern, die sie so innig liebt, trennen könnten, Angst besonders deshalb, weil sie nicht wußte, bei wem sie lieber sein wollte. Sie hat ja schon mitbekommen, daß Eltern sich scheiden ließen und das Kind dann bei der Mutter oder bei dem Vater blieb. Aber sie konnte sich so etwas nicht vorstellen.«

      »Es kommt doch auch nie in Frage«, sagte Gisela. »Wir führen eine harmonische Ehe, und daß ich auch mit für Leslie sorgen wollte, beweist doch, daß ich nie an der Treue meines Mannes zweifelte. Leslie war mit seinem besten Freund verlobt, der unter tragischen Umständen ums Leben kam. Raimund fühlte sich verpflichtet, ihr zu helfen. Sie wollte sich nichts schenken lassen, so gab er ihr eine Position, in der sie so gut verdiente, daß sie sich nicht abhängig von uns fühlen mußte. Und sie hat gute Arbeit geleistet, das soll auch gesagt werden.«

      »Aber dies alles wußte Denise nicht«, sagte Dr. Norden. »Sie wußte nur, was sie sah und hörte. Und manchmal bekommen Worte und kleine Nebensächlichkeiten in der Phantasie eines Kindes eine viel tiefere und ganz andere Bedeutung.«

      »Aber wie hätte ich Denni denn erzählen sollen, was Leslie widerfahren war? Sie ist doch ein Kind!«

      »Sie hätten ihr einfach die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte diese Wahrheit verstanden. Man muß nur die richtigen Worte finden.«

      »Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß sie unsere Ehe gefährdet sehen könnte. Wir waren doch jeden Tag beisammen.