geben«, sagte die füllige Dame neben ihm gereizt.
»Aber gern, gnädige Frau«, erwiderte Anja.
Holger pfiff vor sich hin, während das Flugzeug unter blauem Himmel seinem Ziel zusteuerte.
»Du kannst vergnügt sein«, sagte Conny mürrisch. »Dein Schätzchen ist dir nahe.«
»Du wirst auch wieder bei deinem Schätzchen sein. Früher hätten wir schön gemeckert, wenn es für uns nur immer die gleichen Inlandsstrecken gegeben hätte.«
»Ich kenne noch zwei, die auch gemeckert hätten. Wann wird Anja uns verlassen?«
»In drei Monaten, es sei denn, es stellt sich früher heraus, dass sie ein Baby erwartet.«
»Und das ist ihr zuzutrauen«, brummte Conny.
»Ich könnte es den beiden nicht verdenken«, sagte Holger. »Wenn einer immer warten muss, ist das keine gute Sache.«
»Dann muss ich meinen Dienst quittieren«, seufzte Conny.
»Spinn dich aus. Deine Fränzi ist doch schon gewöhnt zu warten. Wir können es uns nicht leisten, alles aufzugeben. Anja macht eine tolle Partie, da liegen die Dinge anders.«
»Ihr wollt noch ewig schauspielern?«, fragte Conny.
»Nicht ewig. Solange es eben geht.«
»Anja wird uns fehlen«, sagte Conny. »Wer weiß, was nachkommt.«
»Uns kann doch keine gefährlich werden«, gab Holger zurück. »Du wirst mir auch fehlen, wenn du nun Flugkapitän wirst, Conny. Dann muss ich mich an einen anderen Kopiloten gewöhnen, und schließlich ist es mir doch zu vergönnen, dass wenigstens Wendy mir noch erhalten bleibt.«
»Wenn sie nicht mir zugeteilt wird«, spottete Conny.
»Das könnte dir so passen. Dann wird geheiratet, und sie bleibt daheim. Aber pass auf. Wir werden bald landen.«
Wenige Minuten später setzten sie sicher auf dem Rollfeld auf. Freundlich nickend verabschiedeten sich die Stewardessen von den Passagieren. Chris verließ als Letzter das Flugzeug. »Wir sehen uns draußen, Liebling«, sagte er zu Anja.
»Sie treffen sich draußen, und du kannst mir jetzt ruhig einen Kuss geben, Wendy«, sagte Holger.
»Oder umgekehrt«, erwiderte sie fröhlich.
»Verzieh dich schon, Conny«, brummte Holger.
»Ihr habt es gut«, gab der zurück. »Und was mache ich?«
»Wie wäre es denn, wenn du dich mal richtig ausschlafen würdest?«, fragte Holger.
»Keine schlechte Idee. Dann bis morgen. Sie meinen es ja wirklich gut mit uns, dass sie uns so viel Ruhe gönnen.«
»Manchmal lässt auch unser Chef mit sich reden. Durch die Schlechtwetterlage mussten in dieser Woche einige Flüge ausfallen, sodass die Besatzungen nicht überbeansprucht wurden.«
»Gut, dass wir unser Festgehalt haben«, sagte Conny, »sonst würden wir ganz schön wütend sein über die Schlechtwetterlage.«
Anja wurde indessen schon von Chris ihren zukünftigen Schwiegereltern zugeführt, die sie kurz und forschend musterten und dann in die Arme schlossen. Dass sie sich nicht vorschriftsmäßig verhielt, da sie mit einem Passagier den Platz verließ, konnte ihr einen Verweis oder gar die Kündigung einbringen, aber das wäre Chris nur lieb gewesen. Sie hätte es auch gelassen aufgenommen. Sie hatte ihr Glück nicht in den Wolken gefunden, sondern auf der Erde.
*
Was hatte sich in dieser einen Woche seit der Landung im Nebel so alles zusammengeballt an Ereignissen, und welche schwerwiegende Entscheidungen waren getroffen worden! Rückblickend konnte man sagen, dass es kaum zu glauben war. Ärzte allerdings trugen solches mit Gelassenheit, denn bei ihnen war jeder Tag abwechslungsreich, und manche Sprechstunde konfrontierte sie mit vielerlei und den unterschiedlichsten Schicksalen. Doch im Leid wie auch im Glück war jeder sich selbst der Nächste, und gut war es, wenn beides mit wenigstens einem Menschen geteilt werden konnte.
Geteiltes Leid war halbes Leid und geteilte Freude doppelte Freude. Eine alte Volksweisheit sagte es, und es bewies sich immer wieder.
