begleitet hatte.
Es war nicht das erste Mal, daß sie die beiden zusammen sah. Zweimal war diese Frau, diese Leslie, auch schon bei ihnen im Hause gewesen, aber das lag schon ein paar Monate zurück.
Die Mami war freundlich zu ihr gewesen, und später hatte sie Denise erklärt, daß dies die neue Geschäftsführerin sei.
Von geschäftlichen Dingen verstand Denise noch nichts. Sie mochte diese kaltglitzernden Steine nicht leiden, die so schrecklich viel Geld kosteten, und sie verstand nicht, daß man soviel Geld dafür ausgeben konnte, wo doch so viele Menschen hungerten und froren.
Denise war eine aufmerksame Schülerin, und sie ging auch gerne in die Kirche. Sie nahm es sich sehr zu Herzen, wenn von den hungernden Kindern in den Entwicklungsländern gesprochen wurde, und verschiedentlich hatte sie ihren Vater auch gefragt, warum sich denn manche Leute so teure Sachen kaufen könnten und andere nicht mal das Nötigste.
»Das war immer so und wird immer so sein, mein Kleines hatte er erwidert. »Du brauchst nicht zu darben, und mein Geschäft ist so wie jedes andere auch. Sei froh, daß es uns gutgeht.«
Was hatte der Papi damals noch gesagt? Wir spenden für die Armen. Wir können nichts dafür, wenn es nicht zu denen gelangt, die es am nötigsten brauchen.
Andere Eltern sagten das auch, das hatte Denise aus Gesprächen erfahren, und sie fand sich damit ab.
Mit Leslie jedoch konnte sie sich nicht abfinden. Vor allem nicht seit jenem Abend, als sie mit ihrem Papi auf der Terrasse gestanden hatte. Denise war zu Bett geschickt worden. In den unteren Räumen des Hauses fand eine Party statt.
Es war ein warmer Sommerabend, und sie hatte sich ans Fenster gesetzt, und unter diesem Fenster sprach ihr Papi mit Leslie.
»Es wird alles in Ordnung kommen, Leslie. Mach dir keine Sorgen«, sagte er.
»Und was sagt Gisela?« hatte Leslie gefragt.
»Sie ist einverstanden.«
»Ich möchte nicht, daß sie dir böse ist«, hatte Leslie gesagt.
»Sie ist nicht böse. Sie ist vernünftig.«
Über diese Worte hatte Denise nachdenken müssen, aber sie hatte nicht gewagt, ihren Vater oder ihre Mutter zu fragen, was diese Worte bedeuten könnten. Sie hatte nur noch Angst, daß sich bei ihnen alles ändern könnte durch diese Frau, die sie dann ein paar Wochen später wieder mit ihrem Papi gesehen hatte, als sie aus der Ballettstunde kam.
Der Papi hatte ihr versprochen, sie abzuholen, und das hatte er auch getan, aber die Lehrerin hatte eine Viertelstunde früher aufgehört, weil sie sich nicht wohl fühlte, und da hatte Denise auf der Straße gewartet und gesehen, wie Leslie aus dem Wagen ihres Vaters stieg und ihm eine Kußhand zuwarf, bevor sie sich entfernte. Und sie hatte noch mehr gesehen, nämlich, daß Leslie einen runden Bauch bekommen hatte, und Denise wußte sehr gut, daß dies geschah, wenn man ein Baby erwartete.
In ihrem kleinen Kopf herrschte seither ein völliges Durcheinander. Einmal stellte sie ihrer Mutter die schüchterne Frage, ob sie Leslie möge.
»Aber ja«, hatte Mami erwidert. »Sie ist sehr tüchtig.«
»Ist sie eigentlich verheiratet?« hatte Denise gefragt.
»Nein, verheiratet ist sie nicht.«
Aber sie erwartet ein Baby, dachte Denise. Immer öfter mußte sie daran denken, weil eine Klassenkameradin ihr erzählte, daß ihre Eltern sich scheiden ließen.
»Aber warum denn?« fragte Denise.
»Weil Papa eine andere hat, und die kriegt sogar ein Kind. Bei uns ist vielleicht was los, das kann ich dir sagen, aber ich bleibe bei Mama, und von Papa will ich nichts mehr wissen.«
Denise war voller Entsetzen. Bei ihnen daheim war nichts los. Alles ging seinen Gang, aber in ihr wuchsen die Zweifel, wie lange das noch so sein würde, weil ihr kindlicher Verstand nicht ausreichte, ihre Probleme auszusprechen, so einfach war das nämlich nicht.
