Doktor gemacht hatte. Und sie war auch nicht mehr das verängstigte, an sich selbst zweifelnde Geschöpf, das Beirut mit dem Gefühl verließ, dem Wahnsinn nahe zu sein.
»Ich möchte nicht verdächtigt werden, dass ich es gewesen sein könnte, der einer Kollegin Hilfe versagen wollte«, stieß Benten hervor.
»Daran dachte ich nicht«, sagte Miriam, »und ich sehe auch keinen Grund zu einer Rechtfertigung für Sie.«
»Aber Sie haben verhindert, dass ich Fräulein Henneke operierte«, sagte er nun anklagend. »Das stimmt doch?«
»Sie vermuten es?«, fragte sie sarkastisch. »Die Entscheidung traf Herr Henneke. Es ist doch sein gutes Recht. Dr. Semmelbrot hat ihn nicht enttäuscht. Niemand bezweifelt Ihr Können, und auf dieses Honorar sind Sie doch wohl nicht angewiesen?« Diese Anzüglichkeit konnte sie sich nicht verkneifen.
»Sie haben sich nicht verändert«, sagte er zornig. »Sie sind noch genauso kalt wie früher. Ich kam, um Ihnen ein Angebot zu machen, aber das erübrigt sich jetzt.«
»Mit Sicherheit«, erwiderte Miriam, »ich werde nicht mehr in meinem Beruf tätig sein. Ich nehme doch an, dass es ein berufliches Angebot sein sollte?«
Sie hatte ihm allen Wind aus den Segeln genommen, und nun nahte auch Jonas, was sie als Erlösung empfand. Benten konnte ihn nicht sehen, da er ihm den Rücken zukehrte.
»Natürlich sollte es ein berufliches Angebot sein«, sagte er mit schnarrender Stimme.
Jonas war auf ein paar Schritte herangekommen. Er war sichtlich erregt, und Miriam ahnte, was in ihm vor sich ging.
»Da kommt Herr Henneke«, sagte sie ruhig. »Jonas, Professor Benten wollte mir eben ein Angebot machen. Ich erklärte ihm, dass ich meinen Beruf nicht mehr ausüben werde.«
Konsterniert sah Benten den anderen an. »Oh, ich verstehe«, murmelte er.
»Ja, wir werden heiraten«, sagte Jonas, und Miriam wurde von einem zärtlichen Blick eingehüllt.
»Meinen Glückwunsch«, sagte Benten steif.
Und im richtigen Augenblick trat Professor Dietl in Erscheinung, breit grinsend, aber mit gutgespielter Überraschung.
»Ich höre was von Glückwunsch«, sagte er. »Wozu darf man gratulieren?«
»Zu meiner zukünftigen Frau«, erwiderte Jonas ohne zu zögern.
»Darauf müssen wir aber einen Schluck trinken«, sagte der alte Herr. »Sie sind selbstverständlich eingeladen, Herr Kollege.«
»Danke, ich habe noch zu tun«, erwiderte Benten heiser, und dann verabschiedete er sich rasch.
»Zum Teufel auch«, knurrte Professor Dietl, »wie konnten Sie auch Dr. Semmelbrot den Vorzug vor Seiner Eminenz Professor Benten geben.«
»Sie sind uns deswegen doch nicht etwa böse, Herr Professor?«, fragte Jonas lächelnd.
»Ich nicht, und nun lassen Sie den Professor weg und reden menschlich mit mir. Kann man wirklich gratulieren?«
»Damit treibt man doch keine Scherze«, entgegnete Jonas.
»Na, bei manchen ist man da nicht so sicher. Und besondere Situationen erfordern auch manchmal – ach, was rede ich da wieder für einen Unsinn. Von diesem Burschen wird man ja herausgefordert.«
Jonas ergriff Miriams Hand.
»Wir waren uns aber schon vorher einig«, sagte er mit dunkler Stimme.
»Um so besser«, sagte Professor Dietl. »Ich habe ja wirklich nichts gegen den Kollegen Benten. Seine Arbeit macht er noch immer ordentlich, was man ja auch hoffen will zum Wohle der Patienten. Vielleicht gibt er sich jetzt sogar noch mehr Mühe, wenn er die Konkurrenz auf den Fersen weiß. Das ist nie schlecht. Es spornt immer an. Ich möchte um Verzeihung bitten, wenn ich es an Objektivität fehlen lasse. Ich möchte, weiß Gott, nicht gehässig erscheinen.«
»Benten hat Ihnen viel zu verdanken«, sagte Miriam.
