keine?«
»Ich bin Ärztin und darauf trainiert, den Patienten nichts spüren zu lassen. Sie dürfen nicht nervös werden, Jonas.«
»Ich bin nervös. Das gebe ich doch zu. Ich habe Angst, Miriam.«
»Sie müssen hoffen und glauben«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass Carry gesund wird. Ich weiß es.«
Sie schrie es fast. »Sie muss gesund werden, sonst hätte ich auch den letzten Glauben verloren«, fuhr sie dann flüsternd fort.
»Wie kommt es, dass Sie Carry so lieben?«, fragte Jonas verwundert.
Miriam legte die Hände vor das Gesicht. »Vielleicht daher, dass ich in jener halben Stunde im Flugzeug die Stärkere war. Ich weiß es nicht, Jonas. Vielleicht liebte ich sie auch gleich wegen ihrer Hilflosigkeit. Oder ich hatte mich schon so vom Leben entfernt, und Carry wollte doch so gern ihren Papi wiedersehen. Wir wollen darüber nicht rätseln. Es können auch verdrängte Mutterinstinkte sein.«
»Haben Sie Kinder haben wollen?«, fragte er.
»O ja, ich wünschte mir Kinder. Nicht gleich, weil ich glaube, dass man in jungen Jahren keine gute Mutter sein kann, wenn man noch viel erwartet vom Leben. Fee Norden widerlegt solche These, aber so ganz jung im medizinischen Sinn war sie auch nicht mehr.«
Miriams Stimme hatte einen nachdenklichen Klang.
»Ist es denn nicht schön, wenn Kinder junge Eltern haben?«, fragte Jonas.
»Gewiss kann es sehr schön sein, wenn alles zusammenpasst. Es gibt Mädchen, die gar keinen anderen Wunsch haben, als Frau und Mutter zu werden. Auch heute gibt es das noch. Wenn sie den richtigen Partner finden, können auch Frühehen durchaus glücklich werden. Aber meist scheiden sich schon die Geister, wenn das Geld nicht bis zum Ersten reicht. Ich habe viel darüber nachgedacht, Jonas. Ich hatte ja viel Zeit, über alles nachzudenken.«
»Sie wollten jedenfalls in erster Linie Ärztin sein«, sagte er nachdenklich. »Eine emanzipierte Frau.« Er sagte es ohne Ironie, einfach nur als eine Feststellung.
»Ach Gott, diese hochgespielte und viel gelästerte Emanzipation«, sagte Miriam. »Ja, ich wollte Ärztin werden, aber nicht, um unabhängig von einem Mann zu sein oder aus Prestigedenken. Ich fühlte mich dazu berufen, um es mit diesem hochtrabenden Wort zu sagen. Ich schloss eine Bindung nicht aus, aber – nun, Sie kennen meine Geschichte. Heute bin ich der Überzeugung, dass Beruf, Ehe und Kinder sich auf die Dauer nicht unter einen Hut bringen lassen, ohne dass eins davon zu kurz kommt. Früher war ich anderer Meinung. Gewiss ist es gut wenn ein Mädchen zuerst einen Beruf erlernt, bevor es an Heirat denkt, denn schließlich kann jede Frau in die Situation geraten, allein für ihre Kinder sorgen zu müssen, aber wenn dann ein Kind da ist, sollte es das Vorrecht genießen.«
»Durchaus vernünftige Ansichten, aber es gibt wenige junge Mütter, die so denken. Ich sehe es doch auch bei uns im Betrieb. Der Fortschritt bringt so verlockende Dinge, dass der Mann allein sie meist nicht herbeischaffen kann. Auf Reisen und Vergnügungen verzichtet man auch ungern. Ich bin halt in dieser Beziehung etwas altmodisch. Sie werden über mich lächeln, wenn ich sage, dass der Mann in der Lage sein sollte, allein für seine Familie zu sorgen.«
»Ich lächle nicht«, erwiderte Miriam, »aber manchmal kann auch die Situation eintreten, dass eine Frau für ihren Mann sorgen muss. Was eine Ehe taugt, erweist sich doch erst in der Not.« Sie machte eine kleine Pause. »Nun sind wir ins Philosophieren geraten.«
»Es ist gut, wenn man so miteinander sprechen kann«, sagte Jonas. »Ich habe mir solch ein Pendant immer gewünscht.« Er wurde verlegen. War das der richtige Zeitpunkt, schon davon zu sprechen, was er sich für die Zukunft wünschte?