Frau Kögler war nach der Beerdigung ihres Mannes in Dr. Nordens Praxis gekommen. »Ja, nun müssen Sie mich doch ein bisschen aufpäppeln, Herr Doktor«, sagte sie leise.
Dass sie viel Kraft verbraucht und nicht an sich gedacht hatte, wusste er, aber da der Wille zum Leben da war, würde es nicht lange brauchen, um körperlich wieder auf der Höhe zu sein. Dafür gab es ja nun wirklich gute Mittel, und weil er die besten auf Krankenschein nicht verschreiben durfte, gab er ihr diese aus seinem Vorrat mit.
»Aber auch regelmäßig einnehmen«, ermahnte er sie. Sie versprach es.
Bei den Tiedemanns war auch eine Wendung zum Guten eingetreten. Zuerst hatte Rolf es mit Genugtuung empfunden, dass seine kleine Schwester nachts in der Küche schlafen musste, aber dann tat es ihm bald leid. So schlimm war es ja gar nicht, ein Geschwisterchen zu haben, wo es doch die meiste Zeit schlief und noch gar nicht reden konnte. Und gar so schön fand er es auch schon nicht mehr, ein Baby zu sein und bloß Fläschchen zu trinken. Er war zu seinen früheren Lebensgewohnheiten zurückgekehrt. Und waren die Tiedemanns zuerst auch nicht so ganz mit Dr. Nordens Ratschlägen einverstanden gewesen, nun waren sie ihm dankbar dafür und froh, dass sie diese befolgt hatten.
Aber wie viele Ärzte gab es denn noch, die sich auch um die privaten Sorgen ihrer Patienten kümmerten? Wer nahm sich denn schon die Zeit, mal eine halbe Stunde für ein Gespräch zu opfern, das am Ende mehr helfen konnte als die Medizin?
Dr. Daniel Norden wusste nicht, wie oft man hinter ihm hersagte, wenn er eine Wohnungstür schloss: »Unser Doktor ist der Beste.«
Für Carry war das jetzt Dr. Semmelbrot, da Miriam ihr versprochen hatte, nicht nur ihre große Freundin, sondern auch ihre Mami sein zu wollen.
»Eigentlich bist du ja dafür noch ein bisschen zu jung«, meinte sie zuerst mit einem schelmischen Lächeln, das ihr so gut zu Gesicht stand, dass man es immer zu sehen wünschte.
»So jung auch nicht mehr, Carry. Ich könnte schon deine Mutter sein«, erwiderte Miriam.
»Papi hätte halt gleich an dich geraten müssen«, meinte Carry, doch dazu äußerte sich Miriam nicht. Damals wäre sie wohl nicht reif genug für eine Entscheidung gewesen, wenn sie sich auch heute sagte, dass ein Leben mit Jonas wunderbar war.
Carrys Genesung machte rasche Fortschritte. Vorzügliche Arbeit hatte Dr. Semmelbrot geleistet, wurde mehrmals von Professor Dietl festgestellt, und die Betreuung sei ja auch erstklassig gewesen.
Eigentlich ging es Carry sogar ein bisschen zu schnell, bis sie aus der Klinik entlassen wurde. Es schien, als seien ihre Gefühle für Jürgen Semmelbrot etwas mehr als Schwärmerei, doch als Miriam dies Jonas gegenüber etwas besorgt äußerte, meinte er, dass eine erste Liebe nicht die Letzte sein müsse, wenn man davon auch noch so sehr überzeugt sei.
Nun sollten Miriam und Carry noch ein paar Wochen auf der Insel der Hoffnung verbringen, und wenn sie dann heimkehrten, sollte Carrys sechzehnter Geburtstag und Miriams und Jonas’ Hochzeit an einem Tag gefeiert werden.
Das hatte Carry sich gewünscht, und auch dieser Wunsch sollte ihr erfüllt werden, wenn Jonas die Trennung auch schwerfiel. Doch schließlich musste er sich nun auch wieder richtig um seinen Betrieb kümmern, und am Wochenende konnte er seine beiden »Mädchen«, wie er sie zärtlich nannte, besuchen.
Auf der Insel war der Frühling mit zauberhafter Blütenpracht eingezogen. Ausgebucht war man auch schon, aber selbst im Winter fanden sich hier alte Stammgäste ein, denn selbst wenn es kalt war, konnten sie das Wunder erleben, dass aus der Quelle der Liebe das Wasser sprudelte. Nicht so kräftig wie jetzt in diesen schon warmen Frühlingstagen, aber doch nie versiegend. Die Sage erzählte es, dass sie immer dann sprudeln würde, wenn die Menschen sich an ihr nicht bereichern wollten, und das konnte man von Dr.