»Wenn es so ist, hat er es vergessen. Er kann sich ja auch Professor nennen, und dabei sind Titel doch Schall und Rauch, wenn nicht der Mensch dahintersteht«, sagte Professor Dietl.
»Dr. Semmelbrot wird es nie vergessen, was er Ihnen verdankt«, sagte Miriam.
»Nein, der Junge nicht. Er ist früher auf dem oberen Treppchen angekommen als wir.«
»Er hat andere technische Möglichkeiten«, sagte Miriam nachdenklich.
»Das mag stimmen, aber er hat auch besondere Fähigkeiten mitbekommen«, sagte Professor Dietl.
Diese hatte Dr. Jürgen Semmelbrot, über dessen Namen so viele lachten, wenn sie ihn zum ersten Mal hörten, in seinem bisher schwersten Fall unter Beweis gestellt.
Carry erwachte genau zwölf Stunden nach Beginn der Operation. Es war neun Uhr abends. Das Zimmer war nur vom Nachtlicht erhellt.
»Es ist so dunkel«, waren ihre ersten Worte.
»Dann machen wir mehr Licht«, sagte Miriam. »Es ist Abend, Carry.«
»Und ich dachte, es sei schon morgen«, sagte Carry leise. »Dann habe ich gar nicht lange geschlafen.«
»Doch, sehr lange, der Morgen ist längst vorbei und die Operation auch. Und du bist viel früher munter, als wir annehmen konnten.«
»Dann hat mein neues Leben schon begonnen?«, fragte Carry staunend. Nun bemerkte sie auch ihren Vater und flüsterte: »Papi!«
»Unser neues Leben hat begonnen, mein Liebling«, sagte er bewegt.
»Ohne Loch im Herzen?«, fragte Carry noch immer ungläubig.
»Nun spring nicht gleich aus dem Bett«, mahnte Miriam. »Ein bisschen Geduld müssen wir schon noch haben, bis alles verheilt ist.«
Carrys kleine Hand kroch zu der Stelle, unter der ihr Herz schlug. Ein Lächeln verklärte ihr zartes Gesicht. »Es klopft ganz anders als früher«, flüsterte sie. »Und du bist da, Miriam. Ich habe mir das nicht nur eingebildet.«
Miriam küsste ihre blassen Lippen.
»Ich werde immer bei dir bleiben, mein Kleines«, sagte sie weich.
»Bei uns, Carry«, fügte Jonas hinzu. »Wie du es dir gewünscht hast.«
»Aber du musst Miriam lieb haben, so lieb wie ich sie habe, Papi«, sagte Carry, und dann schlief sie schon wieder ein.
»Ja, das kann ich dir nun wirklich nicht versprechen, Miriam«, sagte Jonas. »Es kann ja sein, dass du mir noch viel mehr bedeutest als ihr. Für sie beginnt das Leben, und sie wird womöglich einen Mann finden, den sie noch lieber hat als uns beide.«
»Dann wollen wir nur wünschen, dass es gleich der Richtige ist, Jonas«, sagte Miriam. »Ich kann nur wünschen, dass sie keine Enttäuschung erlebt.«
Dann umfingen sie seine Arme, und seine Lippen suchten die ihren, um sich mit ihnen in einem langen, innigen Kuss zu vereinen, der mehr ausdrückte, als Worte noch hätten sagen können, denn sie wussten beide, dass sie über dem Glück dieses Kindes wachen würden, das sie zusammengeführt hatte.
*
Am nächsten Morgen startete Flugkapitän Holger Herwart mit seiner Crew in Richtung Hamburg. Conny Dahm hatte sich am Vorabend von Fränzi mit dem Versprechen verabschiedet, bald wieder bei ihr zu sein, und sie hatte ihm versprechen müssen, alles zu tun, um schnell gesund zu werden, und vor allem sich keine Sorgen um ihn zu machen.
In der Maschine saß ein Passagier, den sie alle schon sehr gut kannten. Chris Andresen hatte sich von seinem sonst so strengen Vater ein paar Tage Urlaub erbeten, und er wusste, dass seine Eltern diesmal nicht nur auf ihn, sondern auch auf ihre zukünftige Schwiegertochter warteten.
Die Maschine war voll besetzt. Anja konnte sich keine privaten Bemerkungen erlauben. Aber ihr Lächeln galt nur Chris, als sie sich herabbeugte und fragte: »Haben Sie besondere