»Es ist schön«, sagte Miriam leise, »doch in meinem Leben gibt es noch manches zu ordnen, Jonas. Und jetzt wollen wir zuerst an Carry denken.«
»Aber dennoch können wir miteinander reden, und ich könnte Ihnen doch auch helfen.«
»Wie denn, Jonas? Es ist schon gut, dass Sie mir nicht misstrauen. Ja, das ist sehr gut.«
*
Wie Miriam zu helfen war, überlegten auch Daniel und Fee Norden. Sie hatten sich auf ein Stündchen mit Dieter und Jenny Behnisch zusammengesetzt und über Miriam gesprochen.
Dieter hatte dann einige Telefongespräche geführt und dabei wohl einiges in Erfahrung gebracht, jedoch nichts, was Miriam hätte nützen können.
»Wie es scheint, hat Benten keine guten Auskünfte über Miriam gegeben«, sagte er. »Ihr wisst doch, dass er in der Ärztekammer kräftig mitmischt.«
»Die Rache des Zurückgewiesenen?«, fragte Fee gedankenvoll.
»So wird es wohl sein«, sagte Daniel, »aber es widerspricht doch allen Regeln.«
»Warten wir doch ab, ob Miriam überhaupt noch praktizieren will«, sagte Jenny.
»Es geht nicht allein darum, sondern dass sie völlig rehabilitiert wird«, sagte Daniel.
»Aber nehmen wir mal an, dass Benten gerade das verhindern will, dann können wir gar nichts machen«, sagte Dieter. »Gegen den kommen wir auch vereint nicht an. Im Gegenteil, er wird dann versuchen, uns auch noch eins auszuwischen. Wehe, wenn einer aufmüpfig wird. Und wenn es galt, Missstände aufzudecken, war Miriam schnell dabei. Ich sehe keinen Weg, ihr zu helfen. Aus Beirut werden wir bestimmt keine Hilfe bekommen. Es kann durchaus sein, dass der Fall Miriam Perez bereits vergessen ist.«
»Und wenn jemand ein schlechtes Gewissen haben muss, kann dies nur recht sein«, sagte Jenny.
»Schlimm wäre es für sie, wenn mit der kleinen Carry nicht alles glattgehen würde«, mischte Fee sich ein. »Aber wenn alles ohne Komplikationen verläuft, bekommt sie vielleicht doch Auftrieb. Die menschlichen Beziehungen dieser Familie sind sehr harmonisch. Bleibt zu hoffen, dass Miriam auf diese Weise entschädigt wird für alles, was sie erdulden musste.«
Dass es Fränzi mit jedem Tag besserging, davon hatte Daniel sich überzeugen können. Diese Sorgen waren sie los.
Von unliebsamen Überraschungen blieb Dr. Norden während der nächsten Tage auch verschont. In der Praxis ging es ohne besondere Ereignisse ab. Die üblichen Erkältungskrankheiten, die bei dem wechselhaften Wetter nicht ausblieben, die üblichen Verletzungen, die unvermeidlich schienen, so oft auch zur Vorsicht gemahnt wurde. Zum Glück aber war keine dabei, die böse Folgen haben könnte.
Dann aber kam der Morgen, an dem Miriam anrief, dass Carry operiert werden würde. Professor Dietl hätte ihr gestattet, bei der Operation zu assistieren.
Die Vorgeschichte dazu kannten Fee und Daniel noch nicht. Jonas hatte ein langes Gespräch mit dem Klinikchef geführt, der trotz seiner fast siebzig Jahre und seiner schmerzhaften Arthritis sehr aufgeschlossen und lebhaft war.
Er machte zuerst eine sarkastische Bemerkung darüber, dass er sich selbst und auch kein anderer ihn heilen könnte. Natürlich verschafften Medikamente Linderung, aber schließlich könne es möglich sein, dass gerade unter einer Operation plötzlich wieder diese gemeinen Schmerzen aufträten und da wollte er solch ein Risiko doch nicht eingehen.
»Ich habe ja einen tüchtigen Assistenten«, sagte er zu Jonas, wohl, um etwaige Vorurteile gegen Dr. Semmelbrot wegzufegen, doch die hatte Jonas schon längst nicht mehr. Als er dann vorsichtig auf Miriam zu sprechen kam, richtete sich Professor Dietl auf.
»Sagten Sie Miriam Perez? Sie ist hier?«, fragte der alte Herr erregt.
»Sie lebt in meinem Haus.« Dann musste Jonas erzählen, wie es dazu gekommen war, bevor Professor Dietl eine Erklärung gab, woher Miriam ihm bekannt war.
»Man redete seinerzeit viel davon, dass Benten sie heiraten wolle. Er war mein Famulus. An seinem Können gab es nichts auszusetzen, menschlich hat er mich enttäuscht. Aber Schwamm drüber. Ich will nicht in den Verdacht geraten, ein Schwätzer zu sein, wenn man auch mit zunehmendem Alter mehr und mehr Erinnerungen nachhängt.«
»Sie wissen aber, dass Miriam übel