Und gestern abend hatte sie dann gehört, wie ihre Mami zu ihrem Papi sagte, daß Leslie nun nicht mehr lange im Geschäft bleiben könne.
»Wenn es finanziell bei ihr nicht langt, soll sie halt hier wohnen«, hatte die Mami gesagt.
»Das geht doch nicht wegen Denise«, sagte der Papi.
»Ich werde ihr alles erklären. Ich werde ihr sagen, daß Leslie ein Baby erwartet und du sie nicht im Stich lassen willst.«
Und da hatte Denise überhaupt nichts mehr begriffen. Die ganze Nacht hatte sie nicht ruhig schlafen können und sich fest vorgenommen, am Morgen mit ihrer Mami zu sprechen, aber wieder hatte sie nicht den Mut gefunden.
Als sie dann aber ein bißchen früher als sonst vor der Schule stand, da faßte sie ganz plötzlich einen Plan.
Sie lief zuerst durch die Straßen. Dann kannte sie sich plötzlich nicht mehr aus und stieg in ein Taxi. Komisch geschaut hatte der Fahrer schon, aber sie hatte genug Geld dabei und konnte ihn auch bezahlen.
Stunde um Stunde stand sie nun schon in dieser Passage und blickte zu dem Geschäft hinüber, das sie schon seit Monaten nicht mehr betreten hatte. Früher war sie oft hier gewesen, aber seit Leslie dort war, erfand sie immer neue Ausreden, wenn die Mami sie mal mitnehmen wollte.
Nein, Denise begriff das alles nicht, was da vorging und nicht mal zu Dr. Norden konnte sie darüber sprechen. Immer, wenn sie es sich vorgenommen hatte, war ihr die Kehle dann wie zugeschnürt.
All der Mut, den sie an diesem Morgen gefaßt hatte, war dahin, als sie in der Straße angekommen war, und als ihr Papi dann mit Leslie aus der Tür trat, stand sie wie versteinert. Wie vertraut sie miteinander waren, daß er sogar auf der Straße den Arm um sie legte. Ganz schwarz wurde es Denise vor den Augen, und nicht ein einziger Gedanke kam ihr, daß ihretwegen ihre Eltern in helle Aufregung versetzt worden waren.
Aber nun war ihr Papi nicht mehr im Geschäft, und vielleicht konnte sie mal mit Leslie sprechen? Aber was sollte sie sagen? Wo sollte sie beginnen? Denise war ein schüchternes Kind, und die Straße war so breit und belebt. Bis sie wieder einen Entschluß gefaßt hatte, war Leslie schon aus dem Geschäft gekommen und entfernte sich rasch, nachdem sie abgeschlossen hatte.
So eine ist das, dachte Denise erbittert, tut schön mit meinem Papi, und kaum ist er aus dem Geschäft, haut sie auch ab. Und so eine wollte Mami auch noch im Hause dulden.
Mit gesenktem Kopf ging Denise die Straße entlang. Sie hörte die Sirenen der Funkstreifenwagen und blieb erschrocken stehen. Sie hatte immer ein bißchen Angst, wenn sie diese Sirenen hörte, weil sie einmal erlebt hatte, wie ein Radfahrer überfahren worden war.
»Paß du nur immer auf«, wurde sie jeden Tag von der Mami ermahnt. »Es wäre schrecklich, wenn dir etwas passieren würde, mein Liebling.«
Ob Papi sich auch aufregen würde, wenn ihr etwas passierte? Ob er dann wieder ganz zu ihnen gehören und sich nicht mehr um Leslie kümmern würde?
Sie sah eine Uhr. Beide Zeiger standen auf Zwölf. Jetzt würde Mami zur Schule fahren, um sie abzuholen, und sie würde nicht dort sein.
Denise blieb wieder stehen und überlegte. Natürlich hatte Mami auch Angst, aber der Papi wohl auch. Ausprobieren konnte sie das ja mal, wer ihm nun wichtiger war, sie und Mami oder diese Leslie.
*
»Mein Gott, mein Gott«, stöhnte Gisela Attenberg immer wieder, »warum kommt Raimund nicht? Warum meldet sich im Geschäft niemand?«
Dr. Norden wußte auch nicht mehr, wie er die erregte Frau beruhigen sollte. Die Tropfen waren nutzlos gewesen, und eine Spritze wollte sie sich nicht geben lassen.
»Ich will nicht schlafen«, weinte Gisela. »Ich will wissen, was mit meinem Kind und mit meinem Mann geschehen ist.«
»Sollten wir nicht besser doch die Polizei benachrichtigen?« fragte er, da er selbst dies in jedem Fall für besser hielt, denn selbst bei einer Entführung